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Nationalspielerin, Bundesligaspielerin und Doktorandin in Köln: Turid Knaak (links) von der SGS Essen, hier gegen Henrietta Csiszar von Bayer 04 Leverkusen.
(Foto: imago images/foto2press)

Urlaub nehmen, um Bundesliga zu spielen

Nach den Männern sollen die Frauen ihre Saison unter dem gleichen Hygienekonzept neustarten. Doch die Bedingungen sind so unterschiedlich, dass manche sich schon jetzt fragen, wie der DFB sich das eigentlich vorstellt.

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Turid Knaak ist noch nie in Quarantäne gewesen, aber nun, da der Wechsel in die Isolation anstand, hat sie sich natürlich Gedanken gemacht. Was muss mit, außer Kleidung? Bücher, Laptop, manch eine hat ihre Playstation in den Koffer gepackt. Knaak aber muss Lernmaterial mitnehmen, Zeit für Videospiele wird sie wenig haben. 89 Tage nach dem bislang letzten Punktspiel startet an diesem Freitag die Fußballbundesliga der Frauen ihre wegen des Coronavirus unterbrochene Saison wieder. Das Hygienekonzept der Deutschen Fußball Liga (DFL) gilt bis auf kleinere Unterscheidungen für die Frauen wie für die Männer: keine Fans in den Stadien, strenge Hygieneauflagen, fortlaufende Tests. Also müssen alle zwölf Erstligateams vor dem Neustart in die Isolation. Dass sich die Packlisten der Spielerinnen dabei unterscheiden, ist in diesem Fall nicht allein Zeichen von Individualität, sondern Symbol einer Problematik.

Sich eine Woche komplett abkapseln, bis Ende Juni ein intensives Programm absolvieren und dabei nicht mehr Kontakt als nötig zur Welt außerhalb der Bundesliga zu haben: Das ist für Fußballer der ersten und zweiten Liga machbar - für die meisten Fußballerinnen nicht. Wer wie ein Profi trainiert, aber nicht wie ein Profi verdient und nebenher einem weiteren Job nachgeht oder studiert, kann sich nicht einfach mal ausklinken. "Ich sehe den Neustart zwiegespalten", sagt Knaak ein paar Tage vor der Quarantäne am Telefon. "Wir sind alle froh, dass wir wieder Fußball spielen können, das ist ein großes Privileg und zeigt ja auch den Stellenwert der Liga. Aber es verlangt uns sehr viel ab."

Die 29 Jahre alte Nationalspielerin vom Tabellenvierten SGS Essen promoviert und lehrt an der Universität Köln Sonderpädagogik. Als Ausgangsbeschränkungen erlassen wurden, wechselte sie ins Home-Office, Seminare hält sie online. Kein Problem. Andere aber können diesen Wechsel nicht so leicht vollziehen. Unter den Spielerinnen gibt es Polizistinnen, Lehrerinnen, Erzieherinnen und medizinische Fachangestellte. "Die Umsetzung der Vorgaben passt nicht zu den Lebenswirklichkeiten vieler Spielerinnen der Liga", sagt Knaak. "Da prallen zwei Welten aufeinander."

Dass weitergemacht werden soll, hatten die Vereine am 30. April auf einer außerordentlichen Managertagung entschieden, der Zuschuss des DFL-Solidaritätsfonds für die sechs Klubs ohne Anbindung an einen Lizenzverein spielte eine Rolle. Die verbleibenden sechs Spieltage und der DFB-Pokal wurden am 20. Mai terminiert. Die Frauen-Bundesliga profitiert davon, dass die gesellschaftlichen Debatten sich auf die Männer-Bundesliga konzentriert hatten und umfassende Maßnahmen bereits ausgearbeitet worden sind. Aber nun zeigt sich, wo eine stärkere Anpassung des Konzepts an die eigenen Bedürfnisse angebracht gewesen wäre.

