https://www.welt.de/img/wirtschaft/mobile208557657/8002506737-ci102l-w1024/DWO-FI-GrosseGrafik-medizinische-OPspng-Krebs-pd-jpg.jpg
Quelle: Infografik WELT

In Deutschland wurden fast eine Million Operationen abgesagt

Weil viele Krankenhäuser in den vergangenen Monaten Betten für Covid-19-Patienten freigehalten haben, wurden andere Operationen verschoben. Eine weltweite Analyse zeigt das Ausmaß der Absagen. Und, dass auch viele Krebs-OPs davon betroffen waren.

Notwendige Operationen will man als Patient im Regelfall so schnell wie möglich hinter sich bringen. Doch genau das war wegen der Coronavirus-Pandemie in den vergangenen Wochen nahezu unmöglich.

Weil die Krankenhäuser ihre Intensivbetten freihalten mussten, um für Covid-19-Patienten mit schweren Verläufen gewappnet zu sein, wurden sogenannte elektive Operationen auf unbestimmte Zeit verschoben.

Gemeint sind damit Eingriffe, die kein akuter Notfall sind und daher im Voraus geplant werden können, von der Hüft-OP bis zur Tumorresektion.

https://www.welt.de/img/wirtschaft/mobile208557663/4352506737-ci102l-w1024/DWO-FI-GrosseGrafik-medizinische-OPspng-Verschoben-pd-jpg.jpg
Quelle: Infografik WELT

Mittlerweile läuft der Regelbetrieb zumindest in Deutschland langsam wieder an. Doch es wird noch Monate dauern, bis die enorme Zahl verschobener Operationen nachgeholt ist.

Wie groß der OP-Rückstau weltweit ist, hat jetzt erstmals ein Wissenschaftlerteam des National Institute for Health Research (NIHR) der Universität Birmingham näherungsweise errechnet. Demnach wurden weltweit 28,4 Millionen Operationen abgesagt oder verschoben.

Das entspricht einer Quote von 72,3 Prozent. Besonders häufig wurden orthopädische Eingriffe verschoben, dicht gefolgt von der plastischen Chirurgie.

In ihrem Modell haben die Forscher einen Zeitraum von zwölf Wochen berücksichtigt und die Umfragedaten von 359 Kliniken aus 71 Ländern ausgewertet. Die Ergebnisse wurden dann für 190 Länder hochgerechnet.

https://www.welt.de/img/wirtschaft/mobile208557655/6382506737-ci102l-w1024/DWO-FI-GrosseGrafik-medizinische-OPspng-Krankenhausbetten-pd-jpg.jpg
Quelle: Infografik WELT

Im Ländervergleich wird schnell deutlich, dass weltweit keineswegs nur elektive Operationen verschoben wurden, sondern sogar Krebspatienten auf die Wartebank mussten. Dabei birgt gerade bei dieser Patientengruppe eine verlängerte Wartezeit das Risiko, dass die Krankheit fortschreitet.

Norwegen und Deutschland stehen in diesem Vergleich noch am besten da: In Norwegen wurden im Studienzeitraum 23,4 Prozent, in der Bundesrepublik 24 Prozent der Krebs-OPs verschoben.

Die weltweite Absagequote liegt deutlich darüber bei 37,7 Prozent. In China etwa musste knapp die Hälfte der Krebs-OPs verschoben werden, in vielen Ländern Afrikas sogar weit über 70 Prozent.

52.000 Krebs-OPs in Deutschland verschoben

In Deutschland summiert sich die Zahl der abgesagten Operationen auf mehr als 908.000, darunter waren rund 851.000 elektive Eingriffe und 52.000 Krebs-OPs. Zudem sind der Studie zufolge schätzungsweise 5800 geplante Kaiserschnitte verschoben worden – bei denen allerdings davon auszugehen ist, dass sie kurz darauf als akute Eingriffe doch durchgeführt wurden. Eine Geburt lässt sich schließlich nur begrenzt verschieben.

Der OP-Stau wird Patienten, Pflegern und Ärzten rund um den Globus noch lange zu schaffen machen: Selbst wenn die Krankenhäuser nach der Pandemie 20 Prozent mehr Eingriffe durchführten als vorher, dürfte es aus Sicht der britischen Forscher 45 Wochen dauern, bis der Rückstand aufgeholt ist.

Welche Kosten der OP-Stau wegen Covid-19 für das deutsche Gesundheitswesen bedeutet, lässt sich noch nicht abschließend beziffern. Fest steht, dass gerade das Vorhalten von Intensivkapazitäten und die Absage von elektiven OPs die Krankenhäuser, die ihre Strukturen in den vergangenen Jahren erheblich verschlankt haben, nach wie vor viel Geld kostet.

https://www.welt.de/img/wirtschaft/mobile208557661/8032506737-ci102l-w1024/DWO-FI-GrosseGrafik-medizinische-OPspng-Rettungspaket-pd-jpg.jpg
Quelle: Infografik WELT

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte den Kliniken bereits im März unbürokratische Hilfen zugesagt. Für jedes Bett, das vom 16. März bis zum 30. September 2020 nicht belegt wird, erhalten sie eine Pauschale in Höhe von 560 Euro pro Tag.

Zudem gibt es einen Bonus von 50.000 Euro für jedes zusätzlich geschaffene Intensivbett. Der Bund stellt diese Ausgleichszahlungen aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds zur Verfügung. Insgesamt werden allein die Mehrausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in diesem Jahr auf 5,9 Milliarden Euro geschätzt.

Der Text stammt aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.