Tod von George Floyd

Proteste und Gewalt in den USA weiten sich aus – Trump droht mit Eingreifen des Militärs

Trotz Ausgangssperre haben in Minneapolis erneut viele Menschen demonstriert. Die Nationalgarde mobilisiert weitere Soldaten. Der US-Präsident fordert ein härteres Durchgreifen.

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Demonstrationen in den USA

Die Demonstrationen wegen des Todes von George Floyd gehen im ganzen Land weiter.(Foto: AP)

Minneapolis. Wegen Ausschreitungen in vielen Städten hat US-Präsident Donald Trump örtlichen Behörden mit dem Einsatz der „unbegrenzten Macht des Militärs“ gedroht. Gouverneure und Bürgermeister müssten „viel härter“ vorgehen, sonst werde die Regierung einschreiten, drohte er am Samstag über Twitter. Die Regierung sei bereit, das nötige zu tun, um die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Dann werde es auch „viele Festnahmen“ geben, drohte er über Twitter während eines Flugs in den Bundesstaat Florida.

Trump hatte bereits kurz zuvor erklärt, er habe dem Bundesstaat Minnesota wegen der gewaltsamen Proteste die Hilfe der Streitkräfte angeboten. Die Soldaten stünden bereit und könnten „sehr schnell“ vor Ort sein, sagte Trump am Samstag im Garten des Weißen Hauses.

In zahlreichen Städten der USA hat der Tod des Schwarzen George Floyd nach einem brutalen Polizeieinsatz zu neuen Protesten mit Gewalt geführt. In Minneapolis, wo Floyd am Montag ums Leben kam, gingen viele Menschen trotz Ausgangssperre die vierte Nacht in Folge auf die Straße. Aber auch in zahlreichen anderen Städten kam es zu teils gewaltsamen Protesten.

US-Justizminister William Barr hat linke Gruppierungen für die Ausschreitungen in vielen amerikanischen Städten verantwortlich gemacht. Die Gewalt nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd sei geplant und gehe auf das Konto von „anarchistischen Linksextremisten“, erklärte Barr am Samstag. Die „gewaltsamen radikalen Elemente“ nutzten friedliche Demonstrationen aus, um ihre eigene Agenda durchzudrücken, sagte er. Der Minister führte zunächst keine Beweise für seine Aussage an.

Die Justiz werde die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen, erklärte Barr. Wer sich für Gewalttaten in andere Bundesstaaten begebe, werde nach dem strengeren Bundesrecht strafrechtlich verfolgt, kündigte er an.

Der Gouverneur von Minnesota, Tim Walz, sprach am Samstag von einer „unglaublich gefährlichen Situation“. Vielen Demonstranten gehe es längst nicht mehr um den Mord an Floyd, sondern nur um „Zerstörung und Chaos“. Es handele sich um einen „organisierten Versuch, die Zivilgesellschaft zu zerstören“, sagte Walz vor Journalisten.

Er und der Bürgermeister von Minnesota, Jacob Frey, sagten, friedliche Proteste seien weiterhin erlaubt, aber die Gewalt müsse ein Ende haben. Das Recht der Meinungsfreiheit „endet beim Werfen von Molotow-Cocktails“, erklärte der für die Sicherheit in Minnesota zuständige John Harrington.

Die Nationalgarde des Bundesstaats mobilisierte mehr als 1000 zusätzliche Soldaten, um weitere Brandstiftungen und Plünderungen zu verhindern. Damit sollten im Laufe des Samstags bis zu 2500 Soldaten einsatzbereit sein, erklärte der Leiter der Nationalgarde, Generalmajor Jon Jensen.

Nachbarstaaten um Unterstützung gebeten

Gouverneur Walz sagte, dem Bundesstaat drohe trotz der bislang größten Mobilisierung der Sicherheitskräfte in Friedenszeiten erneut eine Nacht der Gewalt: „Das wird es nur schwieriger machen heute Abend.“ Er habe daher auch die Gouverneure der Nachbarstaaten um weitere Unterstützung aus deren Nationalgarden gebeten.

Walz, hatte zuvor am Samstag erklärt, er habe mit Verteidigungsminister Mark Esper und Generalstabschef Mark Milley über Unterstützung gesprochen. Der Gouverneur machte aber keine näheren Angaben zur möglichen Unterstützung.

