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Praktisch, selbst in Nicht-Quarantänezeiten: eine Do-it-yourself-Umarmung.© Wien Museum/Gerli Metz

Keine Angst vor dem Häkel-Virus!

Museen sammeln für die Nachwelt, wie das Coronavirus den Alltag umkrempelt. Dabei kann man in Echtzeit zusehen.

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"Heute habe ich Geburtstag. Weil mein Patenkind Elisa mich nicht sehen und umarmen darf, hat sie mir eine Umarmung per Post geschickt. Ich hab mich echt gefreut." Das ist der Text zum bisher berührendsten Objekt, das Martina Nussbaumer zugeschickt bekommen hat. Es sind zwei aus Karton ausgeschnittene Hände, die mit einer Schnur verknüpft sind, sodass man sie sich umlegen kann und somit bei Bedarf ein Solo-Kuscheln durchführen kann.

Nussbaumer kuratiert die Corona-Sammlung des Wien Museums, das sehr schnell reagiert hat auf den Ausnahmezustand. Neun Tage nach dem Start des Lockdowns rief das Museum die Bevölkerung dazu auf, Fotos von ihrem veränderten Leben zu schicken. Mit diesen "Puzzlesteinen" soll dokumentiert werden, wie ein so massiver Einschnitt die Stadt und ihre Bewohner, ihren beruflichen und privaten Alltag, beeinflusst und verändert. Es soll eigentlich eine Objektsammlung werden, aber weil der direkte Kontakt erst gar nicht und nun nur eingeschränkt möglich ist, arbeitet man erst einmal mit Fotos. Über 2000 wurden bereits geschickt.

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Fies, aber auch süß: das Häkel-Virus. - © Wien Museum/Österreicher

Rapid Response Collecting

Diese Form der raschen Dokumentationsarbeit mithilfe der Bevölkerung soll die Situation, die wir gerade erleben, für spätere Generationen verständlicher machen. Auch weil gerade historische Museen oft die Erfahrung machen, dass vor allem aus dem Alltag in entscheidenden Perioden wenig aufgehoben wurde, etwa bei der letzten Pandemie, der Spanischen Grippe, aber auch über weiter gefasste Zeitspannen: "Große Lücken haben wir etwa bei der Arbeiterschaft im 19. Jahrhundert", sagt Nussbaumer. Die Schwierigkeit sei: "Man erfasst die Bedeutung eines Ereignisses oft erst durch die Distanz. Aber wenn man sich nicht gleich darum kümmert, ist das alles weg."

Das Wien Museum ist nicht das einzige, das sich der historischen Tragweite des Moments bewusst ist, das "Haus der Geschichte" sammelt ebenfalls. Wie auch beim Wien Museum kann man den Fortschritt auf der Homepage verfolgen. Auch in den Bundesländern kann man seine Corona-Memorabilien abgeben: In Oberösterreich kümmert sich das Nordico Museum darum, in der Steiermark das Graz Museum. Dessen Direktor Otto Hochreiter betont einen der vielen Aspekte, die sich relativ schwer in Objekte übersetzen lassen: "Was ist die Erfahrung mit Zeit?" - wem kommt es nicht so vor, als wäre der Jänner und seine Normalität mindestens ein Jahr her? Aber wie kann man Wahrnehmungsverschiebungen wie diese dokumentieren? Eventuell mit Artefakten, die zeigen, wie man die Zeit, die manchem in der Quarantäne auch lang werden konnte, überbrückt hat. Damit kann Martina Nussbaumer aufwarten: So dürfte sich ein kleiner Trend zum Häkel-Coronavirus feststellen lassen, gleich zwei davon zeugen in wolliger Putzigkeit davon, dass man der Bedrohung auch in kreativer Tücke die Gefährlichkeit nehmen kann.

"Alles wird gut"-Motiv

Auch internationale Museen sind bereits dabei, die außergewöhnlichen Zeiten für die Nachwelt zu sichern. Das Londoner Victoria & Albert Museum - es hat 2014 diese kuratorische Kurzfristigkeit als "Rapid Response Collecting" eingeführt -hat eine Art Online-Ausstellung namens "Pandemic Objects" eröffnet. In der werden nicht nur selbstgeschriebene Schilder (geschlossene Geschäfte, Hilfsangebote) zusammengetragen, sondern auch Dinge hervorgehoben, die derzeit eine besondere Rolle spielen. Wie der Türgriff, der Balkon, der Germ und natürlich die Klopapierrolle.

Auch von Kindern gemalte Regenbögen, die eine Zeit lang als beliebtes "Alles wird gut"-Motiv in Fenstern hingen, sind erwünscht.

Im Wien Museum illustrieren die Einsendungen die unterschiedlichen Krisen-Phasen: Zu Beginn kamen Fotos davon, wie der Haushalt neu organisiert wird, man sich im Home Office und Home Schooling einrichtet, ein Fiebertagebuch oder längere Einkaufslisten, damit man nicht so oft zum Supermarkt muss. Oder der Zettel eines Musikers, der seine Nachbarn jeden Tag fragte, welches Stück er abends beim Wunschkonzert auf seinem Balkon spielen soll. Oder das Plakat, das eine ältere Dame ans Fenster des Seniorenheims hielt: "Mir geht‘s gut, macht euch keine Sorgen, Bussi, Oma". Dann folgten selbstgebastelte Masken und schließlich kreative Wege, wie man mit den neuen Sicherheitsregeln umgeht. Etwa der berühmte Babyelefant, den ein Würstlstandbesitzer als Abstandsmarker kurzerhand auf den Boden malte.

Und manche Einsendung zaubert ein Lächeln ins Gesicht: wie die Torte in Corona-Form. Nussbaumer: "Das ist auch sehr reizvoll: Wenn man die Krise einfach verspeist."