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Der Virologe Christian Drosten im Labor | Bildquelle: AP

Wenn Wissenschaft persönlich wird

Streit über Corona-Studie

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Streit unter Wissenschaftlern ist nicht unüblich, doch normalerweise bekommt die Öffentlichkeit davon nichts mit. Warum das bei der Auseinandersetzung über Drostens Corona-Studie anders ist.

Der Chefvirologe der Berliner Charité, Christian Drosten, ist in den vergangenen Monaten für viele Deutsche zu einem festen Begleiter in der Coronavirus-Pandemie geworden. In einem NDR-Podcast berichtet er regelmäßig über den wissenschaftlichen Stand des Virus. Das "Coronavirus-Update" führt seit Wochen die Podcast-Charts an, die mittlerweile 44 Folgen wurden rund 50 Millionen Mal abgerufen.

Seit drei Tagen steht Drosten im Zentrum einer öffentlichen Diskussion, die sich formal an einer Studie zur Corona-Ansteckung von Kindern entfacht hat. Der Streit wird mittlerweile in Zeitungen und sozialen Netzwerken mit einer Heftigkeit geführt, die in der Wissenschaft absolut unüblich ist.

Scharfe Worte an Virologen Kekulé

Drosten selbst wehrte sich nun mit scharfen Worten gegen Kritik des Direktors des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle, Alexander Kekulé. "Kekulé macht Stimmung, seine Darstellung ist tendenziös", schrieb Drosten auf Twitter. Der durch zahlreiche TV-Auftritte bekannte Wissenschaftler kenne die Daten nicht und zitiere falsch. Drosten ging gar zu einem direkten persönlichen Angriff über. "Kekulé selbst könnte man nicht kritisieren, dazu müsste er erstmal etwas publizieren." In der Gemeinschaft der Virologen spiele er "keine Rolle".

Auslöser der jüngsten Eskalation war ein Gastbeitrag Kekulés im Berliner "Tagesspiegel". Darin schrieb er, Drosten und sein Team hätten ihre Publikation zurückziehen müssen. Die Unsicherheit der Daten sei zu groß und das Verfahren für die statistische Auswertung ungeeignet. Der Streit dreht sich um eine von Drosten und seinem Team im April veröffentlichte Studie, nach der Kinder das Coronavirus ähnlich verbreiten könnten wie Erwachsene.

Studie von Bedeutung für Kita-Öffnungen

Dies ist von enormer Bedeutung bei der Frage, ob und in welchem Umfang Schulen und Kindergärten wieder öffnen können. In den vergangenen Tagen hatte die "Bild"-Zeitung mehrere Forscher zitiert, die Kritik an den verwendeten statistischen Methoden geübt hatten. Die zitierten Forscher distanzierten sich allerdings von der Berichterstattung, wollten die Aussagen nur als Teil des wissenschaftlichen Prozesses verstanden wissen.

Denn die Studie war als sogenannter Preprint veröffentlicht worden, das heißt sie beinhaltet nur ein vorläufiges Ergebnis und ist nicht zur medialen Verbreitung gedacht. Ein wissenschaftlich üblicher Vorgang. Wahrscheinlich hätten sich bis vor ein paar Monaten nur wenige Forscher dafür interessiert. Doch nun, da die ganze Welt versucht, Sars-CoV-2 zu verstehen, werden solche Zwischenergebnisse auch in Boulevardmedien diskutiert - mit weitreichenden Konsequenzen.

Leidet Drostens Glaubwürdigkeit?

"Als öffentlicher Gegenstand ist das ein ernst zu nehmendes Problem der Glaubwürdigkeit von Herrn Drosten", sagt Markus Lehmkuhl, Professor für Wissenschaftskommunikation in digitalen Medien im Gespräch mit tagesschau.de. Die Öffentlichkeit habe keine Möglichkeit, die sachliche Basis dieses Streits zu durchschauen. Der Angriff auf seine Glaubwürdigkeit sei für Drosten "eine unangenehme und unbefriedigende Situation - und der Sache auch nicht angemessen".

