Das amerikanische Gemetzel
Mehr als 100’000 Corona-Tote, Massenarbeitslosigkeit – und jetzt gewalttätige Rassenunruhen. So hat Trump die USA wieder gross gemacht.
by Philipp LöpfeAnalyse
Bei seiner Antrittsrede im Januar 2017 malte der frisch inthronisierte Präsident ein düsteres Bild. Amerika habe in den letzten Jahren ein «Gemetzel» erlebt, so Trump. Doch das werde sich nun ändern. Er werde Amerika «wieder gross» machen.
Zunächst lief alles nach Plan. Trumps Vorgänger Barack Obama hatte ein gemachtes Haus hinterlassen. Die Wirtschaft brummte, die Arbeitslosenzahlen sanken auf ein Rekordtief, die Aktienkurse stiegen auf ein Rekordhoch. Trump konnte sich an seinen Rallys und auf Fox News feiern lassen.
Die Welt begann, sich an den seltsamen Mann im Weissen Haus zu gewöhnen. Sicher, er höhlte die eigene Verwaltung aus, und ja, er stiess die langjährigen Verbündeten vor den Kopf und entwickelte eine perverse Zuneigung zu Nordkoreas Diktator Kim Jong Un und Russlands Autokraten Wladimir Putin. So what! Wirklich ernsthafte Krisen gab es keine, und etwas konnte man nicht abstreiten: Trump hatte grossen Unterhaltungswert.
Dann kam das Coronavirus. Was das Impeachment nicht schaffte, traf nun ein: Der Präsident geriet in einen perfekten Sturm. Mehr als 100’000 Tote hat Covid-19 inzwischen gefordert, mehr als 30’000 sind wegen Trumps Führungsversagen gestorben. Das hat eine Studie der Columbia University kürzlich festgestellt.
Auch wenn gesamthaft die Zahl der Infizierten und Toten langsam sinkt, ist die Epidemie noch längst nicht überwunden. In verschiedenen Staaten steigen die Zahlen nach wie vor. Typisches Beispiel ist der Bundesstaat Wisconsin. Der demokratische Gouverneur wollte die Lockdown-Regeln verlängern, ein republikanisch dominierter Oberster Gerichtshof hob sie auf.
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Die Quittung folgt auf den Fuss: In Wisconsin nehmen die Corona-Fallzahlen wieder zu. Das gilt auch für verschiedene Bundesstaaten wie Alabama, Arkansas, Kalifornien und North Carolina.
Anstatt die Menschen hinter sich zu vereinen, spaltet der Präsident das Land. Obwohl er von «Krieg» und einem «unsichtbaren Feind» schwafelt, ist er nicht in der Lage, eine landesweite Strategie gegen die Epidemie zu entwickeln. Stattdessen müssen sich die Gouverneure um Schutzmasken und Beatmungsgeräte streiten.
Weil Trump sich bis heute weigert, eine Schutzmaske zu tragen, sind diese Masken zu einem Symbol eines erbitterten Kulturkrieges geworden. Inzwischen kann es lebensgefährlich sein, in gewissen Gegenden eine, respektive keine Schutzmaske zu tragen.
Dabei ist der wirtschaftliche Schaden immens. Über 40 Millionen Amerikaner sind inzwischen arbeitslos. Eine schwere Rezession, wenn nicht gar eine Depression, zeichnet sich ab. Genau weiss man es nicht, da die Regierung sich weigert, die sonst übliche Wirtschaftsprognose für das zweite Halbjahr zu veröffentlichen.
Ein eilig von Kongress und Präsident verabschiedetes Zwei-Billionen-Dollar-Hilfsprogramm hat bisher das Schlimmste verhindert. Doch im Juli laufen die 1200-Dollar-Schecks und die 600-Dollar-Arbeitslosenunterstützung aus. Die Fortsetzung des Hilfsprogramms ist ungewiss. Der republikanisch beherrschte Senat und der Präsident lehnen einen von den Demokraten im Abgeordnetenhaus ausgearbeiteten Vorschlag ab.
Und nun noch die Rassenunruhen. Ausgelöst durch einen unglaublich brutalen Polizistenmord an einem Schwarzen in Minneapolis sind nicht nur im Bundesstaat Minnesota, sondern im ganzen Land heftige Demonstrationen im Gang. Polizeigebäude und -autos brennen, Läden werden geplündert, Tränengas und Gummigeschosse werden verschossen. Die National Guard – Militär, das für die innere Sicherheit zuständig ist – musste aufgeboten werden.
Trump wäre nicht Trump, würde er nicht Öl ins Feuer giessen. «Bei den geringsten Schwierigkeiten werden wir die Kontrolle übernehmen», tweetete er. «Wenn geplündert wird, werden wir schiessen. Danke!»
Zu den innenpolitischen Unruhen gesellt sich ein aussenpolitisches Desaster. Der ursprüngliche Handelskrieg mit China ist inzwischen zu einem veritablen neuen Kalten Krieg mutiert. Dank Trumps ungeschicktem Vorgehen haben die USA dabei schlechte Karten. Peking nützt die Situation aus und geht energisch gegen die Demokratiebewegung in Hongkong vor. Den Amerikanern bleibt nichts ausser verbalen Protesten.
Auch Kim Jong Un dreht dem US-Präsidenten eine lange Nase. Anstatt die versprochene Abrüstung nuklearer Waffen voranzutreiben, kündigt Nordkoreas Diktator neue Tests mit Langstreckenraketen an. Derweil wartet Europa bloss noch auf einen Nachfolger im Weissen Haus und hofft, dass Trump bis dann nicht zu viel geopolitisches Geschirr zerschlägt.
Die befürchtete amerikanische Führungskrise ist Tatsache geworden. Trump ist unfähig, mit einer ernsthaften Krise umzugehen. Anstatt sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, lenkt er ab und eröffnet stattdessen Nebenschauplätze. Derzeit führt er einen idiotischen Kleinkrieg gegen Twitter.
So viel zu «Amerika wieder gross machen». Weil der pathologische Narzisst Trump unfähig ist, Empathie zu zeigen, sät er Zwietracht und Hass. Die USA und die Welt stehen vor einem sehr schwierigen Sommer.
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