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(Foto: Michael Sehr/dpa)

Auch durch eine Pandemie nicht kleinzukriegen

Aus Städten wie Hamburg werden mehr Rattensichtungen gemeldet. Das könnte an den Restaurantschließungen liegen - oder schlicht daran, dass die Bürger aufmerksamer sind.

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Die Ratte als solche hat keinen sehr guten Ruf. Sie wird in Laboratorien eher benutzt als geliebt, auf der Schulter eines Punks ist sie weniger Kuscheltier als Bürgerschreck, und Ratten in Zeiten einer Pandemie will - die Pest im Hinterkopf, Corona vor Augen - schon gleich gar keiner haben.

Die Ratte an sich hat sich darum aber noch nie geschert: Sie weiß ihren Auftritt zu inszenieren. Wo sie sich zeigt, kreischt der Mensch, ob vor Entsetzen oder Entzückung weiß ja die Ratte nicht. Und in der von Corona auf links gedrehten Welt zeigt sich der Nager aus der Unterwelt nun offenbar besonders häufig.

Hamburger Schädlingsbekämpfer stellten in den vergangenen Wochen eine höhere Zahl von Rattensichtungen fest, bis zu dreimal so viele wie sonst. Für diese Häufung haben die Fachleute eine gemeinsame Erklärung: Corona. Weil durch die Restaurantschließungen die Nahrung in angestammten Revieren knapp geworden sei, zöge die Ratte - in ihrer hierzulande am weitesten verbreiteten Form als Wanderratte - in die Wohngebiete.

Dort würden die Menschen mehr kochen und entsprechend mehr Reste in den Hausmüll werfen. Außerdem seien die Straßen bei zum Teil nur noch 50 Prozent oder weniger Verkehrsaufkommen für die pelzigen Fußgänger sicherer als üblich.

New Yorker Ratten sollen sich in ihrer Not gegenseitig auffressen

Eine nicht repräsentative Umfrage in anderen Städten zeigt ein differenziertes Bild. In Köln, schreibt das dortige Gesundheitsamt auf Anfrage der SZ zurück, "sind die Bürgerbeschwerden bezüglich notwendiger Schädlingsbekämpfung im Stadtgebiet leicht gestiegen". Auch hier erklären sich das die Fachleute damit, dass die Müllbehälter in Wohnbereichen voller waren als normal. Die Stadtverwaltung in Hannover zählt, obwohl sie mehrere Stellen abfragte, nicht mehr Ratten als sonst. Und aus dem stets blitzblanken München kam eine Antwort, die man (stark verkürzt) etwa so zusammenfassen könnte: Ratten? Was sind Ratten?

Wie alles an dieser Krise ist auch das Rattenproblem in den USA offenbar um ein Vielfaches größer. In New York sollen Ratten ihr Verhalten wegen Corona radikal geändert haben - und sich in ihrer Not gegenseitig auffressen. Aus New Orleans stammt ein Video, das eine "Armee von Ratten" (Washington Post) in einer leer gefegten Straße zeigt. Tatsächlich sieht man mehr als ein Dutzend Tiere aus Pfützen trinken, in Gullys verschwinden und vom Bürgersteig hopsen. In Washington wurden Schädlingsbekämpfer, wie Krankenschwestern, in die Reihe der systemrelevanten Berufe aufgenommen. Insgesamt folgten die Ratten ihrem einzigen Überlebensmotto: Follow the food.

Als Deutschlands Hauptstadt der Ratten gilt die Hauptstadt, also Berlin, obwohl niemand weiß, wie viele der Tiere dort wirklich leben. Auf Anfrage der SZ bestätigt der Wildtierreferent des Berliner Senats, Derk Ehlert: "Ja, es gibt tatsächlich mehr Sichtungen von Ratten während Corona - allerdings auch von Schlangen, Amseln, Mardern oder Wespen." Seine Erklärung klingt äußerst plausibel: "Die Leute haben einfach mehr Zeit, um aus dem Fester zu schauen. Dann sehen sie auch mehr."