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Karstadt Sports musste sich – wie die strauchelnde Muttergesellschaft – in ein Schutzschirmverfahren flüchten

Quelle: dpa

Intersport, Karstadt, Runners Point – jetzt muss schnell ein Retter her

Die Folgen der Pandemie bringen etablierte Ketten des Sportfachhandels ins Straucheln. Denn viele hatten schon vor der Krise Probleme. Als Retter bringt sich ein junger „Glückritter“ ins Gespräch. Doch der ganz große Sieger in der Branche steht längst fest.

Sportlich Ambitionierte suchen in diesen Tagen öfter mal vergeblich nach ganz bestimmten Produkten. Bei Hanteln, Tischtennisplatten oder dem Wunschlaufschuh etwa müssen die Verkäufer im Fachhandel immer mal wieder passen: „Sorry, gerade nicht verfügbar“, heißt es dann.

Die Ausrüstung für alle Sportarten, die man zu Hause oder alleine im Freien betreiben kann, sei in der aktuellen Corona-Phase gefragt wie selten zuvor und entsprechend knapp, sagt Karin Höcker vom Verband Deutscher Sportfachhandel (VDS). Artikel für Mannschaftssportarten oder Schwimmutensilien liegen dagegen eher bleiern in den Regalen.

Doch viele der gut 5000 Sportartikelhändler in Deutschland wären froh, wenn das ihre größte Sorge wäre. Nach einer Umfrage des Handelsverbands Deutschland sieht sich jeder dritte Geschäftsinhaber jenseits des Lebensmittelhandels durch die Schließungen in der Corona-Krise und den schleppenden Neustart in seiner Existenz bedroht.


Mitten in der Corona-Krise taucht der Karstadt-Chef ab

Sachwalter Frank Kebekus hat im laufenden Verfahren zur Abwendung der Insolvenz bei Galeria Karstadt Kaufhof derzeit das Sagen. Von Konzernchef Stephan Fanderl fehlt dagegen jede Spur. Angeblich befinde er sich in einer „längeren Reha-Maßnahme“.

Quelle: WELT/Laura Fritsch

Die Sporthändler zählen zu dieser Kategorie, doch sie trifft der Einbruch in einer ohnehin kritischen Phase. Der genossenschaftlich organisierte Marktführer Intersport hatte gerade zu seiner eigenen Rettung angesetzt. Karstadt Sports musste sich – wie die strauchelnde Muttergesellschaft – in ein Schutzschirmverfahren flüchten. Der Laufschuhspezialist Runners Point steht vor dem Aus.

Bei Planet Sports hängen Zettel in den Schaufenstern: „Liebe Kunden, wir danken euch sehr für die tolle Zeit. Unser Store bleibt ab sofort geschlossen.“ Ein neuer Besitzer der insolventen Kette teilte Anfang Mai mit, dass nur das Onlinegeschäft und ein Laden in Köln weitergeführt würden.

Verbandsmanagerin Höcker sieht ebenso „viele Fragezeichen“ über der Branche, gibt sich aber zuversichtlich: „Auch im Zeitalter der Digitalisierung wissen die Endverbraucher gute Beratung zu schätzen, und sie zahlen gerne etwas mehr dafür“, hofft sie.

Manche sehen in der Ungewissheit die Chance für einen Blitzeinstieg in der Manier von Glücksrittern. So bekundete die Loitz Stiftung, die sich als private Familienstiftung bezeichnet, am Montag ihr Interesse an einer Übernahme von Karstadt Sports mit 52 Filialen und über 150 zusätzlichen Verkaufspunkten in Warenhäusern. Es handelt sich nach Informationen von WELT eher um eine allgemeine Interessenbezeugung als um ein konkretes Angebot.

Der Interessent ist in der Branche bisher unbekannt. Als Stiftungsdirektor gilt seit neun Monaten der 26-jährige Essener Unternehmer Daniel Loitz. Als Sitz der Stiftung ist eine Adresse in der Factory Lane in der britischen Stadt Croydon nahe London eingetragen.

Loitz arbeitete seinem Profil auf dem Berufsnetzwerk Xing zufolge zuvor als CEO der Plattenfirma NB World, laut Radio Essen „ein kleines Musiklabel mit eher unbekannten Künstlern“. Er sponserte daneben zeitweise den Damen-Regionalligisten Borussia Bocholt und war als dessen Teammanager tätig. Laut eigenem Facebook-Auftritt ließ der Jungunternehmer zudem vor vier Jahren das „private Bankhaus Loitz wieder aufleben“, vornehmlich, um Filme zu finanzieren.

