Klimafreundliche Maßnahmen: Frankreich als Vorbild? Corona-Hilfen rücken größte Sorge der Deutschen in den Fokus
by FOCUS OnlineFreitag, 29.05.2020, 16:23
Der Staat setzt Milliardenprogramme auf, um die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise abzumildern. Kurzfristig sollen Insolvenzen verhindert und Arbeitsplätze gesichert werden. Doch wie klimafreundlich fallen die Staatshilfen aus? Für die ambitionierten Klimaziele Deutschlands ist diese Frage entscheidend.
Es war bemerkenswert, was die französische Verkehrs- und Umweltministerin Elisabeth Borne zur Rettung der französisch-niederländischen Fluggesellschaft Air France-KLM zu sagen hatte. Mit 7 Milliarden Euro eilt der französische Staat dem angeschlagenen Konzern in der Coronakrise zur Hilfe.
Doch es gibt eine Bedingung: „Air France hat sich verpflichtet, bis 2024 die CO2-Emissionen im Binnenluftverkehr um 50 Prozent zu reduzieren und Inlandsflüge auf Strecken drastisch zu vermindern, für die Alternativen auf der Schiene (mit einer Fahrzeit) von weniger als 2,5 Stunden existieren“, so die Ministerin. Staatliche Hilfen gibt es für den Konzern mit seinen 88.000 Mitarbeitern also nur unter Klimaschutzauflagen.
Größte Sorge der Deutschen ist weiterhin der Klimawandel
Das Beispiel der staatlichen Rettungsaktion aus Frankreich wirft ein Schlaglicht auf eine der dringendsten Fragen in der Corona-Rezession: Wie klimafreundlich kann und muss der wirtschaftliche Wiederaufbau nach der Pandemie sein?
Dass dieses Thema auch in der breiten Bevölkerung als dringlich wahrgenommen wird, belegt eine neue Umfrage des Allensbach Instituts: 34 Prozent der 1013 telefonisch Befragten gaben demnach an, dass der Klimawandel momentan ihre größte persönliche Sorge sei — beim Coronavirus sagten das 30 Prozent. An dritter Stelle folgt die Sorge über Einkommensverluste (26 Prozent).
Die Politik muss nun also einen Spagat meistern, der nicht neu ist: Wie können in der Rezession Arbeitsplätze gesichert werden, ohne die eigenen Klimaziele zu vernachlässigen? Schon vor Corona diskutierten die verschiedenen Interessengruppen darüber, welche Abstriche beim Klimaschutz hinnehmbar wären, um Arbeitsplätze und die kurzfristige Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu sichern. Die Coronakrise mit ihren fundamentalen ökonomischen Folgen lässt diesen Konflikt mit aller Härte wieder hervortreten.
Insgesamt rechnet die Bundesregierung für das Jahr 2020 mit einem Rückgang des BIP um 6%. Zentrale Branchen wie die Automobilindustrie verzeichnen Umsatzeinbrüche und auch die Arbeitslosenquote stieg von März auf April um 0,7 Prozent, von 5,1 auf 5,8. Gerade wachsende Arbeitslosenzahlen bereiten der Politik Sorge, die im Eiltempo den Unternehmen Kurzarbeitergeld in Milliardenhöhe bewilligte.
Und auch in den kommenden Monaten werden weitere Milliarden als Konjunkturmaßnahmen in die Wirtschaft fließen – bislang hat der Staat 1170 Milliarden Euro an Zuschüssen, Krediten und Garantien zugesagt. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse wurde gleich zu Beginn der Krise ausgesetzt.
Staatliche Hilfsmilliarden: "Chance und Gefahr gleichermaßen"
All das spielt eine Rolle, wenn es um die klimapolitischen Ziele des Landes geht. Denn die vielen Milliarden, die der Staat nun notwendigerweise über Kredite und Kaufprämien bereitstellt, sorgen dafür, dass Unternehmen und private Haushalte zukünftige Investitionen vorverlagern, sagt Karen Pittel, Leiterin des Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen am Münchner Ifo-Institut und Vorsitzende eines Klimaschutz-Beratergremiums der Bundesregierung. Die vorgezogenen Investitionen stellen für die ökologische Entwicklung des Deutschlands „Chance und Gefahr gleichermaßen“ dar, sagt die Ökonomin. Entscheidend sei nun, wie das Geld investiert werde.
