Konjunkturprogramm

Koalition könnte Teile der Konjunkturhilfen ohne Zustimmung des Bundestags beschließen

Die Bundesregierung besitzt eine Art Blanko-Scheck zur Bekämpfung der Coronakrise. Der gibt ihnen Spielraum für umstrittene Teile des Konjunkturprogramms.

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Olaf Scholz

Der Bundesfinanzminister hat noch viel Geld übrig, das der Bundestag ihm bewilligt hat.(Foto: dpa)

Berlin. Werner Gatzer (SPD) versuchte den Haushaltspolitikern ihre Sorgen zu nehmen. Noch mehr Schulden in diesem Jahr seien vielleicht gar nicht groß nötig, auch nicht für das geplante Konjunkturprogramm, sagte der Haushalts-Staatssekretär am Mittwoch in der Ausschusssitzung. Man habe aus dem ersten Rettungspaket für die Wirtschaft schließlich noch jede Menge Geld übrig.

Dann allerdings folgte ein Nebensatz, der bei den Abgeordneten doch alle Alarmglocken schrillen ließ. Es gebe ja auch die Möglichkeit, über so genannte „Verpflichtungsermächtigungen“ Ausgaben zu beschließen, führte Gatzer aus. Der Fachterminus aus der Haushaltspolitik hat es in sich, denn er bedeutet nichts anderes, als dass die Bundesregierung wesentliche Teile des Konjunkturpakets am Bundestag vorbei beschließen könnte.

Das dämmerte in den vergangenen Tagen auch mehr und mehr den Bundestagsfraktionen. Sie fürchten, sie könnten beim Schnüren des Konjunkturpakets, das am nächsten Dienstag von Union und SPD beschlossen werden soll, in eine reine Zuschauerrolle gedrängt und wesentliche Beschlüsse komplett am Parlament vorbei gefasst werden.

In den Fraktionen kam es daher am Mittwoch und Donnerstag zu hektischer Betriebsamkeit. Die Grünen ließen prüfen, ob die diskutierte Abwrackprämie ohne Zustimmung des Bundestags auf den Weg gebracht werden könnte. Die FDP kramte im Bundestags-Archiv und fand ein Verfassungsgerichtsurteil aus dem Jahre 1973, das finanziellen Entscheidungen der Bundesregierung ohne Zustimmung des Bundestags einen Riegel vorschieben soll.

Die Fraktionschefs von Union und SPD sahen sich sogar zu einem seltenen gemeinsamen Gastbeitrag genötigt. Am Deutschen Bundestag führe bei allen wegweisenden Entscheidungen in den nächsten Wochen „kein Weg vorbei“, mahnten Ralph Brinkhaus und Rolf Mützenich im „Spiegel“.

Blankoscheck für Scholz

Der Bundestag hat sich seine potenzielle Selbstentmachtung allerdings selbst eingebrockt. Zu Beginn der Coronakrise genehmigten die Abgeordneten Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) eine so genannte „globale Mehrausgabe“ in Höhe von 55 Milliarden Euro.

Eine „globale Mehrausgabe“ ist eine Art Blanko-Scheck zur Bekämpfung der Coronakrise. Scholz kann so mittels so genannter „Verpflichtungsermächtigungen“ Ausgaben ohne Zustimmung des Bundestags auf den Weg bringen.

Dieses Vorgehen schien zunächst Sinn zu machen, sollte es doch sicherstellen, dass die Regierung die historische Krise möglichst effektiv bekämpfen kann. Im Nachhinein stellt sich aus Sicht der Abgeordneten ihre eigene Entscheidung allerdings etwas anders da.

Denn Scholz musste den Spielraum bislang gar nicht ausschöpfen. Von den 55 Milliarden Euro hat er lediglich 20 Milliarden ausgegeben. 35 Milliarden Euro hat der Finanzminister also noch in der Hinterhand, die er ohne jede Zustimmung des Parlaments ausgeben kann.

Mit dem Geld könnte die Bundesregierung nun umstrittene Maßnahmen im Rahmen des Konjunkturpakets auf den Weg bringen. Etwa eben eine neue Abwrackprämie, um den Autoverkauf anzukurbeln. Oden den von der SPD geforderten Kinderbonus für Familien, ebenfalls umstritten. Beides wären Milliardenausgaben, die der Bundestag nur zur Kenntnis nehmen könnte.

Und der Bundesregierung steht sogar noch mehr Geld zur Verfügung. So wurden aus dem Soforthilfen-Programm für Kleinstunternehmen, das die Regierung zu Beginn der Krise aufgelegt hatte, bislang erst 12,6 Milliarden Euro abgerufen. Insgesamt hatte die Bundesregierung dafür aber 50 Milliarden bereitgestellt. Bei dem Programm dürfte am Ende viel Geld übrigbleiben, das dann für andere Maßnahmen verwendet werden kann. Stand heute hätte die Bundesregierung so knapp über 60 Milliarden Euro in der Hinterhand.

In den Fraktionen kann man sich zwar nicht so recht vorstellen, dass die Bundesregierung maßgebliche Beschlüsse wirklich am Parlament vorbei trifft. Doch die Sorge ist schon verbreitet, dass sich die Machtbalance zwischen Exekutive und Legislative in dieser Krise zu sehr in Richtung Regierung verschiebt.

So schreiben Brinkhaus und Mützenich in ihrem Beitrag, man werde „in den kommenden Monaten überprüfen, wie die Bundesregierung mit in der Krise beschlossenen Verordnungsermächtigungen umgegangen ist“. Mit anderen Worten: Die Fraktionen fühlen sich offenbar übergangen.

Mehr: Kritik an Staatshilfen – Wie einflussreiche Lobbyisten Strippen ziehen.