Partei unter Druck: Umfrage-Klatsche und Showdown um Kalbitz-Rauswurf: Die tiefe Krise der AfD
by FOCUS OnlineDie Causa Kalbitz hat in der AfD einen neuen, heftigen Richtungskampf zwischen gemäßigten Mitgliedern und Anhängern des rechtsnationalen Flügels der Partei ausgelöst. Nun sackt die Partei in Umfragen in die Einstelligkeit. Steht die AfD vor einer Spaltung?
Mitten in der Coronakrise steckt die AfD in einem harten Umfragetief: Bei nur 9,5 Prozent sieht das Meinungsforschungsinstitut Insa derzeit die AfD – der schlechteste Wert seit August 2017 kurz vor dem Einzug in den Bundestag.
Die AfD sieht sich derzeit gleich mit mehreren Krisenherden konfrontiert: Der Streit um die überstürzte Annullierung der Parteimitgliedschaft des brandenburgischen Landeschefs Andreas Kalbitz stürzt die AfD in tiefe Grabenkämpfe.
Meuthen heizt Kampf um Vormachtstellung an
Bereits seit Anfang April nahm der Richtungsstreit in der Partei seinen Lauf, als Meuthen vorschlug, die Partei in einen „flügelnahen, nationalen“ und einen mehr „national-freiheitlichen“ Teil zu spalten – und dies angeblich mit niemandem in der AfD abgesprochen hatte, nicht mal mit seinem Co-Chef Tino Chrupalla.
Am 15. Mai setzt Meuthen dann überraschend schnell und knapp mit sieben gegen fünf Stimmen im AfD-Bundesvorstand durch, Kalbitz‘ Parteimitgliedschaft zu annullieren. Als Begründung dient der Vorwurf, der Brandenburger Landesvorsitzende und einstige „Flügel“-Chef neben Höcke habe beim Eintritt in die AfD 2013 Kontakte und Mitgliedschaften zu rechtsextremen Vereinigungen verschwiegen.
AfD-Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland prophezeite daraufhin, dass es für diejenigen, die den Ausschluss von Kalbitz vorangetrieben hätten, in Zukunft „schwer“ in der Partei werde.
Welche Folgen hat der Machtkampf für die AfD? Droht der Partei die Spaltung?
Niedermayer: "Keine Strömung der AfD kann ohne die andere überleben"
„Der interne Streit um die Annullierung der Mitgliedschaft von Kalbitz und der Richtungskampf lähmen die Partei und schaden ihr zweifellos in den Umfragen“, sagt Parteienforscher Oskar Niedermayer. Doch viel mehr mache der Partei im Augenblick zu schaffen, dass die Flüchtlingspolitik derzeit keine große Rolle mehr spiele. „Die AfD hat es mit den Themen Klimawandel und Corona versucht, doch es hat nicht funktioniert.“ Dies lässt sich auch in den Umfragen ablesen.
Zwar schätzt der Politikwissenschaftler die Wahrscheinlichkeit einer Spaltung der Partei derzeit als „gering“ ein. Doch eine verlässliche Vorhersage über die Zukunft der AfD sei schwierig. Sowohl dem gemäßigten als auch dem radikalen Flügel in der AfD sei bewusst, dass keine der beiden Strömungen ohne den anderen eine Überlebenschance hätte. Vieles hänge zudem davon ab, wie der Verfassungsschutz künftig mit der AfD umgehe und ob die Gesamtpartei zum extremistischen Verdachtsfall erklärt werde.
Pazderski: "Kalbitz hat Partei ideellen Schaden zugefügt"
Wer sich in der Partei umhört, bekommt ein anderes Bild gespiegelt. Spaltung? Fehlanzeige. Das sei schon bei den Austritten von AfD-Gründer und Parteichef Bernd Lucke sowie dessen Nachfolgerin Frauke Petry prophezeit worden, sagt Georg Pazderski, unter AfD-Gründer Bernd Lucke Bundesgeschäftsführer und bis 2019 einer der Vize-Bundessprecher der AfD. „Und beide sind mit ihren neuen Parteien dann krachend gescheitert“, sagte Pazderski im Gespräch mit FOCUS Online. Der AfD habe dies nicht geschadet.
