Fortsetzung in der Bundesliga der Frauen

"Wir lieben Fußball - aber nicht diesen"

Viele Bundesliga-Fußballerinnen sind Amateure. Für sie ist der Neustart eine enorme Belastung - das Konzept der Männer-Liga passt eigentlich nicht. Kritische Stimmen werden lauter, doch sie werden als Einzelmeinung abgetan.

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Auf Julia Arnold vom FF USV Jena (links) warten im Juni sieben Pflichtspiele
Peter Hartenfelser/ imago images

Wenn ab 14 Uhr die Bundesliga-Saison der Frauen fortgesetzt wird, mit der Partie VfL Wolfsburg gegen 1. FC Köln, klingt das nach Profifußball. Der Serienmeister aus Wolfsburg mit dem VW-Konzern im Hintergrund gegen den Traditionsklub aus Köln. Im Sinne der Gleichberechtigung soll der Startschuss ein Zeichen sein: Wenn der Männerfußball während der Covid-19-Pandemie wieder beginnen kann - warum nicht auch der Fußball der Frauen?

Dass der Ball in der vom DFB organisierten Liga wieder rollen kann, ist neben einem Solidarfonds der Deutschen Fußball Liga (DFL) auch dem Hygienekonzept der DFL zu verdanken. Es war schließlich die Grundlage für die Freigabe durch die Politik. Stets wurde betont, das Konzept sei explizit für die Frauen mitgedacht. Für das Thema Sicherheit der Spielerinnen trifft das auch zu. Doch die Frauen-Liga ist, anders als die der Männer, keine, bei der ausschließlich Profis auf dem Platz stehen. Im Gegenteil: Viele sind Amateure, mit anderen Jobs neben dem Fußball. Insofern hinkt das mit der Gleichberechtigung, wenn die Rahmenbedingungen schon mal nicht dieselben sind.

Schon die Woche vor dem Start war eine Herausforderung, weil das Hygienekonzept vor der Fortsetzung einen einwöchigen Quarantäne-Aufenthalt vorschreibt. Wer spielen will, konnte eine Woche lang nicht zur Arbeit gehen. Und nun beginnen die echten Strapazen: In mehreren englischen Wochen will die Liga bis Ende Juni die Saison durchspielen.

Julia Arnold, 29 Jahre, Kapitänin des FF USV Jena, gehört zum großen Lager der Amateure. Sie befindet sich derzeit in einer Umschulung zur Immobilienkauffrau. Mit ihren Teamkolleginnen hat Arnold bisher noch kein einziges Mannschaftstraining absolviert. Vor dem Re-Start sagte sie dem SPIEGEL, es werde eine "nie dagewesene Belastung, und wir fühlen uns darauf unzureichend vorbereitet. Zu erwarten, dass wir durch diese Phase verletzungsfrei, physisch und psychisch unversehrt gehen, halte ich für unverantwortlich."

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Kapitänin in Jena: Julia Arnold
Oliver Zimmermann/ imago images/ foto2press

Im Kader von Tabellenschlusslicht Jena stehen neben Arnold noch 20 weitere Spielerinnen, die anderweitig berufstätig sind, die studieren oder noch zur Schule gehen. Beim MSV Duisburg gibt es 18 Spielerinnen, die einer verpflichtenden Aufgabe neben dem Fußball nachgehen. Ein ähnliches Bild ergibt sich auch bei anderen Vereinen der Zwölfer-Liga, das geht aus einer SPIEGEL-Anfrage hervor, die sieben Klubs beantwortet haben. Spielerinnen mussten demnach kurzfristig Urlaub einreichen, Klausuren verschieben, manche Arbeitgeber zeigten sich großzügig und stellten ihre Angestellten frei.

Beim MSV Duisburg zum Beispiel gab es trotzdem zwei Spielerinnen, die aufgrund ihrer beruflichen Verpflichtung nicht mit in die Quarantäne gehen konnten. Bei Hoffenheim muss Cheftrainer Jürgen Ehrmann auf den Re-Start verzichten, er ist hauptberuflich Berufsschullehrer und ging deswegen nicht in die Isolation.

