Gastbeitrag von Thomas Jäger: Gefährliches Spiel: Trumps Twitter-Feldzug kann für ihn zum Bumgerang werden
by FOCUS OnlineSeit über drei Jahren regiert der amerikanische Präsident Donald Trump ganz wesentlich auch über Twitter. Seine Twitter-Gewitter spülen die öffentliche Debatte an die Klippen, an denen er sie gerade zerschellen sehen will. Kein Tag ohne Trump. Zuvor hatte er auch seinen Wahlkampf zu wesentlichen Teilen über den Kurznachrichtendient geführt. Sie Presse, so schimpfte er damals, schweige ihn ja tot. Warum sollte er diese politische Goldgrube nun abschalten wollen?
Am Mittwoch hatte Trump öffentlich erklärt, die als soziale Medien bezeichneten Informationsplattformen „stark zu regulieren oder zu schließen“. Gestern nun unterzeichnete er eine executive order, die darauf hinausläuft, die Verantwortung von Online-Plattformen für die auf ihnen veröffentlichten Inhalte neu zu fassen. Bisher sind diese Plattformen für auf ihnen veröffentlichte Inhalte nicht haftbar zu machen, weil sie eben als Plattform angesehen werden, die von ihren Nutzern gefüllt werden. Nunmehr sollen sie, so eine Absicht des Präsidenten, dafür haften.
Die Federal Communications Commission soll dafür die Regeln neu ausarbeiten. Beschwerden über politische Diskriminierungen auf diesen Plattformen soll die Federal Trade Commission, die als unabhängige Behörde im Weißen Haus angesiedelt ist, bearbeiten. Und gemeinsam mit Staatsanwälten aus den Bundesstaaten soll eine Kommission gegründet werden, die Beschwerden über politische Zensur untersucht. Denn das ist Trumps Behauptung: Die sozialen Nachrichtendienste zensieren konservative Inhalte und Autoren und unterstützen seine linken politischen Gegner. Das hält Trump den „liberalen“ Firmen schon länger vor.
Über den Experten
Prof. Dr. Thomas Jäger ist seit 1999 Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in internationalen Beziehungen sowie amerikanischer und deutscher Außenpolitik.
Der Auslöser
Auslöser dieser Initiative, die vor fünf Tagen noch niemand erwartete und die erneut beweist, dass in den USA Regierungsprozesse unter diesem Präsidenten völlig erratisch ablaufen, war, dass Twitter einen Tweet des Präsidenten mit dem Hinweis versah, die Nutzer könnten sich über das Thema weiter informieren, was im Klartext heißt: hier schreibt einer Lügen auf.
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Erstaunlich war, dass Twitter dies bei Trump überhaupt unternahm, so wie es auch erstaunlich war, dass dies erst jetzt geschieht und zu einem eher langweiligen Thema. Denn Trump lügt seit Jahren auf Twitter, dass sich die Balken aller sozialen Medien biegen. Und er log schon hasserfüllter als jetzt, wo er behauptete, Briefwahlen würden dem Wahlbetrug Tür und Tor öffnen.
Wobei die amerikanische Diskussion hier sehr stark unterscheidet: Dass der Präsident lügt, wird ihm vorgehalten, wenn beweisen ist, dass er es besser wusste. Der Rest seiner Falschaussagen gilt nur als Falschaussage, weil es auch sein kann, dass Trump schlicht nicht versteht, worum es geht. Süffisanter kann man das kaum differenzieren.
Gleichwohl: Während Trump politische Zensur über eine verstärkte Kontrolle staatlicher Behörden verhindern will, nennen andere genau dies Zensur. Twitter wies umgehend drauf hin, dass es um nicht weniger als das Recht auf freie Rede im Internet gehe und erfährt mit dieser Position breite Unterstützung aus der Gesellschaft.
Die Wahlen im November
Das ist aber nur eine Seite der Auseinandersetzung. Niemand weiß, wie in den von der Corona-Pandemie stark betroffenen USA die Wahlen im November stattfinden werden. Wie wird die Epidemie-Lage dann sein? Wird man Versammlungen abhalten können? Werden Menschen in Schlangen vor den Wahllokalen anstehen können? Welche Hygienemaßnahmen sind zu ergreifen?
Aus dieser Unsicherheit heraus bereiten viele Bundesstaaten – selbstverständlich auch republikanisch regierte – derzeit Briefwahlen vor. (Genau wie die zweite Runde der bayerischen Kommunalwahlen abgehalten wurde.) Trump ist das ein Dorn im Auge, weil er fürchtet, dass viele ärmere Bürger dann ihre Stimme abgeben, während sie den Gang ins Wahllokal scheuten. Das gilt übrigens ebenso für die Älteren. Er hält sie mehrheitlich für Wähler der Demokarten und will deshalb Briefwahlen verhindern.
