Tod von George Floyd
Proteste und Gewalt in den USA weiten sich aus – Google verschiebt Veranstaltung
Trotz Ausgangssperre sind in Minneapolis erneut viele Menschen auf die Straße gegangen. Der Gouverneur spricht von einer „gefährlichen Situation“.
Minneapolis. In zahlreichen Städten der USA hat der Tod des Schwarzen George Floyd nach einem brutalen Polizeieinsatz zu neuen Protesten mit Gewalt geführt. In Minneapolis, wo Floyd am Montag ums Leben kam, gingen viele Menschen trotz Ausgangssperre die vierte Nacht in Folge auf die Straße. Der Gouverneur von Minnesota, Tim Walz, hatte eine Ausgangssperre für Minneapolis und die Nachbarstadt St. Paul verkündet, die um 20.00 Uhr (Ortszeit) in Kraft trat.
Walz sprach am Samstag von einer „unglaublich gefährlichen Situation“. Der Chef der Nationalgarde des Bundesstaats Minnesota, General Jon Jensen, kündigte nach einem Bericht des Fernsehsenders CBS an, noch am Samstag sollten in der Stadt 1700 Soldaten einsatzbereit sein.
Reporter des Senders CNN berichteten in der Nacht zu Samstag, weder Soldaten der Nationalgarde noch Polizisten seien in Minneapolis zu sehen gewesen. An den Protesten beteiligten sich Schwarze wie Weiße. Die Demonstranten trugen Schilder mit Aufschriften wie „Bin ich der nächste?“ und „Ohne Gerechtigkeit kein Frieden“. CNN zeigte Bilder von friedlichen Protesten in Minneapolis, aber auch von brennenden Autos.
Wegen der Unruhen verschieb Google die Vorstellung der neuesten Version seines Betriebssystems Android. „Wir freuen uns darauf, Euch mehr über Android 11 mitzuteilen, aber jetzt ist nicht die Zeit zum Feiern“, gab Google auf seiner Website für Entwicklung bekannt. Eigentlich wollte der Konzern die Beta-Version am Mittwoch auf einer Internetveranstaltung vorstellen. Ein neues Datum nannte Google nicht. Details zu der neuen Betriebssoftware sollen bald folgen, hieß es lediglich.
In anderen US-Städten kam es ebenfalls zu Demonstrationen, die zum Teil in Gewalt ausarteten. In Detroit ist laut Medienberichten des Senders CNN am Freitagabend ein 19-Jähriger erschossen worden. Nach Angaben der Polizei sei es zu Schüssen auf die Menge gekommen, bei denen der 19-Jährige getroffen wurde, er erlag später seinen Verletzungen.
Die Schüsse seien von einem Auto aus abgefeuert worden. Wer genau der Täter war, sei bisher ungeklärt. Ob das Opfer Teilnehmer der Proteste war, sei auch nicht geklärt. Allerdings ereignete sich das Geschehen im Stadtzentrum von Detroit, wo die Proteste stattfanden.
Der Nachrichtensender CNN zeigte am Freitagabend (Ortszeit) Bilder von Ausschreitungen in Atlanta (Georgia) vor dem Hauptquartier des Senders, auf denen zu sehen war, wie Demonstranten von außerhalb Objekte auf Polizisten im Eingangsbereich des Senders warfen.
Der Gouverneur von Georgia, Brian Kemp, verhängte über Atlanta sowie weitere Städte im Umland den Ausnahmezustand. Etwa 500 Mitglieder der Nationalgarde von Georgia sollen eingesetzt werden, um Menschen und Eigentum zu schützen, schrieb Kemp am Samstag auf Twitter. Auch aus New York, Los Angeles, Dallas, Louisville und anderen Orten wurden Proteste gemeldet. Vor dem Weißen Haus in Washington versammelten sich ebenfalls Demonstranten. Einige von ihnen stießen Barrikaden um.