Preprints seien in der Wissenschaft eine Art Rohmaterial, bei der ein Forscher seine Daten, Methoden und vorläufigen Schlussfolgerungen offenlege, erklärt Volker Stollorz, Wissenschaftsjournalist und Leiter des Science Media Centers in Köln. Gutachter würden sich das anschauen und ihre Meinung abgeben. "Solch eine Kritik kann auch ziemlich ätzend und fachlich durchaus krass sein", erläutert Stollorz die Gepflogenheiten in der Wissenschaft. "Da fliegen die Fetzen, sachlich, knallhart. Das ist so und soll auch so sein, weil es ohne Kritik keinen Fortschritt geben kann." Erst wenn die Kollegenkritik ausgeräumt ist, wird eine Studie veröffentlicht.

#bessereszutun: Drosten löst Twittertrend aus

Drosten erklärte im NDR-Podcast, mit seinem Team an einem Update der Studie zu arbeiten. "Wir sind da schon ziemlich weit. Wir haben aber auch nicht nur an der Statistik Verbesserungen gemacht, sondern wir sind auch noch mal tief in die Daten eingestiegen und konnten auch noch Dinge herausdestillieren, die einen wichtigen zusätzlichen Informationswert haben."

Die "Bild"-Zeitung hatte am Montag Drosten mit solchen "Zitatfetzen von Wissenschaftlern ohne Zusammenhang" konfrontiert und eine Frist von einer Stunde gesetzt, dazu Stellung zu nehmen. Drosten veröffentlichte die E-Mail des Blattes auf Twitter und schrieb süffisant dazu: "Ich habe Besseres zu tun". Für dieses Vorgehen wurde der Virologe in den sozialen Medien überwiegend gefeiert, der Hashtag #bessereszutun schaffte es in die deutschen Trendcharts.

Persönliche Angriffe kommen nicht gut an

Doch mit dem persönlichen Angriff auf Kekulé könnte Drosten viele Sympathien verspielen. Stollorz hat seine Zweifel, "ob das eine kluge Kommunikationsstrategie" war. "Man sagt, dass Forscher gut daran tun, auf der sachlichen Ebene zu kommunizieren und nicht auf der persönlichen", sagt er gegenüber tagesschau.de. Denn die Öffentlichkeit würde Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit unabhängig von den fachlichen Aussagen bewerten. "Die Leute mögen nicht, wenn jemand emotional zuschlägt."

Allerdings weist Stollorz darauf hin, dass dies nur eine Reaktion Drostens gewesen sei. "Wissenschaftler sollten sachorientiert über das berichten, wo sie Expertise haben. Das hat Herr Drosten in vorbildlicher Weise getan und die "Bild"-Zeitung hat das nicht in vorbildlicher Weise getan, denn sie reißt Dinge aus dem Zusammenhang und versucht, eine Kritik aus dem Maschinenraum in den öffentlichen Raum zu tragen, die da nicht hingehört." Stollorz beanstandet auch Kekulés Gastbeitrag im "Tagesspiegel". Er wolle nicht über dessen Motivation spekulieren, "aber warum er das macht, weiß ich nicht".

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Auf Drostens Empfehlungen hört auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. | Bildquelle: dpa

Im Vergleich zu Drosten ist Kekulé eine Randfigur

Drostens Einschätzung, Kekulé spiele "in unserer Community (...) keine Rolle", schließen sich die befragten Wissenschaftler an. "Herr Drosten ist einer der führenden Virologen, dessen Empfehlungen und Urteil ernst zu nehmen sind", sagt Lehmkuhl. In der Wissenschaftsforschung könne die Reputation anhand von Publikationen und vor allem anhand der Resonanz dieser Publikationen gemessen werden. Im Bereich von Coronaviren sei Kekulé "eine Randfigur". Er arbeite "im Grunde gar nicht an der Wissenschaftsfront". Drosten hingegen "ist eine ganz zentrale Figur innerhalb dieser Community. Das kann man mit Sicherheit so sagen."

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Der Virologe Alexander Kekulé ist ein gern gesehener Gast in TV-Shows. | Bildquelle: imago images/Müller-Stauffenber

Stollorz verweist auf den "Zitationsindex", mit dem die Reputation eines Forschers "quick and dirty" überprüft werden könne. Demnach erreichen die Publikationen von Drosten Zitationsraten, die lediglich 0,1 Prozent aller Wissenschaftler schaffen. Drostens Studien seien somit "für die Weltgemeinschaft der Coronavirologen von hoher Relevanz." Von Kekulé hingegen "gibt es keine Publikation zum Coronavirus".