Huawei-Repräsentant: EU muss globale Lieferkette für IT sichern

Huaweis "Außenminister" in der EU, Abraham Liu, sieht die Gemeinschaft angesichts der "künstlichen" Unterbrechung der Chipversorgung durch die USA gefordert.

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Die Mitte Mai verschärften Exportbeschränkungen der US-Regierung, wonach Chiphersteller keine Halbleiter mit Technik und Know-how aus den USA mehr an Huawei liefern dürfen, hat der Chefrepräsentant des chinesischen Konzerns bei den EU-Institutionen, Abraham Liu, als "Herausforderung für die gesamte Industrie" rund um Informations- und Kommunikationstechnologien bezeichnet. Gerade für diesen Sektor seien globale Lieferketten äußerst wichtig, da in dessen Produkte und Systeme "hunderttausende Komponenten aus der ganzen Welt" integriert würden.

Die digitale Technik habe sich gerade während der Corona-Krise als besonders nützlich und wertvoll für die Kommunikation der Menschen erwiesen, betonte Liu am Donnerstag bei einer Online-Debatte des Dachverbands Digital Europe zu wirtschaftlichen Transformations- und Erholungsmöglichkeiten im Zeichen der Pandemie. Huawei sehe sich nun aber gezwungen, die Kontinuität des IT-Betriebs nicht nur wegen der Bedrohung durch das Virus, sondern auch aufgrund einer "politischen, künstlichen Disruption" auf ganz neue Art und Weise sicherzustellen.

Der Vizepräsident des Netzwerkausrüsters und Smartphone-Herstellers für Europa appellierte angesichts des umstrittenen Zugs der US-Exekutive an alle Firmen, mögliche Schwachstellen in ihren Lieferketten zu untersuchen. Die Maßnahme bedrohe letztlich auch die Rechtsstaatlichkeit, da Unternehmen an die Vereinbarkeit ihrer Aktivitäten mit lokalen Gesetzen gebunden seien. Europa müsse als ein Block, der sich als "geeint in seiner Verschiedenheit" verstehe, solche Werte sowie den Multilateralismus verteidigen.

Digitales Europa

Anthony Whelan, Digitalberater der Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen, verwies auf das am Mittwoch angeschobene, 750 Milliarden Euro starke europäische "Notfall-Aufbauinstrument". Als dessen Herzstück und "Bazooka" werde eine neue Aufbau- und Resilienzfazilität im Umfang von 560 Milliarden Euro fungieren. Der Fonds solle finanzielle Anreize für öffentliche Investitionen und Reformen insbesondere im Bereich der grünen und der digitalen Wende bereitstellen, die die Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten widerstands- und zukunftsfähiger machten.

Digital Europe hatte zuvor kritisiert, dass der geplante nächste siebenjährige EU-Finanzrahmen nur drei Prozent des Budgets für die digitale Transformation vorsieht. Whelan konnte hier die Gemüter nun beruhigen, da die von den Mitgliedsstaaten vorgeschlagenen Kürzungen rückgängig gemacht werden sollten. Die Kommission plant für den EU-Haushalt von 2021 bis 2027 ohne die weiteren Konjunkturhilfen insgesamt 1,1 Billiarden Euro ein, die unter anderem durch eine Digitalsteuer und einen höheren CO2-Preis wieder reinkommen sollen. Bei finanziellen Auflagen für Tech-Riesen wie Apple, Amazon, Google, Facebook oder Microsoft will die Brüsseler Regierungsinstitution dabei notfalls auch ohne die OECD vorangehen, wenn die Staatengemeinschaft nicht bald liefert.

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Für einen freien internationalen Fluss nicht-personenbezogener Daten wolle sich die EU auf Basis der eigenen einschlägigen Verordnung etwa auch auf Ebene der Welthandelsorganisation WTO starkmachen, berichte Whelan. Vor weiteren Abkommen zum Transfer persönlicher Daten wolle man das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum transatlantischen Privacy Shield abwarten. Schlüsseltechniken wie Künstliche Intelligenz (KI), Blockchain oder Hochleistungsrechner etwa mit einem Programm für strategische Investitionen in kritische Infrastrukturen weiter beflügeln.

"Wir müssen an grüner KI arbeiten", verlangte Mieke De Ketelaere vom Interuniversity Microelectronics Centre in Leuven. Bisher sei die Hardware nicht auf Energieeffizienz ausgelegt und es würden viel zu viele Daten hin und her gesendet. Zudem seien die algorithmischen Modelle zu groß und reflektieren nicht, "was wir Menschen mit unserem kleinen Gehirn machen". Die Wissenschaftlerin hält es so für möglich, den Energieverbrauch von KI um 70 bis 80 Prozent zu reduzieren. Nötig sei es auch, die "Blackbox" zu öffnen und die Technik transparenter zu machen. Für den KI-Einsatz in der Industrie sollte die Kooperation zwischen Ingenieuren im Bereich Maschinenlernen und Datenforschern verbessert werden.

Digitales Typenschild

Als "Killer-App" für die Industrie 4.0 brachte Dieter Wegener vom Elektroindustrieverband ZVEI das digitale Typenschild ins Spiel. Dabei werde das analoge Produktblatt für Maschinen digitalisiert und über einen QR-Code Anwendern zur Verfügung gestellt. Ein Standard dafür sei über die DIN-Spezifikation 91406 in Arbeit.

Viele Unternehmen seien nach den Pandemie-Erfahrungen dabei, vor allem ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilung auf "virtuelle Desktops" rüberzuziehen und Abläufe in Fabriken aus der Ferne heraus zu überwachen, ergänzte Patrik Sjoestedt von Microsoft. "Das geht in Richtung autonomer Betrieb", meinte er. Vermehrt versuchten Firmen, in Cyber-Umgebungen mit "digitalen Zwillingen" zu simulieren, was im Werk passiere. Der US-Konzern habe dazu mit BMW eine Open Manufacturing Platform gestartet.

(olb)