Die derzeit verletzte Freiburger Spielerin Sharon Beck hatte bereits zuvor im SWR kritisiert, dass das Hygienekonzept für den Fußball der Frauen nicht anwendbar sei. Der Trainer des SC Sand, Sven Thoß, kritisierte in der "Badischen Zeitung": "Wie wird mit den Spielerinnen umgegangen? Die Frauen sind ja keine Profis. [...]. Das interessiert keinen, auch beim DFB nicht." Auch wiesen beide auf die erhöhte Verletzungsgefahr hin.

Auf SPIEGEL-Anfrage teilte der SC Freiburg mit, es sei Becks Meinung, aber nicht die Position des Vereins. Ähnlich äußerte sich der SC Sand nach Thoß' Interview. Einzelmeinungen, aber eben keine Stimmungsbilder.

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Sharon Beck (Mitte) wird nach einer Verletzung nicht mehr für Freiburg auflaufen, im Sommer wechselt sie nach Köln
Lackovic/ imago images/Lackovic

Und es stimmt schon: Elf von zwölf Klubs haben der Fortsetzung Anfang Mai zugestimmt. Damals stand immerhin schon fest, dass der Quarantäne-Aufenthalt Teil des Konzepts ist. Nur Köln enthielt sich aus Sorge vor möglichen Überbelastungen der Spielerinnen. Im "Kicker" sagte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg nun, dass die Mehrheit der Spielerinnen zurück auf den Platz wolle. Von den sieben Klubs, die dem SPIEGEL geantwortet hatten, gab nur einer an, dass eine Spielerin nicht bei der Fortsetzung dabei sein möchte.

Doch mancherorts werden nur wenige Tage zwischen Teamtraining und Spielbetrieb vergangen sein. Experten weisen angesichts der kurzen Vorbereitungszeit mit Vollkontakt und Zweikämpfen auf eine erhöhte Verletzungsgefahr hin.

Jena hat alle vier Tage ein Spiel

Extrem ist die Lage in Jena: Bis zum 5. Juni ist dem Klub aus Thüringen noch das Mannschaftstraining untersagt. Um sich überhaupt vorbereiten zu können, zieht der Klub nun um: nach Hessen. Dennoch wurde der Spielplan für das Schlusslicht kräftig durcheinandergewirbelt, erst am 7. Juni wird der Klub sein erstes Spiel bestreiten können. Später als alle anderen. Anschließend warten sechs weitere Partien, alle vier Tage ein Spiel. "Chancengleichheit kann es für uns nicht mehr geben", sagt Arnold.

Sportlich käme der direkte Wiederabstieg von Jena nicht überraschend, schon vor der Corona-Pause war das Team meist klar unterlegen. "Uns ist klar, dass wir sportlich und wirtschaftlich eher ins obere Drittel der zweiten Liga gehören. Doch wir spielen jetzt erste Liga, für uns ist das eine Ehre, ein Lebenstraum, wir lieben Fußball - aber nicht den, der jetzt stattfinden wird."

Anfang Mai hatte auch Arnolds Klub Jena der Fortsetzung zugestimmt, ohne Rücksprache mit den Spielerinnen, sagt die frühere Jugendnationalspielerin. Damals war allerdings auch noch nicht absehbar, dass Thüringen immer noch kein Mannschaftstraining erlauben würde. Die Wettbewerbsverzerrung hat sich erst nach dem Votum entwickelt. Auch deswegen hatten sich die Spielerinnen aus Jena in einer nahezu geschlossen Aktion in den sozialen Netzwerken kritisch zum Re-Start geäußert. Arnolds Sichtweise ist zumindest in Jena keine Einzelmeinung.

Die Liga wertet es als gutes Signal, dass sie die einzige in Europa ist, die spielen kann. Doch zu welchem Preis?

Arnold sagt, es sei eine Fortsetzung auf Kosten der Gesundheit. Und: Man hätte mit der Absage ein Zeichen setzen können. "Natürlich ist uns bewusst, dass ein Abbruch der Liga für viele Vereine existenzbedrohend ist - da hat man verpasst, andere Wege seitens der Verantwortlichen zu finden", sagt sie. "Stattdessen wird mit der Fortsetzung so getan, als hätten wir die gleichen Bedingungen wie die Männer. Die haben wir aber nicht. Weder die medizinische Betreuung noch die wirtschaftlichen Mittel, die Profifußball überhaupt ermöglichen." Dass es nun weitergeht, habe laut Arnold wenig mit Gleichberechtigung zu tun.

Icon: Der Spiegel