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Bild: dpa/G. Fischer
Volkinitiativen und -begehren

Rot-Rot-Grün will Berliner Abstimmungsgesetz ändern

Seit fast einem Jahr prüft der Berliner Senat, ob das Volksbegehren "Deutsche Wohnen & Co enteigenen" rechtens ist. Um solche "Endlosprüfungen" zu vermeiden, will Rot-Rot-Grün das Abstimmungsgesetz ändern. Der Plan ist schon älter.

Die rot-rot-grüne Koalition in Berlin will den Bürgern die direkte Mitbestimmung erleichtern. So sollen die Verfahren beispielsweise bei Volksinitiativen oder Volksbegehren geändert werden. Dazu soll unter anderem das Abstimmungsgesetz geändert werden, wie die Fraktionen von SPD, Linken und Grünen im Abgeordnetenhaus am Freitag mitteilten.

So werden dem Senat zufolge erstmals feste Fristen für die Prüfung der Zulässigkeit von Volksbegehren und der amtlichen Kostenschätzung gesetzt. Die Kostenschätzung muss künftig nach zwei Monaten vorliegen, die Frage der Zulässigkeit eines Volksbegehrens nach maximal fünf Monaten geklärt sein.

"Endlosprüfungen werden der Vergangenheit angehören"

Ziel der Neuerung ist, dass diese Verfahren künftig nicht mehr so lange brauchen wie heute in manchen Fällen. "Endlosprüfungen werden der Vergangenheit angehören", sagte der demokratiepolitische Sprecher der Linke-Fraktion, Michael Efler. Ein prominentes Beispiel ist das geplante Volksbegehren für die Enteignung großer Wohnungskonzerne, dessen Zulässigkeitsprüfung durch den Senat schon fast ein Jahr dauert.

Zudem soll die Prüfung der Unterstützer-Unterschriften vereinfacht werden. Die eingereichten Listen werden dem Gesetzentwurf zufolge nur so lange auf Gültigkeit geprüft, bis das nötige Quorum erreicht ist. Die übrigen Unterschriften sollen nur noch hochgerechnet werden. Damit soll zudem die Verwaltung entlastet werden.

Initiatoren haben Anspruch auf Kostenerstattung

Initiatoren von Volksbegehren und Volksentscheiden können künftig Anspruch auf Kostenerstattungen von jeweils bis zu 35.000 Euro in beiden Phasen haben. Das betrifft den Teil der Kosten, der für die Information der Öffentlichkeit über das Anliegen anfällt. Geplant sind auch neue Regelungen, um die Finanzquellen der Initiatoren transparenter zu machen.

Neu geregelt wird zudem, dass Volksentscheide in Zukunft grundsätzlich zeitgleich mit Wahlen durchgeführt werden, die innerhalb von acht Monaten nach dem vorausgehenden Volksbegehren anstehen. Bisher ist festgelegt, dass der Volksentscheid vier Monate nach einem erfolgreichen Volksbegehren stattfinden muss.

"Leider kommen die Neuregelungen für viele Initiativen zu spät"

Mit den Neuerungen würden die Koalitionsfraktionen umsetzen, was sie im Koalitionsvertrag Ende 2016 festgelegt hatten. 

Die Organisation "Mehr Demokratie" bewertete die Neuerungen positiv. "Die Reform des Abstimmungsgesetzes enthält viele deutliche Erleichterungen für Initiativen und hebt die direkte Demokratie in Berlin damit auf das nächste Level", so Landesvorstandssprecherin Regine Laroche. "Leider kommen die Neuregelungen für viele Initiativen zu spät." Laufende Volksbegehren wie das für ein Transparenzgesetz und "Deutsche Wohnen & Co enteignen" profitierten kaum davon. Hier sei viel Zeit unnötig verschleppt worden.

Drei Stufen der Mitbestimmung

Die Volksinitiative ist vor allem Mittel, um die politischen Organe mit der Nase auf ein bestimmtes Thema zu stoßen. In Berlin und Brandenburg sind die Modalitäten zu Ablauf und Erfolg ähnlich. Stadt und Land messen der Volksinitiative jedoch unterschiedliches Gewicht bei.

Berliner Bürgern soll die Volksinitiative ermöglichen, sich unkompliziert mit Anliegen im Parlament Gehör zu verschaffen. In Brandenburg kann sie auch verlangen, dass Gesetze geändert oder sogar der Landtag aufgelöst wird. Tabu ist in beiden Ländern das Geld. Haushalt, Bezüge oder Personalentscheidungen können nicht zum Inhalt einer Volksinitiative gemacht werden.

