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Protest gegen die Abwrackprämie: Ein Kaufprämie für Autos soll voraussichtlich Teil des Konjunkturpakets werden.Quelle: snapshot/imago images
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Das Konjunkturpaket ist ein Zugeständnis an die Lobbys

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Die Verhandlungen zum Konjunkturpaket entscheiden über die Zukunft Deutschlands. Setzt die Industrie ihre Interessen durch, trägt die Gesellschaft die Konsequenzen – mit verheerenden Folgen. Ein Gastbeitrag von Nick Heubeck von Fridays For Future.

Am Dienstag wollen sich die Partei- und Fraktionsspitzen von CDU, CSU und SPD mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) über ein Konjunkturpaket beraten, 100 bis 200 Milliarden Euro stehen zur Debatte. Wirtschaftspolitiker der CDU fordern direkte Zuschüsse für von Umsatzeinbrüchen betroffene Unternehmen, etwa in der Automobilbranche. Die SPD will hingegen einen Kinderbonus von 300 Euro und Ausgleichszahlungen an Kommunen durchsetzen. Statt das Geld in Autokaufprämien zu stecken, sollten die Milliarden besser für eine zukunftsfähige Wirtschaft und funktionierende Sozialsysteme investiert werden, fordert Nick Heubeck in einem Gastbeitrag für t-online.de.

Es ist soweit: Nach Wochen der Ankündigung entscheidet die Bundesregierung nächste Woche mit dem größten Konjunkturpaket seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wohin sie unsere Steuermilliarden zum Aufbau der Wirtschaft lenkt. Zurecht hat sie sich dazu entschlossen, die Sparpolitik der vergangenen Jahre über den Haufen zu werfen, um den Menschen aus der Krise zu helfen. Doch anstatt jetzt nach vorne zu schauen, fährt die Regierung mal wieder nur alte Geschütze auf: Die aktuellen Pläne sind keine Hilfe für diejenigen in unserer Gesellschaft, die das Geld jetzt am dringendsten brauchen. Sie sind vor allem eine Zusage an die stärksten Lobbys dieses Landes. Statt zukunftsfähigen und sozial gerechten Investitionen drängen diese im Kanzleramt auf Rückschritte bei Umwelt- und Klimaauflagen und auf eine neue Abwrackprämie. Das gilt es mit allen Mitteln zu verhindern.

Welche Dimensionen die in diesen Wochen geschnürten Pakete annehmen, zeigt der Blick nach Brüssel: 750 Milliarden Euro will die EU in die Hand nehmen, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzufedern. Allein in Deutschland sollen es zusätzlich zwischen 100 und 200 Milliarden Euro sein. Die Investitionen im Rahmen des Konjunkturpakets stellen eine immense Chance dar – wie es aussieht, werden sie aber erneut auf den Schultern junger Generationen lasten.

Auf der einen Seite gibt das Konjunkturpaket unserer Gesellschaft die Möglichkeit, unser System von Grund auf zu verbessern und Maßnahmen zu bewilligen, die seit Jahrzehnten auf der Strecke bleiben. Der längst überfällige Umbau unseres Energiesystems etwa, realisierbar unter anderem durch eine stärkere Unterstützung der Kommunen. Eine renovierte Verkehrsinfrastruktur durch ausgebaute Radwege und einen leistungsstarken ÖPNV. Das Ende der Subventionierung von Kohle, Öl und Gas, die laut Umweltbundesamt jährlich weit über 50 Milliarden Euro kostet und die Klimakrise auf Kosten der Steuerzahlerinnen befeuert. Eine Stärkung von bisher vernachlässigten Berufsgruppen, die nicht nur für unseren sozialen Zusammenhalt unverzichtbar sind, sondern gleichzeitig auch den Grundstein für unsere Zukunft legen: Busfahrerinnen, Erzieher, Pflegekräfte und so viele mehr. All diese Vorschläge gab es auch vor Corona schon lange – eine Umsetzung rückt nun endlich in greifbare Nähe.

Die Pandemie bietet Möglichkeiten zur Neuausrichtung

Die Pandemie ist in vielerlei Hinsicht eine Zäsur – dennoch ist sie gleichzeitig auch die größte Möglichkeit, die wir haben, unsere Systeme endlich auf das 21. Jahrhundert auszurichten. Wer diese Gelegenheit verspielt, verstärkt mit der Reaktion auf die eine Krise direkt die nächste.

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Nick Heubeck ist 21 Jahre alt und studiert Kommunikation und Politik in Bamberg. Er ist seit Anfang 2019 bei Fridays For Future aktiv und ist dort für Digitales und Presse verantwortlich.

Denn wie es aussieht, werden die Investitionen keine Sozialsysteme entlasten und keine Emissionen reduzieren – im Gegenteil: Die absurde Debatte über Kaufprämien für Autos wie die Mercedes E-Klasse und den VW Tiguan zeigt, dass in Deutschland am Ende noch immer diejenigen bezahlt werden, die die besten Verbindungen ins Kanzleramt haben. Eigentlich sollte zu den Vorschlägen des Automobilverbandes alles gesagt sein: Wirtschaftsexpertinnen, Klimawissenschaftler und der überwältigende Teil der Bevölkerung sind sich einig, dass Milliarden für veraltete Technologien der absolut falsche Weg sind. Dennoch sollten nächsten Dienstag nicht nur die Beratungen über Konjunkturpakete stattfinden, sondern passenderweise auch der zweite Autogipfel. Am Donnerstag wurde der Gipfel kurzfristig abgesagt, da die Koalition noch internen Abstimmungsbedarf hat. Dennoch war der ursprünglich angesetzte Termin eine Dreistigkeit. Was stattdessen fehlt, sind Sozialgipfel, Pflegegipfel, Solargipfel und Bahngipfel.

Wer trägt die Kosten?

Gleichzeitig kommt ein Fakt in der Debatte noch überhaupt nicht vor: Wer trägt eigentlich die Kosten der Milliardenpakete? Es sind – wie bei fast allen Entscheidungen mit langfristigen Auswirkungen – erneut die jungen Generationen. Wo es auf Milliardenbeträge für die Autolobby und Lufthansa scheinbar nicht mehr ankommt, wird deutlich: Jede Entscheidung, die die fossile Wirtschaft zementiert, wirft uns im Umbau zu einer Null-Emissionen-Wirtschaft meilenweit zurück. Jetzt ist die Zeit, damit Schluss zu machen. Die Gelder müssen sich an den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts orientieren, denn eins ist sicher: Die Lösungen, die vor Jahrzehnten erfunden wurden, sind vor allem nur eines – Geschichte. 

Die Bevölkerung ist sich einig, dass ihre Steuermilliarden nachhaltig, sozial gerecht und zukunftsfähig eingesetzt werden müssen. Am Dienstag wird sich entscheiden, ob die Große Koalition an dieser Meinung überhaupt noch interessiert ist. Die Antwort auf Corona hat Hoffnungen geweckt nach einer Regierung, die mit dem Rückenwind aus der Gesellschaft zu ihrem Ende doch noch – man traut es sich kaum zu sagen – Vision zeigt. So wie es aktuell aussieht liegt ihr jedoch viel daran, dieses Flämmchen schleunigst auszutreten.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten spiegeln die Meinung des Autors wider und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online.de-Redaktion.