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Die Operationssäle blieben im März und April weitgehend leer.© Laurent Gillieron/Keystone (Lausanne

Spitäler wollen Geld der Krankenkassen – diese kontern: «Die Reserven gehören den Versicherten»

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Die Krankenversicherer sollen für die Ausfälle der Spitäler während der Coronakrise bezahlen. Die Kassen wollen ihre Reserven aber nicht für die leergebliebenen Betten und die ungenutzten Operationssäle hergeben. Das Geld gehöre den Versicherten.

Zuerst steil nach oben, dann steil nach unten: Die Gesundheitskosten haben sich in den ersten fünf Monaten des Jahres sehr unterschiedlich entwickelt. Im ersten Quartal sind sie gemäss Branchenkennern um rund 5 Prozent gewachsen. Mit der Coronakrise sind die Gesundheitskosten dann wider Erwarten stark gesunken. Statt Hochbetrieb herrschte in den meisten Schweizer Spitälern Patientenmangel. Wegen des Behandlungsverbots blieben Betten leer, Operationssäle ebenfalls.

Der Spitalverband H+ schätzt, dass sich der finanzielle Schaden wegen des Behandlungsverbots für die Spitäler bis Ende 2020 auf bis zu 3 Milliarden Franken beläuft. Wer für das Delta aufkommen muss, liegt für Anne-Geneviève Bütikofer, Direktorin des Verbands, auf der Hand: Die Krankenkassen müssen einspringen. Schliesslich sei durch das Behandlungsverbot die Grundversicherung entlastet worden. «Die Reserven der Krankenkassen in der Höhe von 9 Milliarden Franken sind für die Deckung epidemiebedingter Zusatzkosten gebildet worden.» Mit der Beanspruchung dieser Reserven könnten die Covid-­19-bedingten Zusatzkosten im Gesundheitssystem mehr als aufgefangen werden.

Für Versicherer ist die Gesetzeslage eindeutig

Die Forderung findet wenig Gehör: «Ich habe Verständnis für die schwierige Situation der Schweizer Spitäler», sagt zwar Nikolai Dittli, CEO des Krankenversicherers Concordia. Dennoch weist er den Angriff auf die Reserven der Krankenkassen vehement zurück: «Die Reserven gehören den Versicherten.» Das Krankenversicherungsgesetz sei in diesem Punkt unmissverständlich, die Reserven dürfen ausschliesslich für Diagnose- und Heilungskosten bei Krankheiten eingesetzt werden. «Es kann keinesfalls sein, dass Prämienzahler für die Finanzierung von nicht durchgeführten Behandlungen zuständig sind.» Der Bund müsste einen solchen Eingriff anordnen.

Thomas J. Grichting, Generalsekretär von Groupe Mutuel und Santésuisse-Vizepräsident, wehrt sich gegen einen staatlichen Griff in die Reserven der Krankenversicherer. Dieser sei «unnötig», schreibt er in einem Gastbeitrag von «HZ Insurance». «Der Wettbewerb führt dazu, dass die Krankenversicherer ein grosses Interesse daran haben, die Prämien in der Grundversicherung möglichst tief anzusetzen respektive die allfälligen Überschüsse im kommenden Jahr durch Prämienrückerstattungen oder geringere Prämienerhöhungen zu kompensieren», sagt Grichting. Die Forderung der Spitäler komme zudem zu früh, sagt Concordia-CEO Dittli. Man müsse das gesamte Jahr anschauen. «Ich halte es für gut möglich, dass der eingehandelte Rückstand wegen der Coronakrise wieder eingeholt wird», sagt er.

So herrscht denn nun in den Spitälern und den Arztpraxen deutlich mehr Betrieb als üblich. «Einige Praxen haben nun länger offen, teilweise auch samstags, um den Rückstand aufzuholen», sagte der Präsident der Ärzteschaft, Jürg Schlup, im «SonntagsBlick». Er ist aber skeptisch, dass der Rückstand aufgeholt werden kann. «Insgesamt wird es bis Ende Jahr weniger Behandlungen geben.» Auch verschiedene Unispitäler und Privatkliniken rechnen damit, dass die Ertragsausfälle lange nicht kompensiert werden können. Im Juni dürfte es einen runden Tisch zu den Forderungen der Spitäler geben. Nikolai Dittli ist überzeugt, dass die Reserven der Kassen nicht angetastet werden. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass ausreichende Reserven zum Bezahlen von überraschend anfallenden Kosten notwendig seien.

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Hier geht's zum Corona-Dossier.

Ohnehin hat er mit den Reserven andere Pläne. «Wir sind ein nicht profitorientierter Verein und bezahlen nicht benötigte Reserven regelmässig an unsere Kundinnen und Kunden zurück», sagt er. Seit 2017 nimmt die Concordia freiwillige Auszahlungen an die Versicherten vor. Insgesamt flossen so 112 Millionen Franken an die Kunden. Ihnen wird das Geld direkt von den Prämienrechnungen abgezogen. 2019 fliessen so erneut 28 Millionen Franken an die Versicherten zurück. Auch Groupe Mutuel, Assura oder Sympany haben zuletzt Gelder aus den Reserven ausgeschüttet.

Reserven sollen höhere Prämien verhindern

Concordia bezahlt dieses Jahr zudem zum zweiten Mal in Folge den Prämienausgleich – dies wegen des guten Geschäftsjahres. Allerdings nur in 14 Kantonen, wo die Prämieneinnahmen höher sind als die bezahlten Leistungen. Die Kunden erhalten je nach Kanton zwischen 70 und 330 Franken in Form einer Einmalzahlung zurück – insgesamt 66 Millionen Franken. Noch muss allerdings das BAG seinen Segen dafür geben.

Dittli will von dieser Praxis künftig nicht abrücken: «Falls Ende Jahr wegen des Lockdowns und nicht durchgeführten Behandlungen tiefere Kosten als bei der Prämienberechnung im letzten Jahr erwartet resultieren sollten, so werden wir die Differenz im 2021 wiederum unseren Versicherten zurückerstatten.» Und falls umgekehrt eine zweite Welle käme, würde Concordia alleine deswegen die Prämien nicht anheben, versichert Dittli. «Dafür würden wir wiederum unsere Reserven einsetzen.»

Autor

Roman Schenkel

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