Kaum Reserven in Berlin und Brandenburg
Engpass bei Blutkonserven befeuert Debatte über Spendeverbote
by Roberto JurkschatWährend der Corona-Krise ist die Zahl der Blutspenden eingebrochen, das DRK Nordost kann den Bedarf der Kliniken in der Region derzeit nicht voll decken. Einige Organisationen fordern nun, das Blutspendeverbot für homosexuelle Männer aufzuheben. Von Roberto Jurkschat
In der Kühlkammer des DRK-Nordost am Charité-Campus in Berlin-Steglitz sind die Regale leer. Wo sonst drei Viertel aller Blutreserven für die Hauptstadt lagern, ist nach Angaben des Roten Kreuzes nur noch ein Bruchteil der normalen Menge vorhanden. "Normalerweise reichen die Vorräte drei bis vier Tage lang. Im Moment haben wir vielleicht noch Vorräte für einen halben Tag", sagt Susanne von Rabenau, Sprecherin beim DRK-Nordost im Gespräch mit rbb|24. Während der Corona-Pandemie sei die Spendenbereitschaft stark gesunken, in der Region des DRK-Nordost in den ersten drei Mai-Wochen um 30 Prozent. "Im Moment herrscht ein Mangel bei mehreren Blutgruppen", sagt Rabenau: "So ernst wie jetzt war die Situation noch nie."
Der Engpass betrifft Rabenau zufolge nicht nur Berlin und Brandenburg - Blutkonserven seien derzeit in weiten Teilen der Bundesrepublik Mangelware. "Wirklich brenzlig war das Ganze erst einmal nicht, weil der Bedarf der Kliniken auch gesunken war", sagt die DRK-Sprecherin. Wegen der Corona-Pandemie hatten Kliniken viele Operationen verschoben.
OPs verschoben - wegen Knappheit an Blutkonserven
Seit einigen Wochen versuchen die Krankenhäuser in der Region, ihren normalen OP-Betrieb wieder hochzufahren. Der Bedarf an Blutkonserven beim DRK Nordost ist damit wieder sprunghaft gestiegen. Und offenbar müssen Patienten nun erneut auf Operationen warten – weil den Kliniken die Blutkonserven fehlen.
Wie ernst die Lage ist, zeigt das Blutspende-Barometer auf der Website des DRK [blutspende-nordost.de]. Einen "beunruhigend geringen Blutbestand" herrscht demnach bei drei von acht Blutgruppen (A-, 0- und B-). Die Reserven bei vier weiteren Blutgruppen (A+, 0+, B+ und AB-) sind als "gering" eingestuft. Gebraucht werden die Blutkonserven laut DRK vor allem für die Behandlung von Krebspatienten (19 Prozent), von Magen- und Darmpatienten (16 Prozent), Herzerkrankungen (14 Prozent) und für Unfallverletzungen (12 Prozent).
"Die Rückkehr in den normalen OP-Betrieb wird im Moment durch die knappen Blutreserven ausgebremst", sagt die DRK-Sprecherin. "In einigen Fällen wurde von Kliniken Blut für OPs bestellt, das wir nicht liefern konnten". Mitarbeiter des DRK-Nordost stünden derzeit täglich in Kontakt mit den Krankenhäusern, um wenigstens die Notfallversorgung sicherzustellen. "Das schlimmste Szenario, dass Patienten nach einem Unfall oder mit einer schweren chronischen Krankheit nicht mehr versorgt werden können, ist zum Glück noch nicht eingetreten", sagt Rabenau. Das DRK, die Charité und andere Zentren in Berlin haben aufgerufen, am Pfingstwochenende die Sondertermine für die Blutspenden zu nutzen.
Streit um Blutspendeverbot für homosexuelle Männer
Der Engpass befeuert auch die Diskussion um die Frage, wer Blut spenden darf und wer nicht. Geregelt ist das in einer bundesweiten Richtlinie, die erst im August 2017 vom Arbeitskreis Blut am Robert-Koch-Institut (RKI) erneuert wurde. Um Risiken auszuschließen, müssen alle Spender vor der Entnahme einige persönliche Informationen in einen Fragebogen eintragen, zum Beispiel über den aktuellen Gesundheitszustand und zu Vorerkrankungen.