Polizist des Mordes angeklagt
Der 46-jährige George Floyd war am Montag nach einem brutalen Polizeieinsatz gestorben. Einer der vier beteiligten Polizisten wurde am Freitag des Mordes angeklagt: der Beamte, der Floyd sein Knie minutenlang in den Nacken gedrückt hatte. Dem Ex-Polizisten werden Mord und Totschlag vorgeworfen. Ihm drohen nach den Gesetzen in Minnesota insgesamt bis zu 35 Jahre Haft.
Der Afroamerikaner Floyd hatte mehrfach um Hilfe gefleht, bevor er das Bewusstsein verlor. Die Szene wurde von einer Passantin gefilmt. Floyd wurde bei seiner Ankunft im Krankenhaus für tot erklärt.
Im Haftbefehl für den Polizisten heißt es unter anderem, der Gerichtsmediziner gehe nach vorläufigen Erkenntnissen nicht von Ersticken aus. Der 46-Jährige habe an Gesundheitsproblemen gelitten, die gemeinsam mit der Festsetzung und möglichen Rauschmitteln im Blut vermutlich zum Tod geführt hätten. In den letzten zwei Minuten und 53 Sekunden habe er keine Lebenszeichen mehr gezeigt.
Die Anwälte der Familie Floyd meldeten jedoch Zweifel an den Ergebnissen dieser Obduktion an. Zugleich kündigten sie nach einem Bericht des Fernsehsenders ABC an, bei einem bekannten Gerichtsmediziner eine eigene Untersuchung in Auftrag zu geben.
Man habe bereits in anderen Fällen gesehen, dass Menschen, die mit den Behörden zusammenarbeiteten, Dinge präsentierten, die eine „Illusion“ seien, sagten Benjamin Crump und S. Lee Merritt. „All diese Dinge wie Asthma oder Herzprobleme spielen keine Rolle, solange sie (die Opfer) leben, atmen, gehen, reden. Alles ist in Ordnung – bis die Polizei sie anspricht.“
Festnahme eines TV-Teams von CNN
Der Gouverneur des Bundesstaats Minnesota, Tim Walz, rief am Freitag zu einem Ende der Gewalt auf. Er erwarte, dass die beteiligten Beamten rasch zur Rechenschaft gezogen würden.
Walz sicherte zu, das Problem der Ungleichheit zwischen Schwarzen und Weißen anzugehen. Aber zuerst müsse die Nationalgarde nach drei Nächten Vandalismus, Plünderungen und Brandstiftung die Ordnung wieder herstellen.
Explizit entschuldigte sich der Gouverneur für die vorübergehende Festnahme eines TV-Teams des Senders CNN, das ohne Begründung von Polizisten live vor laufender Kamera abgeführt wurde. „Es gibt keinen Grund, dass so etwas hätte passieren dürfen.“ Befürchtet wurde jedoch, dass die Festnahme des Reporters Omar Jimenez, ebenfalls ein Schwarzer, und zwei seiner Kollegen die angespannte Stimmung, die inzwischen auch andere US-Städte erfasst hat, zusätzlich aufheizen könnte.
In einer Live-Übertragung war zu sehen, wie CNN-Korrespondent Jimenez die heranrückende Polizei wiederholt fragte, ob das Team seinen Standort ändern solle. „Wir können dahin zurückgehen, wohin ihr wollt. Wir sind gerade live“, sagte Jimenez. Er identifizierte sich dabei auch klar als CNN-Reporter. Kurz darauf wurde Jimenez ohne Angabe von Gründen festgenommen, dann auch sein Team. „Wir sind alle von CNN“, sagte jemand erneut zu den Polizisten.
Die Polizei erklärte wenige Stunden später, die drei CNN-Mitarbeiter seien freigelassen worden, nachdem bestätigt worden sei, dass es sich um Medienvertreter gehandelt habe.
Jimenez zufolge berichtete das Team von einem Ort, wo Demonstranten ein Gebäude in Brand gesetzt hatten. In der Live-Übertragung waren Dutzende Polizisten in voller Montur zu sehen, inklusive Schutzausrüstung, Gasmasken, Helmen und Schlagstöcken.
