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Das Lager der Supermarktkette Billa in Inzersdorf. Hier werden die Onlinebestellungen für den Raum Wien kommissioniert. In anderen Regionen werden die Hauszustellungen in den Filialen zusammengestellt.© Mario Pampel

Auf dem linken Fuß erwischt

Der Online-Lebensmittelhandel war ein Nischenthema in Österreich – bis Corona kam. Auf die bescheidenen Zuwächse waren die Großen der Branche nicht gut vorbereitet. Es wäre mehr für sie drin gewesen, meinen Experten.

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Bereits Mitte März, als die Corona-Maßnahmen verkündet wurden, verzeichneten die Onlineshops der beiden großen Player Billa und Spar deutliche Zuwächse und mussten ihr Personal aufstocken. Die Nachfrage konnten sie dennoch nicht decken: Über mehrere Wochen gab es bei beiden Händlern kaum freie Lieferfenster. Mittlerweile hat sich die Lage entspannt, und sowohl Billa als auch Spar stellen, etwa in Wien, wieder binnen zwei, drei Tagen zu.

"In der Krise haben viele Kunden erstmals den Online-Lebensmitteleinzelhandel ausprobiert und durchaus gute Erfahrungen gemacht. Die Frage ist aber: Wie nachhaltig ist die Entwicklung?", sagt Cordula Cerha, Forscherin am Institut für Handel und Marketing der Wirtschaftsuniversität Wien (WU). Eine Frage, die schwer zu beantworten ist, weil "Gewohnheiten tief sitzen" und fraglich sei, ob "uns die Krise lang genug für bleibende Änderungen in unserem Einkaufsverhalten begleiten wird".

Der Anteil der Österreicher, die Lebensmittel online einkaufen, ist während der Krise leicht gestiegen, wie eine repräsentative Untersuchung des Marktforschungsunternehmens Nielsen zeigt. Demnach haben vor der Pandemie sechs Prozent der Befragten Frischprodukte online eingekauft, während der Krise aber acht Prozent. Bei abgepackten Lebensmitteln ist der Wert von acht auf elf Prozent gestiegen. Immerhin neun Prozent gaben an, auch nach der Krise zumindest abgepackte Lebensmittel online einkaufen zu wollen.

Für Frischprodukte generell ist aber zu erwarten, dass der Zuwachs nicht von Dauer sein wird, sondern weiterhin nur sechs Prozent frische Lebensmittel online kaufen wollen.

Die Coronakrise habe die Lebensmittel-Onlineshops auf dem linken Fuß erwischt, sagt Christoph Teller, Vorstand des Instituts für Handel, Absatz und Marketing der Johannes-Kepler-Universität Linz: "Kapazitäten wurden zwar rasch aufgestockt und man hat getan, was man tun konnte. Am Ende des Tages wäre für die Händler aber viel mehr drinnen gewesen, wenn es die nötigen Ressourcen schon vor der Krise gegeben hätte."

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Ein Supermarkt in Salzburg im April 2020: Die Umsätze im Lebensmittelhandel sind im März 2020 um 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen - das Geschäft machten aber die stationären Filialen der Supermarktketten. - © APAweb / Barbara Gindl

Dass in Österreich der Onlinehandel eine vergleichsweise kleine Rolle spielt, liegt laut Teller einerseits am fehlenden Innovationsdruck, da sich der Handel hier "eher langsam, aber nachhaltig" weiterentwickelt. Fast noch wichtiger aber ist, dass in einem kaum einem Land die Supermarktdichte derart groß ist. "Fast alle haben einen Laden im direkten Umkreis, an dem sie am Heimweg vorbeikommen. Für die meisten ist es am bequemsten, den Einkauf unterwegs zu erledigen", sagt Cerha.

