Humanitäre Forschung

Archäologen leisten auch Entwicklungsarbeit

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Moderne Archäologie soll nicht nur forschen: Sie hilft Indigenen dabei, ihre antiken Schätze zu erhalten. In Honduras hofft ein Forscherteam, so die Wirtschaft anzukurbeln.

Die honduranischen Schulkinder staunen, als ihnen der deutsche Archäologe die schönen, aber auch seltsamenen Gegenstände zeigt: Die bemalten Keramikteile, Tonfiguren und Perlen wurden alle auf ihrem Pausenplatz ausgegraben – von einem Archäologenteam aus Europa.

Archäologe Markus Reindel hat bei seinem Besuch den ersten Forschungsbericht mit Fotografien, Plänen und Zeichnungen aus Guadalupe dabei, den er der sichtlich stolzen Schulleiterin Mildred Fenández überreicht.

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Markus Reindel zeigt den Schülern der Dorfschule, was auf ihrem Pausenplatz begraben liegt.Jo Siegler

Eine kleine Geste von Markus Reindel, aber eine mit grosser Wirkung. Der fremde Professor will den Einheimischen nämlich deutlich machen, dass er und sein Team nicht nur gekommen sind, um zu forschen und womöglich archäologische Schätze mit nach Europa zu nehmen. Sie wollen etwas hierlassen.

In den Augen von Markus Reindel ist das ebenso wichtig wie die Forschung selbst: «Unser Auftrag ist, die Geschichte in einer positiven Weise darzustellen, sodass es ein Reichtum für die Menschen ist, eine solche Geschichte zu haben.»

Nicht nur forschen, auch austauschen

Immer, wenn Archäologen im Ausland tätig sind, stehen Austausch und Vermittlung der gewonnenen Erkenntnisse ganz oben auf der diplomatischen To-do-Liste. Gerade in Entwicklungsländern wie Honduras ist internationale Zusammenarbeit existenziell wichtig für die Forschung.

Das Know-how und die finanziellen Mittel der Schweizer und Deutschen Fachleute helfen, die oft schlecht ausgestatteten Denkmalschutz-Behörden zu stärken. Ebenso wichtig erscheint den Experten die Kommunikation mit der einheimischen Bevölkerung.

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Die Schulleiterin Mildred Fernández freut sich über die Zusammenarbeit mit dem deutschen Archäologen Reindel.Jo Siegler

Schulleiterin Mildred Fernández ist fasziniert vom Gedanken, dass ausgerechnet auf ihrem Schulhof bereits vor über 1000 Jahren Menschen gesiedelt haben: «Ich konnte mir bisher nicht vorstellen, dass gerade hier vor uns ein Fenster unserer Geschichte aufgeht. Es ist spannend zu ergründen, was hinter diesem Fenster liegt, das jetzt aufgestossen wird. Es ist toll, allen zu zeigen, dass unser Dorf vielleicht eine ganz andere Vorgeschichte hat.»

Stolz auf die eigene Vergangenheit

In Guadalupe, dem Wohn- und Arbeitsort des Archäologen-Teams, leben Menschen, die sich zur Bevölkerungsgruppe der «Garifuna» zählen. Innerhalb der honduranischen Gesellschaft gelten sie als Randgruppe und werden mitunter benachteiligt.

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Die meisten Garifuna leben in Belize, wo sie 7 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. In anderen Ländern, wie in Honduras, sind sie eine ethnische Minderheit.Jo Siegler

Umso wichtiger ist der Schulleiterin Mildred Fernández, dass die Forscher ausgerechnet in ihr Dorf gekommen sind und dass ihre Schulkinder davon profitieren: «Ich bin zu 100 Prozent eine Garifuna. Ich liebe meine Kultur und versuche sicherzustellen, dass unsere Kinder sie nicht verlieren. So können wir uns stolz fühlen, hier in dieser Gemeinde zu leben und Garifuna zu sein – und stolz, dieses archäologische Projekt hier in der Schule zu haben.»

In Zusammenarbeit mit dem Zürcher Museum Rietberg und mit finanzieller Unterstützung der Schweizerisch-Liechtensteinischen Stiftung für Archäologie, der Regula Pestalozzi Stiftung, der Deutschen Botschaft in Honduras und dem Deutschen Auswärtigen Amt entsteht auf dem Schulgelände sogar ein kleiner Museumskomplex.

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Das Museum in Guadalupe soll in Zukunft die Fundstücke der verschollenen Kultur zeigen.Jo Siegler

Hier sollen bald die schönsten Fundstücke zu besichtigen sein und Einheimische wie auch Touristen sollen sich informieren können über den neuen Reichtum an Geschichte dieser Region.

So könnte ein kleiner wirtschaftlicher Aufschwung für das Dorf entstehen. «Ich würde mir sehr wünschen, dass dieser Ort und seine Geschichte bekannter werden in der Welt und dass die Kinder, die in dieser Schule unterrichtet werden dadurch mehr Möglichkeiten bekommen», schmunzelt Mildred Fernández und schaut sich noch einmal die Pläne und den ersten Rohbau ihres kleinen Museums an.

Archäologie als Wirtschaftsfaktor

Es mag auf den ersten Blick unbedeutend erscheinen, wenn Schweizer und deutsche Archäologen irgendwo auf der Welt in einem Entwicklungsland eine kleine Ausgrabung starten, ein winziges Museum irgendwo in einem Dorf bauen und einigen wenigen Einheimischen für ein paar Wochen im Jahr eine Arbeit auf der Ausgrabung oder in der Küche des Grabungshauses verschaffen.

Doch Archäologie denkt weiter. Es gibt viele Beispiele, bei denen archäologische Forschungen im Ausland zur wirtschaftlichen Initialzündung für ganze Regionen geworden sind. So haben sich etwa die Fundstellen Göbekli Tepe in der Türkei oder Nasca und Palpa in Peru längst zu regelrechten Touristen-Attraktionen entwickelt.

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Die ersten Nasca-Linien entdeckten Archäologen in den 1920er-Jahren zu Fuss. Heute sind bereits über 1500 davon bekannt.Reuters

Besonders engagiert verfolgen Archäologen wie Markus Reindel und sein Kollege Peter Fux vom Museum Rietberg das Ziel, den Einheimischen einen neuen Bezug zu ihrer Heimat zu verschaffen.

Gerade junge Leute könnten völlig neue Perspektiven für ihr Leben und ihre Zukunft in ihrer Heimat gewinnen: «Die Menschen kriegen einen ganz anderen Bezug zu ihrer Heimat und sie erkennen deren Wert. Letztendlich stärkt das auch das Selbstbewusstsein der Menschen für ihre eigene Region.»