Teilnehmen können in Berlin alle Einwohner ab 17 Jahren, ebenso in Brandenburg. Hier gibt es allerdings für Ausländer gewisse Einschränkungen. Auf Unterschriftenlisten können sich die Bürger eintragen. Die Initiatoren der Volksinitiative sind dabei frei, wo und wann die Unterschriften gesammelt werden.

Wichtig für den Erfolg ist, egal ob in Berlin oder Brandenburg: Die Initiative muss von mindestens 20.000 Einwohnern unterzeichnet werden. Geht es um einen Antrag auf Auflösung des Landtages müssen mindestens 150.000 Brandenburger unterschreiben.

Sind die notwendigen Unterschriften geleistet, ist die Politik wieder am Zug: In Brandenburg muss der Landtag innerhalb von vier Monaten entscheiden, wie er mit den Forderungen der Bürger umgeht. Stimmt er einem Gesetzentwurf oder dem Antrag auf Auflösung des Landtages in dieser Frist nicht zu, können die Vertreter der Volksinitiative ein Volksbegehren verlangen.

Dies ist in Berlin nicht möglich. Hat sich das Abgeordnetenhaus mit dem Thema befasst, egal mit welchem Ergebnis, ist der Verfahrensweg abgeschlossen.

Das Volksbegehren zielt, anders als die Volksinitiative, bereits in eine ganz konkrete Richtung. Gesetze sollen erlassen, geändert oder aufgehoben werden. Die Bürger können auch eine Neuwahl fordern. Beim Volksbegehren gibt es in beiden Bundesländern große Unterschiede.

Berlin hat ein zweistufiges Verfahren eingeführt. Da hier eine gescheiterte Volksinitiative nicht automatisch zu einem Volksbegehren führt, müssen die Initiatoren zunächst 20.000 Unterschriften sammeln und einen Antrag auf Volksbegehren stellen. Haben sie Erfolg, wird es zugelassen.

In einem zweiten Schritt müssen sieben Prozent aller wahlberechtigten Berliner unterschreiben, um ein Volksbegehren zu einem einfachen Gesetz durchzusetzen.

In Brandenburg sind es 80.000 Menschen, die sich innerhalb von sechs Monaten in die amtlichen Listen einschreiben müssen. Geht es um die Änderung der Verfassung oder Neuwahlen, sind noch mehr Unterschriften notwendig.

Obwohl es in Brandenburg nur ein einstufiges Verfahren gibt, scheiterten hier bislang alle Volksbegehren bis auf zwei. Der Grund liegt vermutlich darin, dass die Teilnahme für die Bürger sehr aufwändig ist. Sie können ihre Unterschrift, anders als in Berlin, nur auf einem Amt abgeben und müssen sich dabei ausweisen. In Berlin können die Unterschriften für ein Volksbegehren hingegen auf der Straße gesammelt werden.

Zum Volksentscheid kommt es, wenn ein Volksbegehren erfolgreich war, Landtag oder Abgeordnetenhaus aber keine Gesetzesänderung beschließen. Stimmen die Bürger per Volksentscheid für ein Gesetz, gilt es und hat denselben Stellenwert, als wäre es von der gewählten Vertretung beschlossen worden.

Die Spielregeln für Brandenburg und Berlin sind gleich: Der Volksentscheid läuft ab wie eine Wahl. Stimmt die Mehrheit der Bürger - mindestens aber ein Viertel aller Wahlberechtigten (das so genannte Quorum) - für das Gesetz oder die Vorlage, ist sie angenommen.

Wie viele Menschen das Viertel der Wahlberechtigten eigentlich ausmachen, wird übrigens am letzten Tag des entsprechenden Volksbegehrens erst festgelegt. Da viele Menschen zu- und wegziehen, kann diese Zahl von Volksentscheid zu Volksentscheid schwanken. Beim Volksentscheid zum Tempelhofer Feld in Berlin im Mai 2014 waren 622.785 Ja-Stimmen nötig. Dieses Quorum wurde deutlich überschritten.

In Brandenburg gab es noch nie einen Volksentscheid. In Berlin schafften seit 1999 von sieben Volksbegehren nur fünf die Hürde und nur zwei hatte Erfolg. So erzwangen die Berliner 2011 die Offenlegung von Verträgen, die beim Verkauf von Teilen der Wasserbetriebe abgeschlossen worden waren. 2014 stimmten sie gegen die Bebauung des Tempelhofer Feldes.

Sendung: Abendschau, 29.05.2020, 19:30 Uhr