CNN hatte die Festnahme als Einschränkung der Pressefreiheit kritisiert. Auf der Webseite des Senders hieß es weiter, ein weißer CNN-Kollege, Josh Campbell, der sich mit einem anderen Team in dem Gebiet befand, sei von der Polizei respektvoll behandelt und nicht festgenommen worden.
Auch ein Tweet von US-Präsident Donald Trump zur Lage in Minneapolis könnte die Stimmung weiter anheizen. Trump schrieb, er habe Walz die Unterstützung des Militärs zugesichert. „Irgendwelche Schwierigkeiten, und wir werden die Kontrolle übernehmen.“ Wenn jedoch geplündert werden sollte, werde geschossen. Er werde nicht zulassen, dass „Schläger“ die Erinnerung an Floyd entehrten.
Mit seinem Satz zu möglichen Schüssen auf Plünderer zitierte Trump einen Satz von 1967, mit dem der damalige Polizeichef von Miami ein hartes Vorgehen gegen die schwarze Bevölkerung angekündigt hatte. Trump relativierte seine Aussage am Freitag in einem weiteren Tweet. Er teilte mit, er habe nur gemeint, dass Plünderungen zu Waffengewalt führen könnten, was ein Fakt sei.
Twitter stufte den Tweet als gewaltverherrlichend ein und verbarg ihn hinter einem Link, so dass der Inhalt erst für Leser sichtbar wird, wenn sie auf den Warnhinweis des Kurznachrichtendienstes klicken.
Nur kurz zuvor hatte Trump ein Dekret gegen soziale Medien unterzeichnet, mit dem er sie stärker reglementieren will. Anlass war, dass Twitter erstmals zwei seiner Tweets zum Thema Briefwahl als irreführend bezeichnet und einem Faktencheck unterzogen hatte.
Gouverneur Tim Walz bezeichnete Trumps jüngste Tweets zu Minneapolis als „nicht hilfreich“. Die Stadt tue alles in ihrer Macht stehende, die teils gewaltsamen Proteste unter Kontrolle zu bringen, sagte Walz. „Im gegenwärtigen Moment, in so einer unberechenbaren Lage, ist alles, was wir tun, um weiteres Öl ins Feuer zu gießen, wirklich, wirklich eine große Herausforderung“, sagte der Gouverneur. Die Lage könne unter Kontrolle gebracht werden, ohne das Feuer weiter anzuheizen.
Auch der frühere US-Präsident Barack Obama hat sich nach Floyds Tod in die Debatte eingeschaltet und sich gegen anhaltenden Rassismus und die Benachteiligung Schwarzer ausgesprochen. Für Millionen Amerikaner sei es auch im Jahr 2020 noch „schmerzhaft und zum Verrücktwerden „normal“, wegen ihrer Hautfarbe anders behandelt zu werden“, erklärte Obama am Freitag über Twitter. Das sei der Fall im Umgang mit dem Gesundheitssystem, mit der Justiz oder auch nur beim Joggen oder beim Beobachten von Vögeln, erklärte Obama unter Anspielung auf Fälle, die jüngst für Aufsehen gesorgt hatten.
„Das darf in Amerika im Jahr 2020 nicht „normal“ sein“, sagte Obama, der sich nur noch selten zu aktuellen politischen Themen äußert. Es sei nun die Aufgabe aller Amerikaner, aber insbesondere auch der Sicherheitskräfte, gemeinsam einen neuen Normalzustand zu schaffen, in dem „das Erbe von Fanatismus und Ungleichbehandlung nicht mehr unsere Institutionen oder unsere Herzen vergiftet“.
Das Wort „Rassismus“ benutzte der Afroamerikaner Obama in seiner Stellungnahme nicht. Er verwandte aber den englischen Begriff „race“ (Rasse) sowie den Ausdruck „bigotry“ (Fanatismus), der in den USA häufig genutzt wird, um auf das Erbe des Rassismus hinzuweisen.
Mehr: Ausschreitungen in Minneapolis: Demonstranten zünden Polizeiwache an.