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Malawi hat ein rückständiges Gesundheitssystem. Das legt einen anderen Umgang mit Corona nahe als in reicheren Ländern

Quelle: AFP via Getty Images/AMOS GUMULIRA

In armen Ländern sind Lockdowns überflüssig

Die Maßnahmen im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus müssen sich auch an Wohlstand und Demografie der einzelnen Länder orientieren. Denn manchmal ist der Preis für den Schutz von Menschen höher als der Nutzen. Das gilt vor allem für arme Länder.

Überall auf der Welt haben Länder – ganz nach dem sogenannten Flatten-the-Curve-Prinzip – Social-Distancing-Regeln erlassen, damit Gesundheitssysteme während der Corona-Pandemie nicht überlastet werden. Solche Maßnahmen können sehr sinnvoll sein, wie beispielsweise die erste wissenschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse für die USA zeigt.

Die Studie betrachtet moderates Social Distancing ähnlich der Strategie Schwedens. Soziale Interaktionen werden hier um 40 Prozent reduziert. Schulen bleiben offen und das Arbeitsleben geht weiter, allerdings werden Kontakte in allen weiteren Bereichen des öffentlichen Lebens drastisch eingeschränkt.

Für die USA hätte dieses Vorgehen ökonomische Verluste in Höhe von sieben Billionen US-Dollar bedeutet. Allerdings hätte dies im Vergleich zu einem Szenario ohne Einschränkungen mehr als die Hälfte aller Todesfälle vermieden. Den gesellschaftlichen Nutzen, der sich aus der Rettung dieser Leben ergeben, summieren die Ökonomen auf rund zwölf Billionen US-Dollar.

Lockdown-Maßnahmen sind immer ein Abwägen

Das heißt, dass jeder Dollar an Kosten 1,70 Dollar an gesellschaftlichen Vorteilen bringt. Die Studie geht von recht optimistischen Annahmen aus und nimmt insbesondere an, dass es keine zweite Infektionswelle gibt. Daher ist die tatsächliche soziale Rendite wahrscheinlich geringer.

Langfristige Lockdown-Maßnahmen mit Schließung von Schulen und einem Stopp des Arbeitslebens würden allerdings deutlich mehr kosten, aber weniger zusätzliche Leben retten. Die Gesellschaft würde danach wahrscheinlich schlechter dastehen.

Die aktuelle Diskussion hat sich bisher größtenteils auf die Maßnahmen in reichen Ländern fokussiert, obwohl vier Fünftel der Weltbevölkerung nicht in dieser wohlhabenden Welt leben. Viele große Nationen, wie z. B. Indien und Indonesien, haben drastische und strenge Corona-Maßnahmen getroffen. Ist das die richtige Entscheidung?

Forscher der amerikanischen Yale University haben herausgefunden, dass die Vorteile von Corona-Maßnahmen für arme Länder erheblich niedriger sind.

Erstens gibt es in armen Ländern einen wesentlich geringeren Anteil alter Menschen, die von Social Distancing profitieren würden. Zweitens haben ärmere Länder ohnehin schon eine geringere Krankenhauskapazität, sodass „flattening the curve“ wenig hilft und die Kliniken trotzdem überfordert sind.

Und drittens müssen sich arme Menschen mit einer ganzen Reihe von Problemen auseinandersetzen. Will heißen: Es gibt für sie andere Todesursachen, die vermeidbar wären. Das bedeutet auch, dass sie die Risikoreduzierung hinsichtlich Corona viel weniger wertschätzen.

Gemeinsam mit der Nationalen Planungskommission in Malawi haben mein Think Tank Copenhagen Consensus und das African Institute for Development Policy kürzlich die erste Kosten-Nutzen-Analyse von Corona-Maßnahmen für Entwicklungsländer durchgeführt. Die Resultate sprechen eine deutliche Sprache.

Modelle zeigen, dass moderates Social Distancing neben der Vermeidung von Corona-Todesfällen auch die Behandlung einiger Krankheiten wie HIV verbessern wird, die Möglichkeiten zur Behandlung anderer bedeutender Krankheiten wie z. B. Malaria und Tuberkulose allerdings problematischer werden. Auch wird die Anzahl von Verkehrstoten kleiner, aber die Zahl unterernährter Kinder steigt. Insgesamt kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass Social-Distancing-Maßnahmen in Malawi, einem Land von 19 Millionen Menschen, fast 7000 Todesfälle verhindern können.