Spektakulärer Absturz

Ferne Vorfahren erlitten mit ihren wirtschaftlichen Aktivitäten nach steilem Aufstieg einen spektakulären Absturz. Als Fisch- und Salzhändler im 15. und 16. Jahrhundert im heute polnischen Stettin zu großem Vermögen gelangt („Fugger des Nordens“), riss die Pleite ihrer Bank in der 1570er-Jahren neben der Eigentümerfamilie an der Ostsee etliche Mitglieder des Hochadels und reiche Bürger mit in den Ruin.

Auch wenn die Fragezeichen über der Zukunft von Karstadt Sports womöglich so schnell nicht verschwinden werden, zeichnet sich in einigen Punkten Klarheit ab. Die Kette rückt immer enger an die Anfang März von der Karstadt-Mutterfirma Signa übernommene frühere Otto-Tochter Sportscheck heran. Mit Thomas Wanke an der Firmenspitze, Christian Marzinzik als Finanzchef und Stefan Weiß als Vertriebschef werden Karstadt Sports und Sportscheck bereits in Personalunion geführt.

Wanke hat das Personal nun darauf eingestimmt, dass die gemeinsame Zentrale künftig bei Sportscheck im bayerischen Unterhaching angesiedelt sein wird. In Essen dürften dadurch rund 50 Jobs wegfallen, bundesweit schließen mehr als ein Dutzend Filialen.

Decathlon zieht davon

Im tiefgreifenden Branchenumbau ist der Fall nur eine Etappe, auch wenn Karstadt Sports und Sportscheck durch den Zusammenschluss, nach Zahlen des Kölner Handelsforschungsinstituts EHI, mit zusammen rund 475 Millionen Euro Umsatz (2019) zu Decathlon aufschließen. Der Billiganbieter, inzwischen größtes Einzelunternehmen der Branche in Deutschland, setzt etwa ebenso viel um.

Allerdings dürfte Decathlon rasch wieder davonziehen. Statt von Filialschließungen spricht der Newcomer aus Frankreich von weiterer Expansion in Deutschland. Weltweit betreibt das Unternehmen rund 2200 Filialen. Hierzulande sind es mittlerweile 81, in denen 4700 Beschäftigte arbeiten.

„Decathlon hat sich ein gutes Stück vom Kuchen abgeschnitten“, muss Verbandsmanagerin Höcker zugestehen. Die Fachhändler sehen sich weiteren Herausforderungen gegenüber, und die Corona-Krise wirkt wie ein Katalysator auf diese Trends. So zeigen Umfragen, dass die Seuche immer mehr Kunden in Richtung Online-Einkäufe lenkt – ein Feld, auf dem viele kleine Fachhändler auch zwei Jahrzehnte nach Beginn des E-Commerce nicht zu Hause sind.

Erst jetzt erzwinge der Umstieg auch konservativer Käufer diesen Schritt, doch nach den Schließungen reiche der Finanzspielraum kleiner Händler oft nicht für die notwendigen Investitionen, so der VDS. Decathlon treibt derweil die Verknüpfung von Filial- und Onlinegeschäft voran, etwa mit der Einführung eines kassenlosen Checkout-Services („Scan & Go“), bei dem Kunden gekaufte Artikel selbstständig mit dem Handy scannen und bezahlen können.

Der Drang zum Digitalen setzt Kooperationsverbünde wie Sport 2000 und Intersport zunehmend unter Druck. Allein im vergangenen Jahr verlor Intersport, ein Zusammenschluss von fast 1000 genossenschaftlichen Händlern, rund zwei Prozent Marktanteil. Die Tochter Voswinkel musste einen Insolvenzantrag stellen.

Zugleich dringen nicht nur eigentlich Branchenfremde wie Amazon oder Zalando mit Sportkleidung und -schuhen in das Revier der Platzhirsche ein. Auch Hersteller wie Adidas, Puma oder Vaude umgehen die Kaufleute mit eigenen Shops im Netz.

Jeder Zweite sportlich aktiver

Dabei hatte Intersport in den ersten Wochen 2020 gerade zum Sanierungsschwenk angesetzt. Der neue Vorstandschef Alexander von Preen hatte unter dem ehrgeizigen Motto „Best in Sports“ zur Aufholjagd bei Service, E-Commerce, Erscheinungsbild und Eigenhandel aufgerufen. Die Umsätze der Gruppe pendelten zuletzt bei rund 2,9 Milliarden Euro jährlich.

Corona kam als Tiefschlag. Allein für die Monate März und April habe es Umsatzrückgänge „im hohen zweistelligen Bereich“ gegeben. Der wachsende E-Commerce habe zum Ausgleich nicht gereicht, und auch das Wiederanfahren verlaufe schleppend.

Nun setzt das Unternehmen auf einen hohen Bewegungsdrang des Publikums nach dem Stillstand. Immerhin sei fast jeder Zweite sportlich aktiver als vor dem Shutdown, heißt es. Ob das reicht, um den Sanierungskurs wieder aufzunehmen und „Best in Sport“ wie geplant umzusetzen, sei dahingestellt.