Präsidialer Streit mit Twitter

«Trumps Dekret wird genutzt, um von etwas abzulenken»

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Nachdem Twitter einem Tweet des US-Präsidenten einen Faktencheck angefügt und ihm damit quasi widersprochen hat, wendet sich Donald Trump gegen das Unternehmen. Per Dekret will er den Betreibern der Plattform weniger Spielraum geben, gegen bestimmte Inhalte vorzugehen. Und den Klägern mehr Möglichkeiten, Twitter zu verklagen. Trump sagt, es gehe um die Meinungsfreiheit. Politische Gegner werfen ihm vor, er betreibe damit Wahlkampf. Politologe Christian Lammert sieht ein Ablenkungsmanöver.

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Christian Lammert
Politologe

Christian Lammert ist Professor für nordamerikanische Politik am John F. Kennedy Institut an der Freien Universität Berlin.

SRF News: Was bezweckt Trump mit der Unterzeichnung des Dekrets?

Lammert: Der Twitter-Faktencheck wird von ihm als Majestätsbeleidigung interpretiert. Er handelt dann immer sehr impulsiv, und man kann sich vorstellen, dass er im Weissen Haus getobt und gesagt hat: Das geht nicht. Was können wir dagegen tun? Seine Administration hat sich wohl gedacht: Okay, wir haben wieder ein Skandalthema, das wir pushen können. Die Diskussion um Meinungsfreiheit und soziale Medien lenkt etwas ab von der ökonomischen Diskussion, die momentan in den USA sehr wichtig ist.

Wenn Trump mit seinem Dekret durchkommt, müsste Twitter wohl als Folge seinen Account sperren.

Nächste Woche sollen neue Arbeitslosenzahlen veröffentlicht werden. Sie werden kein gutes Licht auf die Administration werfen. Es ist ein gängiges Muster: Ein anderes Thema wird genutzt, um zu skandalisieren und damit von etwas abzulenken. Denn wenn Trump mit dem Dekret durchkommt, müsste Twitter wohl als Folge seinen Account sperren, um nicht verklagt zu werden.

Hat Trump Chancen, dieses Dekret durchzusetzen?

Er hat es unterschrieben. Jetzt werden die Klagen eingereicht, und das wird vor die Gerichte gehen. Es geht um ein Gesetz von 1996, das der Kongress verabschiedet hat. Die Gerichte müssen feststellen, inwieweit Trumps Dekret legitim ist und sich noch im Rahmen dessen bewegt, was dieses Gesetz vorgibt. Es wird mehrere Wochen lang intensiv diskutiert werden. Dann kann es eventuell sogar bis zum Supreme Court gehen. Ich persönlich glaube, dort wird dieser «Executive Order» wieder einkassiert werden. Aber die Diskussion darüber wird dann bereits mehrere Wochen in Anspruch genommen haben.

Über 100'000 Menschen sind in den USA an Covid-19 gestorben. Millionen haben den Job verloren. Ist Trumps Wiederwahl im Hebst in Gefahr?

Das wird ganz problematisch für ihn. Das sieht man auch in der Handlungsweise seiner Administration, die jetzt massiv darauf drängt, dass das Land wieder geöffnet wird, um die ökonomischen Schäden dieser Krise nicht ausufern zu lassen. Aber die Zahlen sind desaströs. Und wenn man weiss, dass in solchen Situationen kaum je ein Präsident wiedergewählt worden ist, kann man die Nervosität verstehen. Nicht nur das Krisenmanagement wird ihm auf die Füsse fallen mit den vielen Toten. Auch die Rezession, vor der die USA stehen, wird Trumps Wiederwahl erschweren.

Wie beeinflussen die Unruhen in Minnesota den Wahlkampf?

Es wird sich zeigen, inwieweit sich dieser Protest stabilisieren kann, oder ob er sich über mehrere Tage, vielleicht auch Wochen hinziehen wird. Dann müssen sich die Kandidaten beider Parteien, Joe Biden und Donald Trump, eindeutiger positionieren und Konsequenzen daraus ziehen, was passiert ist.

Wenn man weiss, dass in solchen Situationen kaum je ein Präsident wiedergewählt worden ist, kann man die Nervosität verstehen.

Das Thema ist nicht neu. Polizeigewalt gegen Afroamerikaner beschäftigt die USA schon seit Jahrzehnten. Beide Parteien haben aber Schwierigkeiten, mit diesem Thema umzugehen. Trump, weil er sowieso wenig Unterstützung in der afroamerikanischen Gemeinschaft hat. Aber auch Biden hat sich in der Auseinandersetzung mit dem Thema bislang sehr fragwürdig verhalten.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.