Der aktuelle Umfrageabsturz hingegen sei „absehbar“ gewesen, sagt Pazderski selbstkritisch. Denn in der Coronakrise hätten bis auf CDU und CSU alle Parteien in den Umfragen verloren, so Pazderski, AfD-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus. Eine Analyse, die so nicht stimmt. Denn auch die SPD konnte leicht zulegen oder blieb zumindest stabil, die AfD hat mit Grünen am kräftigsten verloren - je nach Umfrageinstitut.
Und was sagt der AfD-Mann zur Diskussion um Kalbitz? Dass auch diese Debatte der Partei zunächst Sympathien kosten würde, sei ebenso absehbar gewesen. „Die Menschen mögen keine Partei, die im Verdacht steht, rechtsextreme Bezüge zu haben.“
Der einstige Berufssoldat geht in seiner Kritik an der Personalie Kalbitz gegenüber FOCUS Online sogar noch einen Schritt weiter: „Kalbitz hat der Partei mit seinem Verhalten ideellen Schaden zugefügt “. Der frühere Rechtsaußen Kalbitz will sich den Weg zurück in die Partei nun freikämpfen, kündigte er am Mittwoch an. Dafür zieht er alle Register. Er beantragte beim Bundesschiedsgericht, die Annullierung seiner Mitgliedschaft aufzuheben
Pazderski hält es aktuell für „ausgeschlossen“, dass Kalbitz doch noch AfD-Mitglied bleibt. „Wir dürfen auf keinen Fall den Verfassungsschutz ermuntern, die Gesamtpartei zum Verdachtsfall zu erklären – mit unabsehbaren Folgen für AfD-Mitglieder, die im öffentlichen Dienst oder Beamte sind“, so Pazderski. Dass Jörg Meuthen über die Causa Kalbitz stürzen könnte, „wird nicht passieren“, glaubt der einstige AfD-Bundesgeschäftsführer. „Das will nur der politische Gegner.“
Extremismusforscher: "Meuthen hat die schlechteren Karten"
Extremismusforscher Steffen Kailitz vom Hannah-Arendt-Institut in Dresden hält diese Einschätzung Pazderskis für unrealistisch: Meuthen und Padzderski könnten kaum zu Tagesordnung übergehen, „wenn Kalbitz am Ende obsiegt und in der AfD bleiben kann.“ Ein „Zerwürfnis“ zwischen den beiden als „gemäßigt“ geltenden Politikern mit dem starken und Flügel-nahen AfD-Führungstrio Gauland, Weidel und Chrupalla „ist längst da und würde sich vertiefen“, sagt der Extremismusforscher.
Für den Fall, dass Kalbitz AfD-Mitglied bleiben könnte, liefe die Machtkampf in der AfD auf ein „Showdown“ zwischen Meuthen auf der einen und dem Trio Gauland, Chrupalla und Weidel auf der anderen raus. „Meuthen hat dabei die schlechteren Karten, da hinter Kalbitz nicht nur das Trio steht, sondern auch die starken ostdeutschen AfD-Landesverbände, für deren hohe Wahlerfolge vor allem zwei Politiker verantwortlich zeichnen: Höcke und Kalbitz.“
Doch wenn Kalbitz letztlich in der AfD bleibe, drohe der Partei neues Ungemach, vor dem sich nicht nur „Gemäßigte“ wie Pazderski fürchteten: „In diesem Fall dürfte die Wahrscheinlichkeit deutlich ansteigen, dass der Verfassungsschutz nicht nur einstige ‚Flügel‘-Leute und AfD-Landesverbände, sondern die Gesamtpartei zum rechtsextremistischen Verdachtsfall erklärt.“ Und ein solcher Schritt könnte die AfD in ihre bislang schwerste Krise überhaupt stürzen, an deren Ende nur noch ein Scherbenhaufen übrigbleibt.
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