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Stephan Pauly im Großen Saal der Alten Oper. © Renate Hoyer
Kultur

Alte Oper: Intendant Stephan Pauly verlässt Frankfurt

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Nach mehr als acht Jahren in der Mainmetropole wechselt der Kultumanager nach Wien.

In diesen Tagen macht er, wozu viele Kulturmanager gegenwärtig verdammt sind: „Szenarien entwickeln, auf Sicht fahren.“ Stephan Pauly, der Intendant der Alten Oper, beendet seine Amtszeit an diesem Wochenende in einer Phase der absoluten Ungewissheit. Der sorgfältig austarierte und langfristig kalkulierte internationale Betrieb der klassischen Musik ist durch die Corona-Pandemie abrupt zum Stillstand gekommen. „Normalerweise planen wir Details zwei bis drei Jahre im Voraus, gegenwärtig wissen wir nicht, was im September sein wird“, bilanziert der 47-Jährige nüchtern. So wird das auch in seiner neuen Aufgabe sein, als Intendant des Wiener Musikvereins.

Doch Pauly ist nie einer gewesen, der sich beklagt. Der hoch aufgeschossene Mann, der noch immer etwas Jungenhaftes ausstrahlt, hat sich Herausforderungen stets nüchtern, manchmal mit (Selbst)Ironie gestellt. „Dass ein Haus wie die Alte Oper in der gegenwärtigen Situation nicht bespielt werden kann, finde ich vernünftig.“ Punkt. Als Bürger beurteile er die Grundregeln, die der Staat zur Zeit für das gesellschaftliche Leben definiert, als „völlig okay“.

Kein Lamentieren darüber, dass Kultureinrichtungen noch immer geschlossen sind, während Baumärkte eigentlich immer geöffnet waren. Nein, Pauly, der Philosophie und Theologie studiert hat, aber auch Opernregie, denkt nur darüber nach, dass die Grundlagen des internationalen Klassiknetzes, nämlich das ungehinderte Reisen, vielleicht dauerhaft berührt sein könnten. Es stellten sich Grundsatzfragen, sagt er ganz unverblümt, die es freilich schon vor Corona gegeben habe: Nämlich die nach der Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit des permanenten Unterwegsseins.

Kulturinstitut mit gesellschaftlicher Verantwortung

Genauso hat Pauly seine Arbeit in achteinhalb Jahren der Intendanz verstanden. Die Alte Oper nicht als eine abgehobene Unterhaltungsbude, sondern als Kulturinstitut mit gesellschaftlicher Verantwortung. „Das Musikgeschehen ist relevant für das gesellschaftliche Leben und ein Teil desselben.“ Die Programme, die er in Frankfurt verwirklichte, konnten immer auch als deutliche politische Stellungnahmen gelesen werden. Er führte Musikfeste zu einem bestimmten Werk ein, mit denen jeweils die Saison eröffnet wurde. Als zahllose Geflüchtete nach Deutschland strömten, stellte er die „Winterreise“ von Franz Schubert in den Mittelpunkt, als später der Rechtspopulismus sein Haupt erhob, kreiste das Musikfest um Beethovens „Eroica“, eine Feier der gesellschaftlichen Befreiung.

Pauly war und ist also ein Mann mit Haltung. Genauso hat er inhaltliche Schwerpunkte gesetzt, hat die musikalische Bildung für Kinder, Jugendliche und Familien in der Alten Oper erheblich ausgebaut. Dieses Programm „Pegasus“ zählt mittlerweile 40 000 Teilnehmer. „Ich wollte programmatisch die Türen weit aufstoßen“, sagt er schlicht und genau das tat er auch. Holte die weltberühmte Performancekünstlerin Marina Abramovic ins Haus. Engagierte den internationalen Architekturstar Daniel Libeskind in der Saison 2015/2016, der ein weltweit beachtetes Konzertprojekt an vielen Orten in der Stadt verwirklichte („One Day in Life“). Arbeitete wie selbstverständlich mit dem Künstlerhaus Mousonturm oder dem Deutschen Filmmuseum zusammen.

Pauly setzte dies stets mit Nonchalance und scheinbarer Leichtigkeit um, hinter der sich aber viel harte Arbeit verbarg. Gleichzeitig bewahrte er den künstlerischen Kern seines Hauses, nämlich das Liveerlebnis klassischer Musik, dargeboten von den allerbesten Musikerinnen und Musikern der Welt. Mitten im Gespräch konnte der Intendant plötzlich in eine Art Meditation verfallen über das Erlebnis der Johannespassion von Johann Sebastian Bach. Konnte ins Schwärmen geraten über den Dirigenten Sir Simon Rattle. Das klassische Konzert, live dargeboten, werde immer bestehen gegen die Konkurrenz der sozialen Medien, gegen virtuelle Welten, davon war und ist er zutiefst überzeugt.

Aufgeschlossen für  innovative Formate des Jazz

So einer wird fehlen in Frankfurt. Einer, der auch innovativen Formaten des Jazz gegenüber aufgeschlossen war und dem früheren FR-Redakteur Hans-Jürgen Linke die Organisation einer kleinen, aber feinen Jazzkonzertreihe im Mozartsaal anvertraute. Oder die Weltmusik dorthin holte.

Pauly wird jetzt in eine völlig andere Sphäre eintauchen, „die sehr traditionsbeladen daherkommt und gerade deshalb eine Herausforderung darstellt“, eben den Wiener Musikverein mit seinem Goldenen Saal aus dem 19. Jahrhundert. Er wird auch hier versuchen, die Türen zu öffnen. Wann dies in der Alten Oper wieder geschieht, die Frage muss der Intendant zum Abschied unbeantwortet lassen. Es wird die Aufgabe seines Nachfolgers Markus Fein sein, das Konzerthaus aus der Phase der Corona-Pandemie herauszuführen. Fein tritt sein Amt am 1. September an.