"Tatort"-Groteske aus Weimar

Wo Blut und Kakao in Strömen fließen

Thüringen will zur Normalität zurück? Erst muss das Land diesen patenten "Tatort"-Irrsinn über sich ergehen lassen, in dem mit dem Fleischklopfer gemordet wird.

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Am Tatort: Dorn (Nora Tschirner), Lessing (Christian Ulmen, l.) und der mit Kakao-Drinks munitionierte Lupo (Arndt Schwering-Sohnrey) 
Steffen Junghans/ MDR

In Weimar bricht der Sommer an. Der erste Mord in diesem vor genau einem Jahr gedrehten "Tatort" findet im sonnenbeschienenen hohen Gras vor einem thüringischen Ausflugslokal statt, die Polizei rückt in kurzen Hosen zum Ort des Verbrechens an. Da kommt man fast in Urlaubslaune - wären die Morde nicht so blutig.

Einige von ihnen werden mit einem Fleischerhammer ausgeführt, wie man ihn zum Platthauen eines Schnitzels verwendet. Einer der ersten Beamten am Tatort ist Streifenpolizist Lupo (Arndt Schwering-Sohnrey), der in Shorts seine weißen Beine zeigt und eine Schirmmütze trägt, an der er sich links und rechts über den Ohren Kakaodrinks munitioniert hat - ähnlich wie sich Malle-Urlauber gern Bierdosen an den Kopf schnallen. Auch Lupo träumt vom bereits gebuchten Balearenurlaub, Ibiza ist das Ziel.

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Steffen Junghans/ MDR
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Folgen Sie der Blutspur!

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Und los geht der schon bekannte Schlingerkurs zwischen Schockelementen und Schnurre, der inzwischen das herausstellende Merkmal des Weimar-"Tatort" ist und hier oft besser funktioniert als im Münster-"Tatort". Mit dem bereits erwähnten Fleischklopfer wird im Laufe der Handlung auch ein süßer Hund zu Tode geprügelt, dazu gibt es Schlagerhits wie das unvergessliche "Flic Flac in die Nacht".

Kompetenter Irrsinn

Thüringen soll kommende Woche ja nach den Corona-Beschränkungen weitgehend zur Normalität zurückkehren. Doch dieser "Tatort", in dem das Blut und der Kakao in Strömen fließen, stürzt das Bundesland allen Sommerimpressionen und Urlaubsträumereien zum Trotz erst mal in den Irrsinn.

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Auslöser für den heiteren Gewalttrip ist die Entführung des Strickwarenfabrikanten Gerd Schrey (Jörg Schüttauf). Doch aufgrund des Planungschaos der nicht sehr hellen Entführer eskaliert die Situation: Erst werden Frau und Hund des Unternehmers getötet, dann bringen sich die Täter auch noch auf denkbar groteske Weise selbst um. Das Ermittlerteam um Dorn (Nora Tschirner) und Lessing (Christian Ulmen) folgt einfach der Blutspur und staunt, was für abstruse Methoden es gibt, andere und sich selbst in den Tod zu befördern.

Regisseurin Mira Thiel ("Song für Mia") setzt die fargoeske Vorlage von Murmel Clausen, dem Stammautor des Weimar-"Tatorts", mit gutem Gespür für das Timing um. Aber ein bisschen vermissen wir den Dialog-Glanz der alten Weimar-Krimis. Unvergessen etwa die Folge "Der scheidende Schupo", in der inmitten des Mordens inniglich Rosen-Poeme des Barockdichters Angelus Silesius rezitiert wurden, oder "Der treue Roy", wo die Witze vor allem eine Verschnaufpause zwischen den vielen Kierkegaard-Zitaten bildeten.

Von solch existenzphilosophischer Dichte ist in "Der letzte Schrey" nichts zu spüren. Beim Warten auf die für Thüringen versprochene Nach-Corona-Normalität verkürzt dieser kompetente Nonsens trotzdem schön die Zeit.

Bewertung: 7 von 10 Punkten

"Tatort: Der letzte Schrey", Pfingstmontag (!), 20.15 Uhr, ARD

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