Örtliche Reporter berichteten in der Nacht zu Samstag, weder Soldaten noch Polizisten seien in Minneapolis zu sehen gewesen. Walz räumte ein, die Sicherheitskräfte seien angesichts des Ausmaßes der gewaltsamen Proteste überfordert gewesen. Walz, Frey und der Bürgermeister von St. Paul, Melvin Carter, erklärten übereinstimmend, die meisten der Demonstranten, die jetzt wichtige Infrastruktur zerstörten, seien Unruhestifter von außerhalb der Region.

An den Protesten beteiligten sich Schwarze wie Weiße. Die Demonstranten trugen Schilder mit Aufschriften wie „Bin ich der nächste?“ und „Ohne Gerechtigkeit keinen Frieden“. CNN zeigte Bilder von friedlichen Protesten in Minneapolis, aber auch von brennenden Autos.

Angesichts anhaltender Demonstrationen hat der US-Bundesstaat Texas zur Unterstützung der örtlichen Polizei zusätzlich mehr als 1500 Beamte in mehrere Großstädte entsandt. Die Bürger könnten ihr Recht auf freie Meinungsäußerung nutzen, aber die öffentlich Ordnung und Privatbesitz müssten geschützt werden, erklärte Gouverneur Greg Abbott am Samstag.

In Detroit ist laut Medienberichten des Senders CNN am Freitagabend ein 19-Jähriger erschossen worden. Nach Angaben der Polizei sei es zu Schüssen auf die Menge gekommen, bei denen der 19-Jährige getroffen wurde, er erlag später seinen Verletzungen.

Die Schüsse seien von einem Auto aus abgefeuert worden. Wer genau der Täter war, sei bisher ungeklärt. Ob das Opfer Teilnehmer der Proteste war, sei auch nicht geklärt. Allerdings ereignete sich das Geschehen im Stadtzentrum von Detroit, wo die Proteste stattfanden.

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Mitglieder der Nationalgarde in Minneapolis

Während der Proteste ist ein Team von Journalisten des Nachrichtensenders CNN bei einer Live-Übertragung festgenommen worden.(Foto: Reuters)

Der Nachrichtensender CNN zeigte am Freitagabend (Ortszeit) Bilder von Ausschreitungen in Atlanta (Georgia) vor dem Hauptquartier des Senders, auf denen zu sehen war, wie Demonstranten von außerhalb Objekte auf Polizisten im Eingangsbereich des Senders warfen.

Der Gouverneur von Georgia, Brian Kemp, verhängte über Atlanta sowie weitere Städte im Umland den Ausnahmezustand. Etwa 500 Mitglieder der Nationalgarde von Georgia sollen eingesetzt werden, um Menschen und Eigentum zu schützen, schrieb Kemp am Samstag auf Twitter.

In New York demonstrierten Tausende. In der Nacht zu Samstag kam es dabei in den Stadtteilen Manhattan und Brooklyn zu Ausschreitungen. Die Polizei nahm mehr als 200 Menschen fest. Auf beiden Seiten soll es Verletzte gegeben haben. Bürgermeister Bill de Blasio das harte Vorgehen der Polizei seiner Stadt kritisiert. Die Beamten seien „sehr heftig und grob“ gewesen und hätten auch gegen friedliche Demonstranten Pfefferspray eingesetzt, sagte de Blasio am Samstag. Der Politiker kündigte eine Untersuchung der Ereignisse an.

In Los Angeles waren 533 Menschen zeitweise festgenommen worden. Alle bis auf 18 Verdächtige seien inzwischen wieder auf freiem Fuß, erklärte Polizeisprecher Michael Chan am Samstag. Sechs Polizeibeamte seien verletzt worden. Die Festnahmen bei den Protesten in der Nacht zu Samstag seien unter anderem wegen des Verdachts auf Plünderung, Einbrüche, Verstoß gegen Bewährungsauflagen und versuchten Mord erfolgt.

Auch vor dem Weißen Haus in Washington kam es zu Protesten. Trump drohte den Demonstranten auf Twitter indirekt. Falls Demonstranten am Freitag über den Zaun des Regierungssitzes gelangt wären, wären sie von „boshaften Hunden und den bedrohlichsten Waffen“ begrüßt worden, schrieb Trump am Samstag auf Twitter. Dann wären sie „wirklich mindestens schwer verletzt“ worden. Viele Beamte des Secret Service warteten nur auf „Action“.

Trump lobte die Sicherheitskräfte für Besonnenheit und Professionalität im Umgang mit Demonstranten. Diese hätten nicht den bei einem Polizeieinsatz getöteten Afroamerikaner George Floyd ehren wollen, sondern hätten es nur auf Krawall abgesehen gehabt.