Hände weg!
Das war aber nur der Auslöser für Trumps Dekret. Dieses wird übrigens erst einmal rechtlich überhaupt nichts bewirken. Es wird keine Regulierung der Tweets in den nächsten Wochen und Monaten geben. Und darauf zielt sein Vorgehen ebenfalls ab. Denn schon ist Facebook zurückgewichen. Man habe nicht die Absicht, Inhalte zu bewerten, wie dies Twitter jetzt vornahm.
Trump möchte, dass sich Twitter, das für ihn bis zum Wahltag unerlässlich ist, nicht mehr traut, ihm nochmals zu unterstellen, Falschaussagen zu verbreiten. Das Dekret bewirkt zwar rechtlich nichts, aber es soll den sozialen Druck auf Twitter erhöhen: Hände weg von Trumps Tweets!
Die Legende vom Opfer Trump
Schließlich bereitet der Präsident für den Fall einer Wahlniederlage Legenden vor. Dass ihm nämlich der Zugang zur Öffentlichkeit verwehrt worden sei: Große Kundgebungen kann er derzeit nicht abhalten, um seinem Wahlkampf Dynamik zu geben. Die Medien stellten sich alle gegen ihn und wollten seine Wahl verhindern, indem sie Fake News über ihn verbreiten. Da bliebe ihm nur der direkte Zugang über das Internet und das würde ihm nun auch noch genommen.
Denn auch wenn Trump den wohl schwächsten Gegenkandidaten hat, den die Demokraten haben auswählen können, muss er inzwischen eine Niederlage mit einkalkulieren. Die Arbeitslosigkeit ist zu hoch, die Wirtschaft zu schwach, die Pandemie-Opfer sind zu zahlreich. China zum Feind zu erklären, um als Kriegspräsident mit einem richtigen (und nicht nur dem Virus als unsichtbaren) Feind in die Wahl zu gehen, ist noch eine Option. Aber sie würde eine rasche wirtschaftliche Erholung endgültig ausschließen.
Wenn schon muss Trump also gegen die Übermächte des „tiefen Staates“ verlieren, um diese Legende stricken zu können. Denn hier denkt er über sich hinaus. Trump wollte von Beginn an eine neue Dynastie gründen: er als Gründungsvater der Trump-Dynastie in der amerikanischen Politik. Erst vor kurzem war ein amerikanischer Präsident nach einer Amtszeit abgewählt worden, sein Sohn aber wurde dann für acht Jahre gewählt. Bush Vater und Sohn. Für Trump wäre mit seiner Niederlage das Kapitel Politik nicht beendet.
Regulierung durch den Kongress?
Soweit ist es aber noch nicht. Trump hofft, allen Plattformen mit dem Dekret einen Schuss vor den Bug versetzt zu haben. Sie sollen ihn und seine zahlreichen Helfer und Helfershelfer in Ruhe ihre Positionen, einschließlich der Halb- und Unwahrheiten verbreiten lassen.
Langfristig aber könnte das Dekret Wirkungen entfalten, die dem Ansinnen des Präsidenten geradezu entgegenlaufen. Denn auch wenn der Präsident auf dem Gebiet der Regulierung sozialer Medien so gut wie keine Befugnisse hat – er kann höchstens im Rahmen der bestehenden Gesetze die Aufsichtsbehörden anweisen -, so hat er den Startschuss für einen legislativen Prozess gegeben.
Denn der Kongress kann über ein neues Gesetz sehr wohl regulierend eingreifen. Und während einige demokratische Abgeordnete das derzeit von sich weisen, könnte das nach den Wahlen anders aussehen. Dann wird man sich vielleicht erinnern, dass Trump erst über Twitter seine Anhänger sammeln und mobilisieren konnte. Mittelfristig könnten sich die Bedingungen für die Nutzung sozialer Medien sehr wohl ändern. Die Unternehmen wären dann nicht mehr vor den Inhalten geschützt, die ihre Nutzer verbreiten, sondern – zumindest weit stärker als heute – dafür verantwortlich. Und damit könnte man sie auch juristisch zur Verantwortung ziehen.
Das wäre eine Änderung, die einen Aufstieg à la Trump in Zukunft erschweren würde. Eine deutliche Änderung, aber ganz anders, als es Trump beabsichtigt hat. Bis es dazu kommt werden aber Heerscharen von Anwälten damit befasst sein. Denn das würde auch die Verantwortung anderer Plattformen, über die Produkte und Dienstleistungen vertrieben werden, ändern und damit ganze Geschäftsmodelle im Internet.
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