Onlineshops im Lebensmittelhandel unrentabel

Teller rechnet mit einem nachhaltigen, spürbaren Wachstum der Onlineshops, allerdings von niedrigem Niveau ausgehend – derzeit weniger als einem Prozent der Lebensmittel-Umsätze. Für Kunden gehe es beim Einkauf auch um das Erlebnis und um die Haptik: "Was machen Leute, die auf den Markt gehen? Sie greifen die Produkte an, riechen daran, vergleichen", sagt Teller. Dies fehle vielen bei einem Onlineeinkauf. Dazu komme die hierzulande außerordentlich hohe Qualität des stationären Handels, sei es in Sachen Filialgestaltung, Kundenservice, Sortiment oder Produktqualität. Auch fehlt der finanzielle Anreiz für die Ketten, im großen Stil in das Onlinegeschäft zu investieren. Allenfalls kann man damit Marktanteile des Konkurrenten abgraben oder das eigene Image verbessern, sagt Teller. Einen Return on Investment in akzeptabler Zeit zu generieren, sei aber eine große Herausforderung.

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Cordula Cerha ist Wirtschaftswissenschaftlerin und forscht zum Thema Handel an der WU Wien. Die Liefergebühren sind zu niedrig, um die Kosten der Hauszustellung abzudecken, meint sie. - © Christian Spadt

Der Onlinehandel mit Lebensmitteln ist auch deshalb eine große Herausforderung, weil die Gewinnmargen in aller Regel niedrig kalkuliert sind, zu niedrig, um kostendeckend zu sein. In der Filiale stellt der Kunde seinen Warenkorb selbst zusammen und transportiert ihn eigenhändig nach Hause. "Bei der Zustellung muss diese kleinteilige Arbeit jemand anderer übernehmen – ein Aufwand, der sich mit zwei bis fünf Euro Liefergebühr nicht abdecken lässt", sagt Cerha.

Ein möglicher Mittelweg für den Onlinehandel mit Lebensmitteln, der die hohen Kosten der letzten Meile vermeidet, ist "Click & Collect": Die Kunden bestellen online und holen ihre Bestellung bei Pickup-Stationen ab. "Man trifft sich quasi auf halbem Weg. Etwa in Dörfern, wo es kein Geschäft mehr gibt oder in entlegenen Regionen", sagt Teller. Der Forscher sieht Potenzial für das System in Österreich, das sich etwa in England schon großer Beliebtheit erfreut.

"Einen Lebensmittelonlineshop zu betreiben, ist auf der ganzen Welt unrentabel. Es gibt niemanden, der das kostendeckend machen kann", sagt Spar-Unternehmenssprecherin Nicole Berkmann. Weil die Lieferung insbesondere am Land sehr teuer sei, müsse man genau überlegen, welchen geografischen Radius man abdecken will. "Daher bleiben wir vorerst bei zwei großen Städten (Salzburg und Wien, Anm.) und deren Umgebung", sagt Berkmann.

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Ein Interspar-Fahrzeug in Salzburg. Für die Kommissionierung der Warenkörbe setzt Spar Picker in den Filialen ein, die Zustellung erfolgt durch externe Fahrer. - © Johannes Brunnbauer

Für den Onlineshop greift Interspar nicht auf ein zentrales Warenhaus zurück, sondern ausschließlich auf sogenannte Picker, insgesamt 85 Mitarbeiter, die an ausgewählten Filialen den jeweils bestellten Warenkorb zusammenstellen. Das bringt zwar mit sich, dass manche Produkte schon vergriffen sein können, ein Vorteil ist aber, dass das gesamte Sortiment angeboten werden kann. Berkmann: "Bei uns kann man auch zehn Dekagramm Haussalami oder ein frisch abgeschnittenes Schnitzel kaufen."

Billa wickelt die Online-Bestellungen für den Großraum Wien in einem Logistikzentrum in Inzersdorf ab, in den anderen Bundesländern ebenfalls mit  Pickern in den Filialen. Insgesamt sind bei Billa, der schon seit 1999 einen Zustellservice hat, knapp 300 Mitarbeiter mit der Abwicklung des Onlinegeschäfts beschäftigt. Allerdings hat Billa anders als Spar eigene Zustellfahrer, rund 12.000 bis 14.000 Haushalte werden beliefert.

