Das Ende der Lebensversicherung ist näher denn je
Ausgerechnet Marktführer Allianz will offenbar sein Lebensversicherungs-Portfolio in Italien loswerden. Verträge deutscher Kunden sollen zwar zunächst unangetastet bleiben. Verbraucherschützer sind dennoch besorgt.
Nicht weniger als eine Allianz fürs Leben wollte der gleichnamige Versicherer in den 70er-Jahren mit seinen deutschen Kunden eingehen. Doch wie viel ist davon geblieben? Gerade wenn es um die traditionelle Lebensversicherung geht, scheint dieses Versprechen zu bröckeln. Es gilt offenbar nicht mehr für alle Kunden.
So hat die Allianz offenbar die Investmentbank Morgan Stanley beauftragt, einen Käufer für einen neun Milliarden Euro schweren Policen-Bestand in Italien zu finden. Es wäre das erste Mal, dass sich die Allianz von einem Lebensversicherungs-Portfolio in Europa trennt. Das Unternehmen wollte dies nicht kommentieren.
Die Allianz hat sich bereits in Südkorea, Japan und Taiwan von Lebensversicherungsbeständen getrennt. Vorstandschef Oliver Bäte hatte ähnliche Schritte in Europa nicht ausgeschlossen. Einen Verkauf deutscher Verträge lehnt er allerdings ab.
Auch die Axa hat Teile des Portfolios verkauft
Nicht so die Konkurrenz: Fast alle deutschen Assekuranzen verabschieden sich komplett aus dem Neugeschäft mit festen Zinsversprechen, viele erwägen, alte Verträge sogar zu verkaufen. Die italienische Generali hat sich bereits von deutschen Garantie-Policen getrennt, nun plant sie laut Medienberichten, ihr französisches Lebensversicherungs-Portfolios abzustoßen. Der Konzern wollte dies nicht kommentieren. Die Axa hat sich ebenfalls von Teilen ihres Lebensgeschäfts getrennt – darunter waren auch Policen deutscher Kunden.
Laut Einschätzung von Experten wird es nicht dabei bleiben: Christian Thimann, ehemaliger Berater von Ex-EZB-Präsident Mario Draghi und Chef des Lebensversicherers Athora, meint, dass sich ein Viertel bis ein Drittel der deutschen Versicherer ernsthaft Gedanken darüber machen muss, wie sie mit den Altbeständen weiter verfahren. Für viele sei es eine Option, die Verträge abzustoßen. Die Alterssicherung von Millionen Deutschen stünde dann im Schaufenster.
Käufer sind Firmen, die sich auf die Abwicklung ebensolcher Portfolios spezialisiert haben. Dazu zählen Athora, die britische Phoenix oder Cinven. Sie setzen auf Größenvorteile bei der Abwicklung und teilweise eine andere Kapitalanlage-Politik. Leidtragende dürften die Kunden sein.
Dabei haben viele Menschen diese Police schon während ihrer Ausbildung gezeichnet, damit sie ihnen im Alter monatlich ein Extra-Einkommen einbringt. Die Versicherer garantierten eine Mindestverzinsung, die höher lag als die Inflation. Die Beiträge ihrer Kunden legten sie mit noch höherer Rendite an den Märkten an. An der Differenz beteiligten sie ihre Kunden – und verdienten selbst prächtig daran.
Aber auch für die Kunden lohnte sich der regelmäßige Beitrag. Sie erhielten zwar mäßige, aber absolut sichere Renditen. Und wussten zudem, dass ihre Hinterbliebenen auch bei einem plötzlichen Tod versorgt wären. Ein Bund fürs Leben. In guten und in schlechten Zeiten. Aber nicht bei sehr niedrigen und teils sogar negativen Zinsen.
Mancher Versicherer hat mehr ausgeschüttet, als er sich leisten kann
Dann wurde es den Anbietern zu teuer. So sind klassische Lebensversicherungen, um die Sicherheit der Kundengelder zu garantieren, bei der Geldanlage strengen Vorschriften unterworfen. Sie dürfen nur begrenzt in Aktien oder alternative Vermögenswerte wie Private Equity und Infrastruktur investieren.
Stattdessen müssen sie vor allem sichere, festverzinsliche Papiere wie Staatsanleihen kaufen. Wegen der durch die expansive Geldpolitik der Notenbanken niedrigen Zinsen befinden sich aber ausgerechnet die Renditen dieser Papiere seit Jahren im Sinkflug.
Deshalb können die Versicherer derzeit nur noch einen Garantiezins von 0,9 Prozent bieten, künftig dürfte dieser sogar noch weiter fallen – und das bei einer Inflationsrate von 0,9 Prozent. Das Problem: Vielen Kunden wurden in der Vergangenheit weit höhere Zinsen garantiert, bis zu vier Prozent.
Diese Verträge müssen weiter bedient werden. Eigentlich müsste dies ausgeglichen werden, indem Neukunden weniger gezahlt wird. Doch um sich das Neugeschäft nicht kaputt zu machen und das Produkt attraktiv zu halten, hat mancher Versicherer mehr ausgeschüttet, als er sich eigentlich leisten kann.
Das kann nicht lange gut gehen, sodass viele Lebensversicherer mittlerweile das Neugeschäft mit klassischen Policen komplett eingestellt haben. Stattdessen sind die großen Anbieter nun dazu übergegangen, Policen ohne festes Zinsversprechen unter das Volk zu bringen. Die neuen Produkte sind flexibler, basieren stärker auf Aktienanlage – und werden so auch riskanter.
Für die Besitzer von Altverträgen muss das kein Drama sein. Schließlich ist ihre Verzinsung garantiert. Sie können sich sogar glücklich schätzen. Gerade in Zeiten wie diesen ist eine sichere Rendite von vier Prozent eine Rarität.
Bei vergangenen Verkäufen von Vertragsbeständen hat sich für die Kunden dadurch kaum etwas geändert. Trotzdem bereitet die Tatsache, dass ihr Erspartes bald in den Händen eines Finanzinvestors liegt, vielen Versicherten schlaflose Nächte. Tatsächlich lauert das deutlich größere Problem ganz woanders.
Wenn die Unternehmen ihr Neugeschäft einstellen, verabschieden sie sich damit aus dem Wettbewerb – und sind dann nicht mehr darauf angewiesen, die Konkurrenz bei der Überschussbeteiligung zu überbieten, um so Kunden zum Neuabschluss zu bewegen.
Stattdessen sind die Anbieter bei der Überschussbeteiligung sehr zurückhaltend, fürchten Verbraucherschützer. Teilweise könnten sie sogar dazu übergehen, nur noch die Garantieverzinsung zu zahlen. Und das gilt selbst dann, wenn es nicht gelingt, einen Käufer für die Altbestände zu finden. Anbieter, die sich auf die Verwaltung alter Policen spezialisiert haben, könnten durch die pure Masse Kostenvorteile erzielen.