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Mohnblumen vor der städtischen Kindertagesstätte Steinkreis.
(Foto: Federico Gambarini/dpa)

Erzieherin ohne Eignung

Sandra M. steht unter Verdacht, ein Mädchen getötet zu haben. Schon bei früheren Stationen hat sie mutmaßlich Gewalt angewendet. Warum konnte sie den Beruf so lange ausüben?

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Weil es so viele offene Fragen gibt, muss man sich bei diesem Fall immer wieder erneut der wenigen Fakten versichern: Am 4. Mai ist Greta gestorben, ein kleines Mädchen, drei Jahre alt. Wegen Atemstillstand war es am 21. April aus der Kita Steinkreis in Viersen in eine Klinik gebracht worden, Sauerstoffmangel nach Gewalteinwirkung, lautet die Diagnose.

Deswegen steht jetzt Sandra M. unter Mordverdacht, die Erzieherin war zuletzt mit der schlafenden Greta allein in einem Raum gewesen. Die Ermittler haben herausgefunden, dass es seit 2017 in drei weiteren Kitas, in welchen Sandra M. gearbeitet hatte, zu Vorfällen gekommen war, in deren Folge Kinder mit Atemnot oder Atemstillstand in Kliniken eingeliefert wurden: in Krefeld, Kempen und Tönisvorst. Diese Kinder hatten noch überlebt.

Zwei Fragen stellen sich daher vor allen anderen Fragen: Wieso konnte Sandra M. überhaupt staatlich geprüfte Erzieherin werden, obwohl doch schon früh aufgefallen war, dass sie sich für den Beruf der Erzieherin kaum eignete?

Den Ermittlern zufolge haben die Mitarbeiter jener Krefelder Kita, in der Sandra M. von August 2017 bis Juli 2018 ihr Anerkennungsjahr absolvierte, jedenfalls schnell gemerkt, dass es ihr an Empathie fehlte. Dass sie es nicht schaffte, eine Beziehung zu den Kindern aufzubauen.

Noch dringender aber ist die Frage, warum Sandra M. immer wieder Anstellungen fand, obwohl es zuvor regelmäßig zu tragischen Vorfällen gekommen war, immer genau dann, wenn sie Dienst hatte. Genau darauf erwarten viele jetzt Antworten, weil ja auch die Frage mitschwingt, ob Gretas Tod hätte verhindert werden können.

Sandra M. kündigte und zog weiter

Bei der Stadt Viersen nahm Sandra M. am 1. Januar 2020 ihre Tätigkeit als Erzieherin auf. Sie habe ein einwandfreies Führungszeugnis vorgelegt und eine Bescheinigung über die Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin, teilt die Stadt mit. Bei ihrem Vorstellungstermin sei M. dann unter sechs Bewerberinnen und Bewerbern diejenige gewesen, "die den mit Abstand besten Eindruck hinterließ", sagt Bürgermeisterin Sabine Anemüller auf SZ-Nachfrage. Zudem habe es anschließend in der Probezeit "keinerlei Anhaltspunkte" gegeben, "aus denen Bedenken gegen eine Beschäftigung hervorgingen".

Arbeitszeugnisse dagegen seien nicht entscheidend, weil oft gar keine vorlägen, sagt Anemüller, "insbesondere bei Bewerbungen aus einem laufenden Arbeitsverhältnis heraus". Womöglich liegt genau darin auch ein Grund, warum es M. immer wieder gelang, neue Anstellungen zu finden. Den Ermittlern zufolge war es stets Sandra M. selbst, die kündigte und zu einer anderen Stelle weiterzog. Ob sie dadurch verhindern wollte, dass man ihr auf die Schliche kommt, ist unklar. Klar ist aber, dass keine Kita Ermittlungen gegen sie veranlasste. In Tönisvorst, wo M. von September bis November 2018 tätig war, erzählte ein Mädchen seinem Vater später, dass die Erzieherin "sehr feste auf meinen Bauch gedrückt hat". Reicht so etwas aus, um die Staatsanwaltschaft einzuschalten?

Ja, findet Waltraud Weegmann, Vorsitzende des Deutschen Kitaverbands. Sobald das Kindeswohl in Gefahr sei, sobald die Eltern ernsthaft besorgt seien, müsse eine Kita staatsanwaltlich ermitteln lassen. "Ob ein Verdacht sich dabei erhärtet oder nicht: Es ist in jedem Fall wichtig, dass er geklärt wird", sagt sie.

Arbeitszeugnisse seien "Makulatur"

Weegmann zufolge hätten Kitas immer wieder mit Leuten zu tun, die sich eigentlich nicht für den Beruf eigneten. Diese werde man nur schwer wieder los, weil es arbeitsrechtlich hohe Barrieren gebe, um Angestellten zu kündigen.

Weegmann fordert daher auch ein Umdenken bei der Ausbildung: "Wir müssen uns angewöhnen, in Bezug auf die Qualität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter strenger zu werden", sagt sie. Wegen des Fachkräftemangels würden derzeit "manchmal Menschen eingestellt, die man vielleicht vor zehn Jahren nicht eingestellt hätte". Ausbilder hätten die Möglichkeit, praktische Arbeit mit einer schlechten Note zu beurteilen, zudem könnten sie versuchen, den oder die Betroffene in einem persönlichen Gespräch von einer anderen Berufswahl zu überzeugen.

Arbeitszeugnisse dagegen seien häufig "Makulatur", sagt Weegmann, eine Feststellung wie die fehlende Empathie bei Sandra M. würde niemand in ein solches Zeugnis schreiben: "Vor dem Arbeitsgericht würde man damit wohl kaum durchkommen."