Anlagen in schlechtem Zustand
Unterirdische Bunker ohne grossen Nutzen
by Oliver WashingtonDie Schweiz hat 50'000 Spitalbetten in Zivilschutzanlagen. Doch sie könnten im Katastrophenfall kaum benutzt werden.
Neben Israel ist die Schweiz das einzige Land, das für Kriege oder Katastrophen über sogenannte geschützte sanitätsdienstliche Anlagen verfügt. 248 geschützte Sanitätsstellen und 94 unterirdische Spitäler gibt es im ganzen Land. Die Eidgenössische Finanzkontrolle hat diese unter der Leitung von Laurent Cremieux genauer angeschaut.
«Die meisten dieser Anlagen, vor allem die Spitäler, sind nicht einsatzbereit», stellt Cremieux fest. Gebaut wurden die Anlagen im Kalten Krieg. Die meisten sind denn auch veraltet und feucht. Oftmals funktionieren die Abwasserleitungen nicht. Einzelne Anlagen werden auch schlicht für andere Zwecke gebraucht, als Lager etwa.
Was tun mit den alten Anlagen?
Die Probleme seien eigentlich bekannt, sagt Cremieux. Allerdings hätten die Behörden nicht darauf reagiert. Die Politik habe es verpasst, eine Strategie zu entwickeln, wie diese Anlagen aus dem Kalten Krieg heute gebraucht werden könnten. «Es gibt keinen Plan, um im Katastrophenfall die Patienten dort zu pflegen.»
Paradoxerweise schreibt das Gesetz auch heute noch vor, dass die Kantone gegen 50'000 Betten in solchen Anlagen zur Verfügung stellen müssen – obschon der Kalte Krieg vorbei ist. So überweist der Bund den Kantonen jedes Jahr mehrere Millionen für Infrastrukturen, die grösstenteils unbrauchbar sind. Dabei sollten sie im Katastrophenfall benutzt werden können.
Notspitäler im Pandemiefall?
Die Kritik richtet sich an das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (VBS). Dort sagt Vizedirektor Christoph Flury: «In den letzten Jahren hat sich die Frage gestellt, wie man diese Anlagen bei einem Massenanfall von Patienten nutzen könnte.» Diese Frage werde jetzt konkreter angegangen. Mit dabei sei auch das Gesundheitswesen.
Wie einem Begleitschreiben des VBS zum Bericht der Finanzkontrolle zu entnehmen ist, überlegt man sich dabei auch, ob die unterschiedlichen Anlagen in einer nächsten Pandemie von Nutzen sein könnten. «Diese Frage muss man klären», sagt Flury. Vor allem das Gesundheitswesen müsse sagen, ob das sinnvoll sei, oder ob es andere Varianten gebe.
Für moderne Behandlungen nicht zu gebrauchen
Michael Jordi ist ein Vertreter des Gesundheitswesens. Er vertritt als Generalsekretär der Gesundheitsdirektorenkonferenz die Kantone, die solche Anlagen betreiben müssen. Für ihn sind das grösstenteils Anlagen, die mit der heutigen Medizin nicht mehr viel zu tun haben. «Die Schutzanlagen wurden zumeist im damaligen Zustand belassen.» Deshalb könnten sie für moderne Behandlungen kaum mehr gebraucht werden.
Das bedeute aber noch lange nicht, dass die Schweiz deshalb schlecht auf eine Katastrophe wie etwa ein Erdbeben vorbereitet sei, so Jordi. Im Katastrophenfall könne sich die Schweiz entsprechend dem Vorgehen während der Covid-19-Krise auf die vorhandenen Spitäler stützen und etwa nicht dringende Eingriffe zurückstellen. Das gebe Kapazitäten zur Katastrophenbewältigung frei.
In einem Krieg könnten die unterirdischen Anlagen vielleicht eine Rolle spielen. Gleichwohl ist es an der Zeit, diesen alten Zopf grundsätzlich zu überdenken.