Dem stehen allerdings erhebliche Kosten gegenüber.

Während eine Corona-Pandemie zwangsweise wirtschaftliche Kosten verursacht, hat Social Distancing größere wirtschaftliche Auswirkungen. Der wirtschaftliche Gesamtverlust beläuft sich für Malawi auf 6,7 Milliarden US-Dollar, was fast dem jährlichen BIP entspricht.

Malawi hat seine Schulen geschlossen, um Corona zu bekämpfen. Auch das ist allerdings sehr teuer. Rund sechs Millionen Kinder werden weniger lernen und in ihrem Erwachsenenleben daher weniger produktiv sein. Wenn man bedenkt, dass laut Schätzungen die Produktivität mit jedem zusätzlichen Schuljahr um 12,1 Prozent steigt, liegt der Gesamtverlust über kommende Generationen heute bei 5,2 Milliarden US-Dollar.

Unterm Strich können moderate Social-Distancing-Maßnahmen und Schulschließungen 7000 Menschenleben retten auf Kosten einer zukünftig niedrigeren Lebensqualität im Wert von 12 Milliarden US-Dollar. Ist es das wert? Viele wohlmeinende Menschen werden sagen, dass Leben um jeden Preis gerettet werden sollen.

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Björn Lomborg ist Präsident des Copenhagen Consensus Center und Visiting Fellow an der Hoover Institution, Stanford University

Quelle: pa/dpa/Sebastian Silva

Aber das passiert ganz offensichtlich nicht. In Malawi sterben jedes Jahr 22.000 Menschen an HIV. Fast alle davon könnten mit den entsprechenden Ressourcen gerettet werden. Eine Studie geht beispielsweise davon aus, dass effektive Maßnahmen zur besseren Nahrungsversorgung von Menschen mit HIV ebenfalls 7000 Leben retten könnten. Der Kostenpunkt: drei Millionen US-Dollar. Die Summe, die Malawi ausgeben würde, um mit Corona-Maßnahmen ein Leben zu retten, könnte mithilfe effektiver HIV-Maßnahmen 4000 Leben retten.

Zudem sind es in der Mehrheit ältere Menschen, die durch die Corona-Schutzmaßnahmen gerettet werden, während es bei HIV, Malaria, Tuberkulose und Kinderernährung um viel jüngere Menschen geht, die betroffen sind. Rein im Hinblick auf die Lebensjahre, die gerettet werden, würden durch moderates Social Distancing wahrscheinlich mehr Lebensjahre verloren als gewonnen werden. Und es wird 12 Milliarden US-Dollar kosten.

Die neue Studie zeigt, dass in Malawi jeder für Social-Distancing-Maßnahmen zur Bekämpfung von Corona ausgegebene Dollar nur vier Cents an sozialem Nutzen liefern wird.

Malawi braucht Corona-Maßnahmen zu niedrigen Kosten

Im Angesicht eines Schreckgespenstes wie Corona ist anfänglicher hektischer Aktionismus verständlich und moderate Maßnahmen sind in reichen Ländern wahrscheinlich auch gerechtfertigt. Für den Großteil der Welt sind die Vorteile allerdings kleiner und die Kosten höher.

Malawi sollte natürlich weiterhin mit einer Reihe von vernünftigen Social-Distancing-Maßnahmen zu niedrigen Kosten agieren. Dazu gehören der besondere Schutz älterer Menschen, keine größeren Zusammenkünfte von Menschen und Händewaschen. Die Gesundheitsversorgung hinsichtlich Tuberkulose, Malaria und Impfungen sollte aufrechterhalten werden und das Personal im Gesundheitswesen sollte mit Masken ausgestattet werden.

Entscheidend ist aber, dass Malawi – und das gilt wahrscheinlich auch für viele andere Entwicklungsländer – nicht seine Schulen schließen oder Wirtschaft stoppen sollte, um Corona zu bekämpfen, denn der Schaden daraus wird die Vorteile um ein Vielfaches übersteigen.

Dr. Björn Lomborg ist Präsident des Copenhagen Consensus Center und Visiting Fellow an der Hoover Institution, Stanford University.

Aus dem Englischen übersetzt von Barbara Geier.