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Kerstin Andreae.© imago images / Winfried Rothermel
Konjunktur

„Wir brauchen eine schnelle Entlastung“

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Kerstin Andreae, Chefin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft, fordert eine deutliche Senkung der Strompreise. Sie schlägt vor, die EEG-Umlage einzufrieren.

Sie fordert niedrigere Strompreise und mehr Elektroautos. Für die Geschäftsführerin des Energiedachverbandes BDEW; Kerstin Andreae muss ihre Branche bei einem staatlichen Konjunkturprogramm im Fokus stehen. Es gelte den Klimaschutz zu fördern und zugleich die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Die Unternehmen seien zu Investitionen im großen Stil bereit, die Politik müsse dafür aber unter anderem beim Ausbau der Solar- und der Windenergie die Rahmenbedingungen verbessern.

Frau Andreae, in der Energiepolitik ist in den vergangenen drei Monaten wegen Corona viel liegen geblieben. Was muss nun vordringlich getan werden?

Die aktuelle Debatte über ein Konjunkturprogramm ist wichtig für die Energiewirtschaft, weil jetzt Weichen gestellt werden, um die Energiewende und nachhaltige Investitionen voran zu bringen. Im Moment kann man viel falsch aber eben auch viel richtig machen. Die Energiebranche ist eine der wichtigsten Konjunkturstützen in Deutschland. Für neue Mobilität brauchen wir die Energiewirtschaft ebenso wie bei der Dekarbonisierung der Industrie und bei der Wasserstoff-Strategie.

Elektromobilität ist bei der Diskussion über ein Konjunkturprogramm einer der umstrittenen Punkte. Fordern Sie, dass es zusätzliche staatliche Kaufprogramme nur für vollelektrische Fahrzeuge gibt?

Kaufanreize im Automobilbereich sollten vor allem die nachhaltige Mobilität voranbringen, wir warten darauf. Die Energiewirtschaft liefert die Ladeinfrastruktur, deren Wirtschaftlichkeit hängt aber davon ab, dass möglichst viele Elektrofahrzeuge unterwegs sind. Deshalb ist für uns ein schneller Hochlauf der Elektromobilität sehr wichtig. Wir brauchen neue Elektroautomodelle, die von den Kunden in großer Zahl nachgefragt werden. Dann lohnt sich auch das Ladesäulennetz, das die Energiebranche schon aufgebaut hat. Wir haben bereits fast 28 000 öffentliche Ladepunkte in Deutschland.

Aber wir werden in diesem Jahr nur wenige E-Modelle von deutschen Herstellern sehen. Käme ein Kaufprogramm nicht zu früh?

Ich hoffe sehr, dass in den Konjunkturpaketen sehr klar im Fokus stehen wird, dass wir attraktive elektrisch betriebene Fahrzeug brauchen, damit wir einen Gleichklang zwischen dem Hochlauf der Ladeinfrastruktur und mehr E-Autos auf den Straßen erreichen.

Wie hoch müssen die bestehenden Kaufprämien aufgestockt werden? E-Autos sind noch immer sehr teuer.

Die Höhe der Prämie ist nicht der entscheidende Punkt. Entscheidend ist, dass die Autoindustrie den Hochlauf der Elektrofahrzeuge konsequent angeht. Denn auch Autos werden bezahlbar, wenn die Stückzahlen deutlich steigen.

Zur Person

Kerstin Andreae , Jahrgang 1968, hat Volkswirtschaftslehre studiert. Nach dem Diplom arbeitete sie unter anderem als Projektmanagerin im Gesundheitswesen, am sozialwissenschaftlichen Frauenforschungsinstitut der evangelischen Fachhochschule in Freiburg und bei einem Finanzdienstleister im Bereich Windenergie. Andreae gehörte von 1999 bis 2002 zum Gemeinderat der Stadt Freiburg. Danach war sie bis 2019 für Bündnis 90/Die Grünen Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Unter anderem fungierte sie als kommunalpolitische und als wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. In den Jahren 2012 und 2013 war Andreae die stellvertretende Fraktionsvorsitzende.
Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) wurde Andreae im November 2007.

Die Mitgliedsunternehmen des BDEW stehen für jeweils rund 90 Prozent des Strom- und des Erdgasabsatzes in Deutschland. Darüber hinaus für 80 Prozent der Trinkwasser-Förderung und 95 Prozent der Strom- und Gasnetzes. fw

Ein anderer wichtiger Punkt bei Konjunkturpaketen sind finanzielle Entlastungen für die Bürger. Was kann die Politik da tun?

