Vorstoß von Baden-Württemberg

Experten uneins über Schulöffnungen

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Bis Ende Juni soll in Grundschulen und Kitas in Baden-Württemberg wieder Normalität einkehren.(Foto: dpa)

Seit Wochen unterrichten Eltern ihre Kinder zu Hause. Der Ruf nach einer baldigen Öffnung von Kitas und Grundschulen wird immer lauter. Baden-Württemberg hat beschlossen, dem bis Ende Juni nachzukommen und bezieht sich dabei auf eine neue, durchaus umstrittene Studie.

In Baden-Württemberg wird eine bei den Unikliniken Heidelberg, Tübingen, Freiburg und Ulm in Auftrag gegebene Studie derzeit noch ausgewertet. Dennoch hat die Landesregierung um Ministerpräsident Winfried Kretschmann entschieden, Grundschulen und Kitas bis Ende Juni wieder vollständig zu öffnen. Kinder würden nicht nur seltener krank, sondern seien offenbar auch seltener infiziert als Erwachsene, heißt es demnach. Daher könne ausgeschlossen werden, dass sie besondere Treiber des aktuellen Infektionsgeschehens seien, so der Grünen-Politiker.

"Mit diesen Schritten bieten wir Familien mit kleineren Kindern eine echte Perspektive. Wir entlasten Eltern spürbar und geben vor allem den Kindern die Chance, endlich wieder in Kontakt mit Gleichaltrigen zu kommen, zu lernen und zu spielen", so die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann am Dienstag. Für die Studie, auf die man sich bei dieser Entscheidung stützt, wurden 2500 Kinder und jeweils ein Elternteil auf das Virus und mögliche Antikörper getestet.

Noch zu viele Fragen offen

Die erste Einschätzung der Ergebnisse deckt sich mit der mehrerer Fachgesellschaften der Kindermedizin, die seit geraumer Zeit ein Ende des Notbetriebs in Kitas und eine unbeschränkte Wiederöffnung der Schulen fordern. In der gemeinsamen Stellungnahme heißt es: "Verschiedene Untersuchungen ergeben ein zunehmend schlüssiges Bild, dass Kinder in der aktuellen CoVid-19-Pandemie im Gegensatz zur Rolle bei der Influenza-Übertragung keine herausragende Rolle in der Ausbreitungsdynamik spielen." Insbesondere bei Kindern unter zehn Jahren würden die Daten sowohl für eine geringere Infektions- als auch für eine deutlich geringere Ansteckungsrate sprechen. "Schul- und Kita-Schließungen haben wahrscheinlich nur eine geringe Effektivität auf die weitere Infektionsausbreitung", so die Schlussfolgerung.

Derzeit sind andernorts weitere Untersuchungen geplant, unter anderem an rund 5000 Kindern in Düsseldorfer Kitas sowie 6000 Kindern durch das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Die Leiterin der Untersuchung ist Ania Muntau, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin des UKE. Sie sagte dem Deutschlandfunk: "Ich habe mich immer sehr gewundert über die Sicherheit, mit der die Aussage auch in der Öffentlichkeit getätigt wurde, dass Kinder nicht erkranken." Es gebe dazu keine Evidenz, weil das niemals umfassend und in die Tiefe untersucht worden sei. "Das ist eine absolut offene Frage, ob Kinder erkranken und wie häufig und wie schwer sie erkranken", glaubt sie.

Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité sieht das ähnlich. Er teilte dem Deutschlandfunk schriftlich mit, es gebe im Moment keine wissenschaftliche Grundlage für eine umfassende Öffnung. Die Kinderarzt-Verbände hätten zudem in ihrer Stellungnahme wichtige Elemente der von ihnen zum Beleg zitierten Arbeiten nicht erwähnt. Er findet es dennoch richtig, dass die Kinderärzte sich zu Wort gemeldet haben. Sie eröffneten damit eine ganz wichtige gesellschaftliche Diskussion. "Während sich der Virologe vornehm auf die Daten zurückzieht und sagt, da muss weiter geforscht werden, sagen gestandene Kinderärzte 'So nicht!'." Darauf müsse die Politik nun reagieren.

Schulferien als Puffer

Prof. Dr. Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie an der TU München und am Helmholtz Zentrum München, ist dafür, Konzepte für die Öffnung der Schulen und Kitas zu entwickeln. Sie sagte dem Deutschlandfunk, das Erkrankungsrisiko der Kinder sei gering und vertretbar. "Ein höheres Risiko besteht aber, wenn in der Schule infizierte Kinder das Virus mit nach Hause tragen und Familienmitglieder mit Vorerkrankungen oder ihre Großeltern anstecken."

Professor Gérard Krause vom Helmholtz Zentrum äußerte sich am Abend im "Heute Journal" so: "Die Sachlage ist immer noch sehr unklar, aber jetzt ist glaube ich ein guter Zeitpunkt zu erwägen, die Schulen und Kindergärten wieder zu öffnen." Der Grund dafür seien die sich zunehmend verhärtenden Hinweise, dass Kinder gar nicht so stark an der gesamten Übertragung der Gesellschaft beitrügen und so häufig infiziert seien. "Außerdem haben wir die Situation, dass wir bald die Sommerferien auf uns zukommen sehen. Sollte es so sein, dass das Öffnen der Kindergärten und Schulen zu vermehrten Fällen führt, dann würden die Sommerferien die weitere Verbreitung unterbrechen."