Greta (3) soll von ihrer Erzieherin getötet worden sein

Was für ein Mensch tut Kindern so etwas an?

Greta war gerade beim Mittagsschlaf, als sie aufhörte zu atmen

Ende April wurde Greta mit Atemstillstand von der Kita ins Krankenhaus eingeliefert. Wenige Tage später starb die Dreijährige. Laut den Ermittlungen kam das Mädchen durch massive Gewalteinwirkung gegen Hals und Brustkorb zu Tode. Angetan haben soll ihr das Kita-Erzieherin Sandra M. (25). Eine Frau, die eigentlich für die Betreuung und den Schutz von Kindern zuständig ist. Wie die Polizei mittlerweile herausfand, war Greta aber nicht das einzige Kind, bei dem es in der Obhut der 25-Jährigen zu Zwischenfällen kam. Stellt sich Frage: Was ist das für ein Mensch, der Kindern so etwas antut?

von Anna Kriller

Wie passt der Beruf des Erziehers zu jemandem, der gewaltbereit ist?

Wer bewusst den Beruf eines Erziehers oder einer Erzieherin wählt, mag Kinder, hat einen guten Zugang zu ihnen, kann Dinge entsprechend vermitteln, behält den Überblick und ist fürsorglich - das könnte man meinen. Im Fall von Sandra M. trifft das offenbar alles nicht zu. Schon während ihrer Ausbildung zur Erzieherin wurde ihr bescheinigt, nicht für den Beruf geeignet zu sein, wie die Polizei mitteilte. Kitas, in denen sie gearbeitet hat, bewerteten sie als "wenig empathisch" und "unfähig, zu entscheiden, wann man in Situationen dazwischen gehen muss". Jetzt steht sie sogar im Tatverdacht, Gewalt gegen mehrere Kinder verübt und ein Kind getötet zu haben. Was treibt jemanden mit diesen Eigenschaften dazu an, Erzieher zu werden?

"Als mitfühlende Menschen gehen die meisten von uns davon aus, dass ausschließlich liebevolle und empathische Menschen einen solchen sozialen Beruf ausüben. Genau dies ist jedoch leider nicht der Fall", erklärt uns die Systemische Familienberaterin Ruth Marquardt im Interview.

Warum jemand dann speziell den Beruf des Erziehers ausgewählt hat, kann vielschichtige Motive haben. "Es ist leider durchaus bekannt, dass gerade der Beruf der Erzieherin oder des Erziehers immer wieder auch als Deckmantel von Menschen genutzt wird, die sich an Kindern gewaltsam vergehen wollen", weiß Marquardt. Aus Tätersicht seien Berufe mit Kinderbezug darum ideal, um sich Kindern unauffällig nähern zu können.

Was könnte hinter dieser Gewaltbereitschaft an Kindern stecken?

"Aus meiner Erfahrung haben solche Täter oder Täterinnen häufig selbst in ihrem Leben massive Gewalterfahrungen erlebt und werden als ehemalige Opfer später selbst zu Tätern. Sie fühlen Hass auf sich selbst, auf andere, verspüren Rachegelüste oder auch eine Art Zwang, sich oder andere verletzen zu müssen, um einen inneren Druck abzubauen", erklärt Marquardt.

Auch Diplom-Psychologe Dr. Dirk Baumeier sieht Rache als Motivation für solche Taten: "Wer gewalttätig gegen Schwächere und Ungeschützte vorgeht, möchte sich gewissermaßen am Leben rächen. Die Betreffenden haben in früheren Zeiten selbst oftmals Verletzungen erlitten oder besitzen das Gefühl, das Leben würde es generell schlecht mit ihnen meinen. Das entschuldigt niemals die Tat, wirft aber ein psychologisches Schlaglicht auf die Betreffenden."

Könnte bei Sandra M. eine psychische Störung vorliegen?

Im Mai 2019 wurde gegen Sandra M. ein Verfahren wegen des Vortäuschens einer Straftat eingeleitet. Die Erzieherin will im Wald Opfer eines Übergriffs geworden sein. Bei einer gerichtsmedizinischen Untersuchung fiel aber auf, dass die Frau sich die Schnittwunden im Gesicht wohl selbst zugefügt hatte. Schon damals sei ihr dringend geraten worden, sich psychologische Hilfe zu suchen. Auch bei einer Pressekonferenz zum Fall in Viersen am Donnerstag deuteten die Ermittler an, dass die mutmaßliche Täterin psychische Probleme hat. Einige Medien spekulieren sogar darüber, ob Sandra M. das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom hat. Kann das sein?

"Im vorliegenden Fall gab es Hinweise auf psychische Unausgeglichenheiten. Die Annahme eines Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms würde ich aber verwerfen", erklärt Dr. Baumeier. "Bei diesem Syndrom werden Verletzungen bei Kindern vorgetäuscht oder tatsächlich verursacht, um danach selbst die Rolle eines scheinbar liebe- und aufopferungsvoll Pflegenden zu übernehmen. Die betreffende Erzieherin hat jedoch Kinder misshandelt, ohne anschließend besondere Fürsorge vorzutäuschen. Im Gegenteil: Der Erzieherin wurde eher ein Mangel an Empathie zugeschrieben. Ich gehe von einer psychischen Erkrankung bei der Erzieherin aus, da ihre Taten die Grenzen des Normalen und Akzeptierten weit hinter sich lassen."

Dass eine Störung bei Sandra M. vorliegt, scheint klar, sagt auch Marquardt. Welche Diagnose zutreffend sein könnte, werden aber die entsprechenden Fachleute feststellen müssen.

Wie könnte man solche Taten verhindern? Wären psychologische Tests bzw. vermehrte Tests im Erziehungsbereich sinnvoll?

"Ob man solche Taten komplett verhindern kann, ist schwer zu sagen", gibt Familienberaterin Ruth Marquardt zu bedenken. "In der Tat kann es hilfreich sein, psychologische Tests durchzuführen. Es gibt eine Reihe guter Tests, die aufzeigen, ob eine Person empathisch ist oder nicht. Wichtig ist jedoch auch, bei der Einstellung darauf zu achten, was das Bauchgefühl sagt."

Im Fall von Sandra M. gab es sogar Arbeitszeugnisse, die darauf hingedeutet haben, dass sie nicht geeignet ist für den Beruf der Erzieherin. Wie es dazu kommen konnte, dass sie trotzdem weiter angestellt wurde, erklärt Waltraud Weegmann, Bundesvorsitzende des Deutschen Kitaverbands hier. "Im Zweifel sollte man einer solchen Person eine Absage erteilen. Jedoch ist das Thema damit nicht vom Tisch - denn diese Menschen werden weitergehen und sich neue 'Opfer' suchen", erklärt Marquardt.

Das Problem: "Täterinnen und Täter sind häufig Meister der Verkleidung, der Verwandlung - sie wissen, sich anzupassen, sich zu verstellen. Und es gibt durchaus psychische Störungen, bei denen Menschen völlig unauffällig agieren und nur in einzelnen Momenten, in denen sie sich absolut unbeobachtet fühlen, ihr 'anderes Gesicht' zeigen. Wichtig ist, dass sowohl Eltern als auch Kolleginnen oder Kollegen wachsam sind für die eigene Wahrnehmung. Das untrügliche Bauchgefühl sollte nicht weggedrückt, sondern eher beobachtet und erst genommen werden. Es liefert meist entscheidende Hinweise."

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