Die Steuer- und Abgabenlast beim Strompreis muss reduziert werden. Die Nutzung von regenerativem Strom ist zum Beispiel in der Industrie häufig unattraktiv, weil der Strompreis zu hoch ist. Es gibt aktuell die Diskussion, die EEG-Umlage, die die Verbraucher mit ihrer Stromrechnung zahlen, auf einen bestimmten Betrag einzufrieren – wir werden dies mit unseren Mitgliedern als Option diskutieren. Ich persönlich finde das einen gangbaren Weg. Die Stromsteuer beträgt 2,05 Cent pro Kilowattstunde – hier befürworten wir eine Absenkung auf den in der EU zulässigen Mindestsatz von 0,1 Cent. Eine Senkung der EEG-Umlage und eine Reduzierung der Stromsteuer könnte insgesamt eine Entlastung von knapp fünf Cent pro Kilowattstunde bringen.

Das wären grob geschätzt zwischen 200 und 250 Euro weniger für einen Durchschnittshaushalt im Jahr. Reicht das, um die Kaufkraft nachhaltig zu stärken?

Man muss solche Entlastungsschritte natürlich in einem Gesamtpaket von Maßnahmen sehen, mit denen Verbraucher und Wirtschaft entlastet werden sollen. Diese Diskussion ist nicht trivial, denn diese Entlastung beim Strompreis müssen wir gegenfinanzieren. Manche sagen, das soll über den Haushalt und die allgemeinen Steuereinnahmen geschehen. Denkbar ist auch, die geplante Bepreisung von CO2 für fossile Kraft- und Brennstoffe konsequent für die Entlastung der Umlage zu nutzen, dann steht einer Belastung durch den CO2-Preis eine adäquate Entlastung mit ökologischer Lenkungswirkung gegenüber. Der Vorschlag des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat von 25 Euro pro Tonne im nächsten Jahr und eine Steigerung auf 55 Euro im Jahr 2025 sind hier richtige Schritte.

Also auch Strompreissenkung erst im nächsten Jahr?

Nein, man sollte darüber nachdenken, die Steuer- und Abgabenlast so schnell wie möglich deutlich zu senken. Wir sind in einer Krise, nicht im Normalzustand. Was wir brauchen, ist eine schnelle Entlastung vor allem von privaten Haushalten, von Kleingewerbe und Handwerksbetrieben. Damit können wir schnell viel erreichen.

Der Staat hilft dabei, veraltete Öl-Heizungen durch moderne Lösungen mit Erneuerbaren zu ersetzen. Da gibt es schon Zuschüsse von bis zu 40 Prozent der Kosten. Reicht das als Anreiz?

An Ölheizungen klebt ein Verfallsdatum. Es geht darum, möglichst schnell umzuschwenken. Die bestehenden Förderprogramme sind gut. Allerdings ist die Antragsstellung zu kompliziert, sie muss vereinfacht werden. Problematisch ist auch, dass die Umstellung bei älteren Häusern sehr aufwendig ist. Ein Ausbau von Fernwärmeleitungen ist in vielen Fällen eine Alternative. Und wir haben die Option moderner Gasheizungen, die in absehbarer Zukunft synthetischen Brennstoff einsetzten können, der mit erneuerbarem Strom hergestellt wird. Solche Lösungen müssen wir mitdenken. Das können wir im Zuge des Kohleausstiegs voranbringen, indem wir KWK-Anlagen – Kraftwerke, die neben Strom auch Wärme erzeugen – von Kohle auf Gas umstellen – mit der Möglichkeit demnächst auch verstärkt grünen Wasserstoff einzusetzen, der aus Ökostrom hergestellt wird. Das ist ein sehr wichtiges Thema.

Um den grünen Wasserstoff in großem Stil möglich zu machen, wäre ein gigantischer Ausbau aller erneuerbaren Energien nötig. Ist das wirklich realistisch?

Wasserstoff wird die nächste wichtige Säule der Energiewende sein, die wir ausbauen müssen und auch ausbauen können. Wir sollten den Mut haben, dies auf den Weg zu bringen. Aber Ihre Skepsis ist berechtigt. Vor jeder Anlage, die grünem Wasserstoff herstellt, steht ein Windrad. Deshalb muss das Thema in einen europäischen Kontext eingebettet werden. Denn nur auf europäischer Ebene können wir die erforderlichen Mengen an Ökostrom erzeugen, der dann in Elektrolyseanlagen in Wasserstoff verwandelt wird.

Interview: Frank-Thomas Wenzel