Infektionen

Coronavirus: Virologen glauben nicht mehr an zweite Welle

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Berlin.  Virologe Christian Drosten sieht Deutschland dank der Wissenschaft in einer guten Situation. Zudem plädiert er für eine neue Strategie.

Die Sorge vor einem zweiten ausufernden Infektionsgeschehen, das zu einem neuen Shutdown führen könnte, war bislang berechtigt. Zwar schließen führende Wissenschaftler die Möglichkeit einer erneuten massenhaften Infektion mit dem Coronavirus nach wie vor nicht aus. Dank neuer Erkenntnisse über Sars-CoV-2, sieht der Chef der Virologie an der Berliner Charité, Christian Drosten, nun aber zumindest die Möglichkeit, dass die Menschen in Deutschland „ohne zweite Welle durchkommen“.

„Jetzt kennen wir das Virus genauer, wir wissen besser, wie es sich verbreitet“, sagte Drosten in einem Gespräch mit dem „Spiegel“. Dadurch könne einem zweiten Shutdown entgangen werden, meint der Virologe. So seien beispielsweise die Inkubationszeit und die Zeit, in der man ansteckend ist, „deutlich kürzer als anfangs gedacht“.

Coronavirus: Drosten und Co. schlagen neue Strategie zur Eindämmung vor

In seinem zweimal wöchentlich erscheinenden Podcast mit dem NDR hatte Drosten am Donnerstag zudem erklärt, dass einzelne sogenannte Superspreader überproportional viele Menschen anstecken. Auf Grundlage dieser Erkenntnis müsse die Strategie im Kampf gegen das Coronavirus angepasst werden.

Drosten empfiehlt, künftig alle Personen zu isolieren, die in Verdacht stehen, sich mit einem Superspreader in einer „sozialen Situation“ – beispielsweise im Fitnessstudio – befunden zu haben. Die Quarantäne, erklärte er nun gegenüber dem „Spiegel“, könne auf Basis des neuen Wissensstandes jedoch auf eine Woche verkürzt werden.

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Die Erkenntnisse des Chef-Virologen und Beraters der Bundesregierung decken sich mit denen weiterer Virologen. Hendrik Streeck, der die sogenannte „Heinsberg-Studie“ angefertigt hat, und André Karch von der Universität Münster rücken ebenfalls das Superspreading in den Fokus künftiger Präventionsmaßnahmen.

„Inzwischen hat sich gezeigt, dass die Heterogenität bei Sars-CoV-2 wahrscheinlich recht hoch ist“, sagte Karch der „Süddeutschen Zeitung“. Sprich: Wenige Infizierte übertragen das Virus auf viele. Die meisten aber übertragen es kaum auf andere. „Das ist eine gute Nachricht“, schlussfolgert Karch, „weil man sich bei den Gegenmaßnahmen dann auf die hochriskanten Situationen konzentrieren kann.“

Drosten: Forschungsarbeit hat 50.000 bis 100.000 weitere Tote verhindert

Streeck rät aus diesem Grund dazu, Großevents weiterhin zu untersagen. Diese Maßnahme scheine rückblickend „am ehesten was gebracht zu haben“, erläuterte der Virologe gegenüber dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Zwar könne es auch weiterhin lokale Ausbrüche geben, aber an eine zweite Welle, „die uns regelrecht überschwemmt und überfordert“, glaubt auch der Autor der „Heinsberg-Studie“ nicht mehr. Dennoch werde das Virus die Menschen wegen des fehlenden Impfstoffes noch länger beschäftigen.

Insgesamt aber, so sehen es die Experten, ist Deutschland in einer komfortablen Situation. Immerhin seien milde Maßnahmen ausreichend gewesen, um die Epidemie zu stoppen. Die Arbeit seines Forschungsteams und der Austausch mit der Politik sei dafür maßgeblich gewesen, sagte Drosten dem „Spiegel“. Anderenfalls, glaubt er, gebe es in Deutschland jetzt „50.000 bis 100.000 Tote mehr“.

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