Was Pittel damit meint, lässt sich aktuell an zwei Branchen sehr gut nachvollziehen: der Automobil- und der Stahlindustrie. In Berlin diskutiert die Politik aktuell über eine Neuauflage der Abwrackprämie. Gestritten wird weniger darüber, ob es eine neue Prämie braucht, sondern vielmehr darüber, welche Autos bezuschusst werden sollen: nur klimafreundliche Antriebe oder auch Verbrennungsmotoren? Tatsächlich dürfte ein erneuter Kaufboom für Verbrenner Deutschland seinen Klimazielen kaum näherbringen.
Noch deutlich klimakritischer sind die Investitionsentscheidungen in der CO2-intensiven Stahlindustrie. Statt Hochöfen sollen hier in Zukunft Wasserstoffreduktionsanlagen und Elektro-Öfen eingesetzt werden. Für die gesamte Industrie hat die Wirtschaftsvereinigung Stahl einen Investitionsbedarf von mindestens 30 Milliarden Euro bis 2050 errechnet. „Das sind Investitionsentscheidungen für Technologien mit einer Laufzeit von 30 bis 40 Jahren“, unterstreicht Pittel ihre klimapolitische Bedeutung.
Investitionen im Sinne des Klimaschutz auch aus ökonomischer Perspektive sinnvoll
Für welche Zwecke staatliche Hilfen in der Krise nun verwendet werden, ist gerade im Hinblick auf die Entwicklung zukunftsfähiger und klimaschonender Technologien essenziell. Zu diesem Schluss kommt das Umweltbundesamt in seinem jüngst veröffentlichten Maßnahmen-Papier über die sozial-ökologische Konjunkturpolitik in und nach der Coronakrise. "Es dürfen keine staatlichen Investitionen in veraltete und auslaufende Technologien getätigt werden“, fordert Holger Bär, ein Verfasser der Studie, vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft.
Angesichts der Tatsache, dass sich die rechtlichen Rahmenbedingungen in den kommenden Jahrzehnten im Sinne des Klimaschutzes weiter verändern, sei es auch aus ökonomischer Sicht sinnvoll, die jetzigen Investitionen mit ökologischen Zielen zu verbinden, ergänzt IFO-Expertin Pittel.
Kurzfristige Konjunkturmaßnahmen können auch ökologisch nachhaltig sein
Wie aber könnten kurzfristige Konjunkturmaßnahmen aussehen? Maßnahmen, die Jobs und Wettbewerbsfähigkeit fördern und sich gleichzeitig in die europäisch-deutsche Klimaagenda einpflegen lassen?
Der Ökonom und Professor für Nachhaltigkeitsmanagement an der Leuphana Universität in Lüneburg, Stefan Schaltegger, hält es für richtig, staatliche Unterstützungen an Klimaauflagen zu knüpfen, und spricht dabei von „Lenkungswirkung“. Für den Bereich Verkehr schlägt der Wissenschaftler beispielweise Mobilitäts-Gutscheine statt einer Kaufprämie vor, deren Wert sich am jeweiligen Verkehrsmittel orientiert. So wäre der Coupon für den Kauf von ÖPNV-Tickets mehr Wert als beim Erwerb eines Elektrofahrzeugs. Beim Kauf eines Verbrenners würde der Wert auf Null fallen, erklärt der Ökonom.
Viele Wirtschaftsvertreter argumentieren jedoch, dass Veränderungen hin zu klimafreundlicheren Produkten und Produktionsweisen vor allem eines benötigen: Zeit. Doch die sei gerade während einer Rezession knapp. Durch Überbrückungskredite ist es nach Meinung Schalteggers allerdings durchaus möglich, Arbeitsplätze während der Umbauphase eines Unternehmens zu sichern.
Altmeier: "Der Staat ist kein guter Unternehmer"
Doch nicht alle Akteure teilen diese Meinung, wie sich am Beispiel der beschwerlichen Rettung der Lufthansa zeigt. Bewusst habe man keine staatlichen Vorgaben für das Lufthansa-Geschäft machen wollen, erklärte Wirtschaftsminister Peter Altmeier im ZDF. Seine Begründung: "Der Staat ist kein guter Unternehmer".
Die Lufthansa lehnte das 9-Milliarden schwere Rettungspaket wegen möglicher Auflagen der EU-Kommission dennoch ab. Im Vorfeld sprach sich die Oppositionspartei FDP bereits gegen staatliche Bedingungen im Zusammenhang mit Krisenhilfen für angeschlagene Unternehmen aus. "Staatsinterventionismus" sei das falsche Rezept zur Krisenbewältigung, da dieser "Pleitewellen und Massenarbeitslosigkeit strukturell verstärkt und zementiert", erklärte FDP-Vize-Fraktionschef Michael Theurer.