Wegen der Unruhen verschiebt Google die Vorstellung der neuesten Version seines Betriebssystems Android. „Wir freuen uns darauf, Euch mehr über Android 11 mitzuteilen, aber jetzt ist nicht die Zeit zum Feiern“, gab Google auf seiner Website für Entwicklung bekannt. Eigentlich wollte der Konzern die Beta-Version am Mittwoch auf einer Internetveranstaltung vorstellen. Ein neues Datum nannte Google nicht. Details zu der neuen Betriebssoftware sollen bald folgen, hieß es lediglich.

Polizist des Mordes angeklagt

Der 46-jährige George Floyd war am Montag nach einem brutalen Polizeieinsatz gestorben. Einer der vier beteiligten Polizisten wurde am Freitag des Mordes angeklagt: der Beamte, der Floyd sein Knie minutenlang in den Nacken gedrückt hatte. Dem Ex-Polizisten werden Mord und Totschlag vorgeworfen. Ihm drohen nach den Gesetzen in Minnesota insgesamt bis zu 35 Jahre Haft.

Der Afroamerikaner Floyd hatte mehrfach um Hilfe gefleht, bevor er das Bewusstsein verlor. Die Szene wurde von einer Passantin gefilmt. Floyd wurde bei seiner Ankunft im Krankenhaus für tot erklärt.

Im Haftbefehl für den Polizisten heißt es unter anderem, der Gerichtsmediziner gehe nach vorläufigen Erkenntnissen nicht von Ersticken aus. Der 46-Jährige habe an Gesundheitsproblemen gelitten, die gemeinsam mit der Festsetzung und möglichen Rauschmitteln im Blut vermutlich zum Tod geführt hätten. In den letzten zwei Minuten und 53 Sekunden habe er keine Lebenszeichen mehr gezeigt.

Die Anwälte der Familie Floyd meldeten jedoch Zweifel an den Ergebnissen dieser Obduktion an. Zugleich kündigten sie nach einem Bericht des Fernsehsenders ABC an, bei einem bekannten Gerichtsmediziner eine eigene Untersuchung in Auftrag zu geben.

Man habe bereits in anderen Fällen gesehen, dass Menschen, die mit den Behörden zusammenarbeiteten, Dinge präsentierten, die eine „Illusion“ seien, sagten Benjamin Crump und S. Lee Merritt. „All diese Dinge wie Asthma oder Herzprobleme spielen keine Rolle, solange sie (die Opfer) leben, atmen, gehen, reden. Alles ist in Ordnung – bis die Polizei sie anspricht.“

Festnahme eines TV-Teams von CNN

Der Gouverneur des Bundesstaats Minnesota, Tim Walz, rief am Freitag zu einem Ende der Gewalt auf. Er erwarte, dass die beteiligten Beamten rasch zur Rechenschaft gezogen würden.

Walz sicherte zu, das Problem der Ungleichheit zwischen Schwarzen und Weißen anzugehen. Aber zuerst müsse die Nationalgarde nach drei Nächten Vandalismus, Plünderungen und Brandstiftung die Ordnung wieder herstellen.

Explizit entschuldigte sich der Gouverneur für die vorübergehende Festnahme eines TV-Teams des Senders CNN, das ohne Begründung von Polizisten live vor laufender Kamera abgeführt wurde. „Es gibt keinen Grund, dass so etwas hätte passieren dürfen.“ Befürchtet wurde jedoch, dass die Festnahme des Reporters Omar Jimenez, ebenfalls ein Schwarzer, und zwei seiner Kollegen die angespannte Stimmung, die inzwischen auch andere US-Städte erfasst hat, zusätzlich aufheizen könnte.

In einer Live-Übertragung war zu sehen, wie CNN-Korrespondent Jimenez die heranrückende Polizei wiederholt fragte, ob das Team seinen Standort ändern solle. „Wir können dahin zurückgehen, wohin ihr wollt. Wir sind gerade live“, sagte Jimenez. Er identifizierte sich dabei auch klar als CNN-Reporter. Kurz darauf wurde Jimenez ohne Angabe von Gründen festgenommen, dann auch sein Team. „Wir sind alle von CNN“, sagte jemand erneut zu den Polizisten.

Die Polizei erklärte wenige Stunden später, die drei CNN-Mitarbeiter seien freigelassen worden, nachdem bestätigt worden sei, dass es sich um Medienvertreter gehandelt habe.

