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Bereitschaftspolizisten halten im Hongkonger Central District zwei junge Demonstranten festFoto: Kin Cheung / dpa
Griff nach Hongkong

Warum Chinas „Sicherheitsgesetz“ so gefährlich ist

Chef der größten Fraktion im Europa-Parlament: „Wir brauchen diplomatischen Druck“

Es dürfte der bisher stärkste Eingriff in Hongkongs Autonomie werden. Chinas Pläne für ein „Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit“ in der Sonderverwaltungsregion gelten als historischer Wendepunkt für die ehemalige britische Kronkolonie.

Mit dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“ war den sieben Millionen Menschen in Hongkong bei der Rückgabe 1997 an China eigentlich versprochen worden, dass ihre demokratischen Rechte und Freiheiten für 50 Jahre unangetastet bleiben würden.

Warum ist das Gesetz so gefährlich?

„Das Land, das ursprünglich zwei verschiedene Systeme hatte, hat heute nur noch eines“, sagte Joshua Wong (23) am Dienstag im Interview mit BILD Live. Er ist das Gesicht der Freiheitsbewegung Hongkongs und führt seit Monaten die Proteste gegen Chinas immer stärkere Einmischung in die Sonderverwaltungszone an.

China hatte bis vor Kurzem ein freiheitliches System mit mehreren Parteien in Hongkong und ein autokratisches mit nur einer Partei auf dem Festland. Dass sie nebeneinander existieren konnten, ist nun vorbei. Mit dem „Sicherheits-Gesetz“ ist das Hongkong-Versprechen gebrochen.

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Hongkong-Aktivist Joshua Wong (r.) und Nathan Law in HongkongFoto: Vincent Yu / dpa

Wong: Jeder kann verhaftet werden

„Dadurch können Menschen, egal ob sie in Hongkong leben oder sich nur dort aufhalten, jetzt alle von einer geheimen Polizei verhaftet und strafrechtlich verfolgt werden“, erklärte Wong vor zwei Tagen. „Und das im Namen Chinas statt im Namen der Stadt Hongkong.“

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Wong erklärt, was das heißt: In Zukunft kann jeder in Hongkong verhaftet werden, aber im Gefängnis in Peking landen.

Europa-Politiker Manfred Weber (47, CSU), Chef der größten Fraktion im Europa-Parlament (EVP/Christdemokraten) sagte besorgt zu BILD: „Das Abkommen zwischen Großbritannien und China zur Zukunft Hongkongs ist ein international verbindlicher Vertrag. Die Regeln können nicht einseitig durch einen Beschluss der Kommunisten in China geändert werden.“

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Manfred WeberFoto: Philipp von Ditfurth / dpa

Weber: „Wir brauchen diplomatischen Druck. China muss wissen, dass Europa die Entwicklung nicht akzeptiert. Jeder muss sich jetzt bekennen: ‚Ich bin ein Bürger Hongkongs!‘ So wie Kennedy sagte ‚Ich bin ein Berliner‘. Wie in den 50er- und 60er-Jahren Berlin das Symbol für den weltweiten Kampf für Freiheit und Demokratie war, so ist es heute Hongkong.“

Was hat es mit dem Gesetz auf sich?

Das Gesetz soll Aktivitäten, die als Gefahr für die nationale Sicherheit betrachtet werden, „verhindern, stoppen und bestrafen“. Der Beschluss nennt eher vage Tätigkeiten, „das Land zu spalten, die Staatsgewalt zu untergraben“ sowie „terroristische Aktivitäten und anderes Verhalten, das die nationale Sicherheit ernsthaft gefährdet“. China wendet sich auch entschieden gegen Einmischung in Hongkongs Angelegenheiten „durch ausländische und externe Kräfte, egal in welcher Form“. Es wolle „notwendige Gegenmaßnahmen“ ergreifen.

Wann tritt das Gesetz in Kraft?

Der Volkskongress hat zunächst nur über einen Beschluss abgestimmt, nicht über das fertige Gesetz. Der Beschluss ermächtigt allerdings den Ständigen Ausschuss des Parlaments, ein nationales „Sicherheits-Gesetz“ für Hongkong auszuarbeiten und in den Annex des Hongkonger Grundgesetzes einzufügen, womit es dort in Kraft tritt. Katja Drinhausen vom China-Institut Merics in Berlin rechnet damit, dass dies schon „in den kommenden Monaten“ geschieht.