Für Zündstoff sorgt allerdings Punkt Nummer 16 auf dem Papier, der Details zum Sexleben abfragt - und de facto zum Ausschluss wohl der meisten bisexuellen und schwulen Männer führt und auch Menschen mit häufiger wechselnden Partnern die Spende verbietet. Die Fragen lauten: "Hatten Sie in den letzten zwölf Monaten Sexualverkehr mit mehr als drei Partnern? Haben Sie dafür Geld oder andere Leistungen (Unterkunft, Drogen) erhalten?" Frauen sollen angeben, ob sie in den letzten vier Monaten Sex mit einem bisexuellen Mann hatten. Männer werden gefragt, ob sie "schon einmal Sexualverkehr mit einem anderen Mann hatten? Wenn ja, fand dieser Kontakt innerhalb der letzten zwölf Monate statt?"
Aidshilfe fordert neue Regeln für Blutspenden
Hintergrund ist eine Risikobewertung der Arbeitsgruppe Blut am RKI, an der im Jahr 2017 auch Experten der Bundesärztekammer und dem Paul-Ehrlich-Institut beteiligt waren. Weil homosexuelle Männer als Risikogruppe für die Übertragung einiger schwerer Infektionskrankheiten eingestuft worden sind, dürfen Männer seitdem nur Blut spenden, wenn sie ein Jahr lang keinen Sex mit einem anderen Mann hatten. Vor der Definition dieser Richtlinie des Transfusionsgesetzes im August 2017 waren homosexuelle und bisexuelle Männer sogar lebenslang von der Blutspende ausgeschlossen.
"Die neue Richtlinie ist so diskriminierend wie die alte: Männer, die Sex mit Männern haben, sind zwar statistisch tatsächlich häufiger von HIV betroffen als andere. Dies rechtfertigt jedoch keinen pauschalen Ausschluss", heißt es in einer Stellungnahme, die die Deutsche Aidshilfe diesen April auf ihrer Website veröffentlich hat [aidshilfe.de]. Auch medizinisch sei diese Regel wenig sinnvoll, die Frist von einem Jahr sei "willkürlich gewählt". "Nachvollziehbar wäre ein Zeitraum, der sich am 'diagnostischen Fenster' orientiert", heißt es. "Nach sechs Wochen lässt sich eine HIV-Infektion mit einem Antikörpertest sicher ausschließen." Die Aidshilfe fordert deshalb, die "Diskriminierung homosexueller Männer" zu beenden und die Sicherheit von Blutprodukten über neue Kriterien sicherzustellen.
Schwulenverband fordert "Safer Sex" als Kriterium
Eine ähnliche Kritik formuliert der Verband für Lesben und Schwule in Berlin (LSVB). "Die Richtlinie ergibt medizinisch keinen Sinn und es ist natürlich diskriminierend Schwule so pauschal von der Blutspende auszuschließen", sagt LSVB-Sprecher Jörg Steinert im Gespräch mit rbb|24. "Entscheidend ist nicht, welche sexuelle Neigung jemand hat, sondern ob der Sex geschützt ist oder nicht."
Eine einfache Angabe, nur "Safer Sex" gehabt zu haben, sieht die Aidshilfe kritisch. "Viele Menschen können HIV-Risiken nicht richtig einschätzen. Außerdem bleibt auch bei Safer Sex ein Restrisiko, das bei schwulen Männern höher ist, eben weil es in dieser Gruppe mehr Menschen mit HIV gibt", heißt es in der Stellungnahme. Angaben der Aidshilfe zufolge liegt die Wahrscheinlichkeit, sich als Empfänger einer Blutspende mit HIV zu infizieren, bei 1 zu 5,3 Millionen.
Spahn hält an Spendeverbot für homosexuelle Männer fest
Allerdings ist das Transfusionsgesetz der Bundesrepublik mit dem Spendeverbot kein Einzelfall. Laut einer Mitteilung des Arbeitskreises Blut am RKI gilt ein einjähriges Spendeverbot nach dem Sex zwischen Männern unter anderem auch in den USA, Australien, Tschechien, Großbritannien, in Frankreich oder in den Niederlanden. In Spanien müssen sechs Monate nach dem letzten "Partnerwechsel" vergangen sein. In Italien genügt eine individuelle Risikobewertung.
"Die Herausforderung für die Expert_innen vom Arbeitskreis Blut besteht nun darin, diese Sicherheit bei einem neuen Verfahren aufrechtzuerhalten", fordert die Aidshilfe. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte den jüngsten Forderungen nach einer Aufhebung des Spendeverbots Männer erst Anfang dieser Woche eine Absage erteilt. In einem Brief an FDP-Abgeordnete, der der Nachrichtenagentur AFP vorliegt, verwies Spahn auf die Risikobewertung des RKI: Ihm sei es wichtig, dass der Schutz von Empfängern "an erster Stelle" stehe.
Sendung: Abendschau, 01.06.2020, 19.30 Uhr