"Die Fortsetzung der Saison ist ein starkes Signal für den Frauenfußball und die Gleichbehandlung von Berufssportlerinnen und Berufssportlern", wird DFB-Vizepräsidentin Hannelore Ratzeburg in einer Mitteilung zitiert. So dürften es die meisten Beteiligten sehen. International starten die Deutschen als erste Frauenliga wieder; mit den drei höchsten Männerligen hierzulande gehören sie zu den wenigen Fußballern weltweit, die überhaupt wieder beginnen. Das steigert natürlich das Interesse. In Großbritannien wird die Partie zwischen Bayern München und Hoffenheim als erstes Livesport-Event seit Beginn der Corona-Krise im frei empfangbaren Fernsehen gezeigt. "Wir haben wirklich ein Alleinstellungsmerkmal in Europa, vielleicht sogar weltweit", sagte die Münchnerin Melanie Leupolz der Nachrichtenagentur sid. Und natürlich ist die Gleichbehandlung wichtig. Nur sind die Gegebenheiten innerhalb der Liga eben unterschiedlich.

Manche Spielerinnen müssen jetzt unbezahlten Urlaub nehmen: "Wie stellt sich der DFB das vor?"

Beim Meister VfL Wolfsburg und dem FC Bayern trifft die Beschreibung von Berufssportlerinnen zu. Die anderen Klubs haben meist nur wenige Profis im Kader. "Das ist eine besondere Herausforderung für einen gewissen Zeitraum", sagt Florian Zeutschler, Essens Geschäftsführer. "Wir wissen alle, was für eine Chance das für den Frauenfußball bedeutet." Manche, sagt Knaak, würden nun ihren Jahresurlaub nehmen oder unbezahlten Urlaub. Davon hat auch Sharon Beck vom SC Freiburg dem Südwestrundfunk erzählt und kritisiert: "Wie stellt sich der DFB das vor?" Sie habe den Eindruck, dass "nicht auf unsere Gesundheit geachtet wird", sondern es darum gehe, dass "Sponsoren jetzt nicht abspringen".

Und dann ist da noch der FF USV Jena, der ursprünglich gegen Essen spielen sollte. Thüringens Landesregierung aber hat das Mannschaftstraining bis 5. Juni verboten, die Partie wurde verschoben. Um die Saison bis 28. Juni zu beenden, soll Jena nur zwei Tage, nachdem das Team überhaupt wieder richtig trainieren konnte, am 7. Juni gegen Freiburg einsteigen - und dann im Dreitagesrhythmus antreten. Einige Spielerinnen fühlen sich ungerecht behandelt: "Aller guten Dinge sind drei: Drei Monate Pause, drei Wochen Kleingruppen-Training, drei englische Wochen", schrieben sie in sozialen Medien.

"Im Vordergrund steht eindeutig die Gesundheit unserer Spielerinnen. Diese ist bei einem Kaltstart kaum gegeben, das Verletzungsrisiko ist viel zu hoch", schrieb der Vereinsvorsitzende Torsten Rödiger in einer Erklärung und verwies auf die Wettbewerbsverzerrung. Ein Umzug in ein anderes Bundesland sei wegen der Berufstätigkeit und Anwesenheitspflicht mancher Spielerinnen bei Abschlussprüfungen keine Option gewesen. Mit zwei Punkten aus 15 Spielen ist Jena Tabellenletzter.

Zahlreiche Spielerinnen aus Jena hatten dem DFB unter anderem vorgeworfen, "auf einzelne Länder Druck auszuüben" und dass es bei den Entscheidungen "am wenigsten um uns Spielerinnen" gehe. Kapitänin Julia Arnold sagte in einem Interview des französischen Fachportals lequipiere.fr: "Wir würden wirklich gerne wissen, ob die Situation genau so wäre, wenn Jena nicht Letzter wäre, ob sie genau so behandelt werden würde, wenn es um München, Potsdam oder andere" ginge. "Manchmal denke ich, dass wir in deren Augen nicht so wichtig sind für den Fußball."

Wahrscheinlich werden nicht alle Bundesligaspielerinnen beim Neustart dabei sein können. Das betrifft sogar Trainer: Wenn Hoffenheim und Bayern München am Samstag in der Vorentscheidung um den zweiten Platz und damit die Qualifikation für die Champions League spielen, wird Jürgen Ehrmann der TSG fehlen. "Ich bin nicht nur Trainer, sondern auch Berufsschullehrer. Aus diesem Job kann ich nicht einfach eine Woche raus."