Welche rechtliche Grundlage gibt es für das Gesetz?

Tatsächlich hat Peking die Möglichkeit, gewisse Gesetze über den Annex der Hongkonger Mini-Verfassung auf den Weg zu bringen. Allerdings galt für das „Sicherheits-Gesetz“ bisher ein anderer Weg: Artikel 23 der Verfassung gibt der Sonderverwaltungsregion das Recht und die Pflicht, selbst eine nationale Sicherheits-Gesetzgebung auszuarbeiten.

Aufgrund öffentlichen Widerstands ist dies in den mehr als zwei Jahrzehnten seit der Rückgabe an China allerdings nicht geschehen. Nun legt Peking selbst Hand an. Zwar müssen laut Merics-Expertin Drinhausen auch noch die Hongkonger Regierung und das Basic Law Committee der Stadt konsultiert werden, dabei sei aber kein grundlegender Widerstand zu erwarten.

Soll Chinas Staatssicherheit in Hongkong aktiv werden?

Das ist nicht mehr auszuschließen. Obwohl sich chinesische Regierungsstellen bisher aus der konkreten Verwaltung Hongkongs herausgehalten hatten, sollen künftig „wenn nötig“ auch „zuständige nationale Sicherheitsorgane der Zentralregierung“ jeweils Vertretungen in Hongkong einrichten, „um die betreffenden Verpflichtungen zur Sicherung der nationalen Sicherheit nach dem Gesetz zu erfüllen“, wie es heißt.

Warum jetzt?

Offenbar ist Chinas Führung zu dem Schluss gekommen, dass sie die Proteste in Hongkong anders nicht unter Kontrolle bringen kann, als die Freiheiten auf diese Weise sehr viel weiter einzugrenzen. Seit dem Sommer 2019 hat Hongkong Woche für Woche Demonstrationen erlebt. Zum Teil waren mehr als eine Million Menschen auf der Straße. Auch kam es zu schweren Ausschreitungen.

Auslöser war ein Auslieferungsgesetz. Es sollte ermöglichen, von Chinas Justiz verdächtigte Hongkonger in die Volksrepublik zu überstellen. Nach den Massenprotesten zog die Hongkonger Regierung das Vorhaben zurück.

Was wollen die Demonstranten?

Vor allem echte Demokratie, wie es den Hongkongern bei der Rückgabe 1997 an China in Aussicht gestellt worden war. Die Demonstrationen richten sich gegen die von Peking eingesetzte Regierung, das als brutal empfundene Vorgehen der Polizei bei den Protesten und den langen Arm der kommunistischen Führung. Die Proteste flauten zum Jahresanfang etwas ab – dann kam die Corona-Pandemie. Jetzt haben die Gesetzespläne die politische Atmosphäre neu aufgeheizt.

Muss China mit internationalen Sanktionen rechnen?

Die Pläne stoßen weltweit auf scharfe Kritik – in Deutschland, der EU und ganz besonders aber aufseiten der USA. Ohnehin ist das Verhältnis der beiden Großmächte schwer belastet. Noch bevor in Peking der Beschluss gefasst wurde, die Pläne weiterzuverfolgen, informierte US-Außenminister Mike Pompeo den Kongress in Washington, dass die US-Regierung den vorteilhaften Sonderstatus für Hongkong angesichts der zunehmenden Einmischung Chinas in der eigentlich autonomen Metropole nicht mehr für gerechtfertigt hält.

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Was geschieht jetzt nach dieser Neubewertung?

Welche Konsequenzen das hat, muss sich noch zeigen. Der amerikanische Sonderstatus für Hongkong hat für Unternehmen und Bürger große Bedeutung. Zum Beispiel gelten die gegen China verhängten US-Strafzölle bislang nicht für Einfuhren der USA aus Hongkong. Ein Entzug dieser Vorteile könnte auch die Rolle Hongkongs als internationaler Wirtschafts- und Finanzstandort in Gefahr bringen. Es gilt mit seinem freien Wirtschaftssystem als wichtiges Tor zu China. Das jährliche Handelsvolumen für Waren und Dienstleistungen zwischen den USA und Hongkong betrug zuletzt 67 Milliarden US-Dollar.