Die großen Diskonter Hofer und Lidl halten sich derzeit beim Onlinehandel noch zurück. Beide bieten in ihren Onlineshops nur Non-Food-Artikel an. Bei Lidl geht man davon aus, "dass die Filiale der wichtigste Verkaufsort bleibt –eventuell ergänzt und erweitert durch den digitalen Handel", wie Pressesprecher Christoph Buchgraber in einem Email sagt. Den Ausschlag gebe letztlich das Konsumentenverhalten.

Ganz ähnlich auch der Standpunkt von Hofer. Das Unternehmen beobachte die Entwicklungen rund um das Thema Onlinehandel "kontinuierlich", heißt es im Email der zuständigen PR-Agentur. Im Fokus stehe das erfolgreiche Zusammenspiel von stationärem Handel und Online-Geschäft. Insbesondere im Food-Bereich fokussiere Hofer auf den stationären Handel, da besonders bei Frischwaren für den Kunden der persönliche Eindruck der Produkte zähle.

AmazonFresh in Österreich?

Seit 2017 ist auch Amazon im Lebensmittel-Einzelhandel aktiv, in ausgewählten Städten und Regionen der USA und Großbritanniens, aber etwa auch Berlin und München. Ein großflächiges Ausrollen dieses Angebots würde wohl auch im heimischen Lebensmittelbereich keinen Stein auf dem anderen lassen. "Amazon ist im Non-Food-Bereich unfassbar dominant. Eine Erweiterung des Geschäftsfelds in Richtung Lebensmittel ist sicher ein Grund, warum die heimischen Händler schon vor Corona ihr Online-Angebot ausgebaut haben", sagt Cerha.

Ein Vorteil von Amazon ist das enorme Sortiment. So hatte AmazonFresh bereits zum Start 85.000 Artikel im Angebot. Zum Vergleich: Rewe liefert in Deutschland rund 9.000 unterschiedliche Produkte aus. Teller sieht allerdings zumindest zwei große Hürden für AmazonFresh in Österreich: Die erste Hürde sind die extrem günstigen Einkaufskonditionen der großen Ketten und ihre guten Beziehungen zu Kernlieferanten. "Das wird man schwer überbieten können. Amazon müsste erst mal eine kritische Masse einer Rewe oder einer Spar erreichen."

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AmazonFresh stünde in Österreich die Marktmacht der österreichischen Supermarktketten im Weg, meint Christoph Teller, Wirtschaftswissenschaftler an der JKU Linz. - © Paul Stead

Die zweite Hürde für den Erfolg von AmazonFresh ist Teller zufolge das fehlende Vertrauen der Konsumenten, das die heimischen Händler über viele Jahre aufgebaut haben. WU-Expertin Cerha ist ebenfalls sicher, dass auch ein riesiger Händler wie Amazon im Lebensmittelbereich an seine Grenzen stößt. Aus einigen Märkten, etwa New York City und Kalifornien, hat sich der Konzern wieder zurückgezogen. Insbesondere die Hürde der "letzten Meile" in der Zustellung, die besonders teuer und aufwändig ist, trifft Amazon genauso wie alle anderen Händler. Amazon wollte sich zu einem möglichen Markteintritt von AmazonFresh in Österreich auf Nachfrage nicht äußern.

Unabhängig davon, wie es weitergeht, sehen Cerha und Teller den Lebensmittelhandel – online und offline – als Gewinner der Coronakrise: "Durch ihren gesteigerten Einsatz haben Händler und Mitarbeiter einen großen Imagebonus erhalten", sagt Teller. Auch Cerha teilt diesen Eindruck: "Den Konsumenten ist vor kurzzeitig leergeräumten Regalen bewusst geworden, welch‘ wichtige Rolle der Handel innehat." Zumindest das wird bleiben. Ob auch der Höhenflug der Onlineshops anhalten wird, haben wohl vor allem wir Konsumenten in der Hand.