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Das Coronavirus hat in Spanien Spuren hinterlassen.© Álex Zea/picture alliance/dpa
Spanien

Die größte Not lindern

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Spanien führt erstmals Sozialhilfe ein – die soll auch die Folgen der Corona-Krise abfedern. Doch viele Details sind noch nicht geklärt.

Pedro Sánchez konnte der Versuchung nicht widerstehen: Er musste sich ordentlich auf die Schulter klopfen. „Wenn wir Sozialisten regieren,“ schrieb der spanische Ministerpräsident am Freitag auf Twitter, „schreitet Spanien voran. Mit dem Mindestlebenseinkommen bringen wir ein neues Recht für die Bürger auf den Weg und kommen bei der sozialen Gerechtigkeit voran.“

Sein Selbstlob galt dem Beschluss der Regierung, in Spanien eine nationale Sozialhilfe – Mindestlebenseinkommen genannt – einzuführen. Von einer „historischen Maßnahme“ sprach Sánchez bei einer anderen Gelegenheit. Und da ist was dran.

Spanien gehört zu den europäischen Ländern mit der höchsten Zahl an Menschen, die als arm gelten – bei eher mäßig ausgebautem Sozialsystem. Nach Zahlen des EU-Statistikamts Eurostat für 2018 sind in Spanien 26,1 Prozent der Bevölkerung von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, womit das Land an siebtletzter Stelle liegt. Die Sozialausgaben pro Kopf summierten sich 2017 auf gut 5800 Euro, was deutlich unter dem EU-weiten Schnitt von knapp 8400 Euro liegt und gerade mal die Hälfte des deutschen Werts ist.

Die Armut in dem Land ist nicht offensichtlich. Wer die Statistiken nicht kennt, sieht ein hochentwickeltes, prosperierendes Land. Es ist ein Wunder, wie sich die Menschen durchschlagen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben und nach kurzer Zeit – im besten Fall nach zwei Jahren - kein Arbeitslosengeld mehr bekommen. Meistens hilft die Familie aus, manchmal hilft (schlecht bezahlte) Schwarzarbeit.

Wer nicht mehr weiter weiß, wendet sich an die Hilfsorganisationen. Und dort gab es in diesen Wochen der Corona-Krise Bilder zu sehen, die einen Eindruck vom sozialen Elend vermittelten: die „Hungerschlangen“: Menschen, die für Essen anstehen. Die Caritas kennt noch keine Zahlen, wie sehr der Bedarf seit Beginn des Notstandes Mitte März gestiegen ist. Aber alle Armenküchen in Spanien berichten von Hochbetrieb. „Das Mindestlebenseinkommen ist ein wichtiger Schritt, um die Folgen dieser Krise zu lindern“, sagt Raúl Flores von Caritas Spanien.

Nach dem Beschluss der Regierung vom Freitag soll ein Alleinstehender Anspruch auf ein monatliches Einkommen von 461,50 Euro haben; die maximale Hilfe für fünf- oder mehrköpfige Familien wird sich auf 1015 Euro belaufen. Wer bereits andere, niedrigere Einkommen oder Hilfen bezieht, dem wird der Differenzbetrag zum Mindestlebenseinkommen bezahlt. Voraussetzung für die Auszahlung ist die aktive Suche nach bezahlter Arbeit. Auch Ausländer, die seit mindestens einem Jahr legal in Spanien leben, haben Anspruch.

Die Regierung schätzt, dass rund 850 000 Haushalte, „die ärmsten 17 Prozent der Bevölkerung“, von dieser nationalen Sozialhilfe profitieren werden. Die Ausgaben dafür „werden sich auf drei Milliarden Euro im Jahr belaufen“, heißt es weiter. Sollte sich diese Zahl als korrekt herausstellen, bedeutete das – umgerechnet auf den Empfängerhaushalt – eine monatliche Unterstützung von durchschnittlich knapp 295 Euro, also deutlich weniger als das versprochene „Mindestlebenseinkommen“. Der Rest, so hofft die Regierung, werde durch eigene Einkünfte oder durch Sozialhilfeprogramme der 17 autonomen Regionen generiert.

Auffällig ist, dass die Regierung bisher keine Verwaltungskosten für die neue Hilfe angesetzt hat. Die Arbeit sollen Stadt- und Provinzverwaltungen und die Sozialversicherung Seguridad Social übernehmen. Ebenfalls auffällig ist die Höhe der Hilfe, unabhängig von den Lebenshaltungskosten am Wohnort. Auch von Wohngeld ist bisher noch nicht die Rede. Kiko Lorenzo von Caritas Spanien sagt über die neue Sozialhilfe: „Sie ist nicht gut genug organisiert, als dass man von einem System sprechen könnte.“ Aber ein Schritt zum Besseren ist gemacht worden.