Jimenez zufolge berichtete das Team von einem Ort, wo Demonstranten ein Gebäude in Brand gesetzt hatten. In der Live-Übertragung waren Dutzende Polizisten in voller Montur zu sehen, inklusive Schutzausrüstung, Gasmasken, Helmen und Schlagstöcken.

CNN hatte die Festnahme als Einschränkung der Pressefreiheit kritisiert. Auf der Webseite des Senders hieß es weiter, ein weißer CNN-Kollege, Josh Campbell, der sich mit einem anderen Team in dem Gebiet befand, sei von der Polizei respektvoll behandelt und nicht festgenommen worden.

Trump-Tweet als „gewaltverherrlichend“ eingestuft

Auch ein Tweet von US-Präsident Donald Trump zur Lage in Minneapolis könnte die Stimmung weiter anheizen. Trump schrieb, er habe Walz die Unterstützung des Militärs zugesichert. „Irgendwelche Schwierigkeiten, und wir werden die Kontrolle übernehmen.“ Wenn jedoch geplündert werden sollte, werde geschossen. Er werde nicht zulassen, dass „Schläger“ die Erinnerung an Floyd entehrten.

Mit seinem Satz zu möglichen Schüssen auf Plünderer zitierte Trump einen Satz von 1967, mit dem der damalige Polizeichef von Miami ein hartes Vorgehen gegen die schwarze Bevölkerung angekündigt hatte. Trump relativierte seine Aussage am Freitag in einem weiteren Tweet. Er teilte mit, er habe nur gemeint, dass Plünderungen zu Waffengewalt führen könnten, was ein Fakt sei.

Twitter stufte den Tweet als gewaltverherrlichend ein und verbarg ihn hinter einem Link, so dass der Inhalt erst für Leser sichtbar wird, wenn sie auf den Warnhinweis des Kurznachrichtendienstes klicken.

Nur kurz zuvor hatte Trump ein Dekret gegen soziale Medien unterzeichnet, mit dem er sie stärker reglementieren will. Anlass war, dass Twitter erstmals zwei seiner Tweets zum Thema Briefwahl als irreführend bezeichnet und einem Faktencheck unterzogen hatte.

Gouverneur Tim Walz bezeichnete Trumps jüngste Tweets zu Minneapolis als „nicht hilfreich“. Die Stadt tue alles in ihrer Macht stehende, die teils gewaltsamen Proteste unter Kontrolle zu bringen, sagte Walz. „Im gegenwärtigen Moment, in so einer unberechenbaren Lage, ist alles, was wir tun, um weiteres Öl ins Feuer zu gießen, wirklich, wirklich eine große Herausforderung“, sagte der Gouverneur. Die Lage könne unter Kontrolle gebracht werden, ohne das Feuer weiter anzuheizen.

Auch der frühere US-Präsident Barack Obama hat sich nach Floyds Tod in die Debatte eingeschaltet und sich gegen anhaltenden Rassismus und die Benachteiligung Schwarzer ausgesprochen. Für Millionen Amerikaner sei es auch im Jahr 2020 noch „schmerzhaft und zum Verrücktwerden „normal“, wegen ihrer Hautfarbe anders behandelt zu werden“, erklärte Obama am Freitag über Twitter. Das sei der Fall im Umgang mit dem Gesundheitssystem, mit der Justiz oder auch nur beim Joggen oder beim Beobachten von Vögeln, erklärte Obama unter Anspielung auf Fälle, die jüngst für Aufsehen gesorgt hatten.

„Das darf in Amerika im Jahr 2020 nicht „normal“ sein“, sagte Obama, der sich nur noch selten zu aktuellen politischen Themen äußert. Es sei nun die Aufgabe aller Amerikaner, aber insbesondere auch der Sicherheitskräfte, gemeinsam einen neuen Normalzustand zu schaffen, in dem „das Erbe von Fanatismus und Ungleichbehandlung nicht mehr unsere Institutionen oder unsere Herzen vergiftet“.

Das Wort „Rassismus“ benutzte der Afroamerikaner Obama in seiner Stellungnahme nicht. Er verwandte aber den englischen Begriff „race“ (Rasse) sowie den Ausdruck „bigotry“ (Fanatismus), der in den USA häufig genutzt wird, um auf das Erbe des Rassismus hinzuweisen.

Mehr: Ausschreitungen in Minneapolis: Demonstranten zünden Polizeiwache an.