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Hilferuf einer polnische Krankenschwester - auf ihrem Zettel steht: "Ich rette Leben. Ich stecke nicht an."Bildrechte: facebook.com/Pielęgniarki
Mobbing

Polen: Attacken gegen die Corona-Helden

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Erst gefeiert, dann gemobbt: In Polen werden die Helden der Corona-Pandemie zunehmend angefeindet. Auf den Autos von Krankenhausmitarbeitern landen Farbbeutel, in ihren Briefkästen anonyme Drohbriefe. Die Botschaft: Verschwindet, damit ihr uns nicht ansteckt!

"Wir kämpfen zurzeit nicht nur gegen das Virus, sondern auch gegen Menschen, die uns sehr in Stress versetzen", sagt die Krankenschwester Joanna (Name von der Red. geändert). Die junge Frau arbeitet seit gut zehn Jahren in einer Kleinstadt im Norden Polens, unweit von Danzig. Seit einiger Zeit werde sie außerhalb des Krankenhauses täglich verbal attackiert oder mit anderen unangenehmen Situationen konfrontiert. "Sie sollten ihr Kind nicht mehr in den Hort bringen", sagte der Erzieher ihres Sohnes zu ihr, andere Eltern hätten sich beschwert. Und als sie eines Tages von der Arbeit nach Hause kam, hätte eine Nachbarin die Behörden angerufen, damit diese das Treppenhaus desinfizieren. Auch Bekannte und Freunde meiden die junge Frau seit der Corona-Pandemie. Ihr Sohn, so die Krankenschwester, dürfe mit vielen Freunden nicht mehr spielen. Die Leute hätten Angst, sich zu mit Covid-19 zu infizieren.

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Die polnische Krankenschwester Joanna (links im Bild) spricht nur mit uns, wenn ihr Gesicht nicht erkennbar ist. Sie hat Angst, noch mehr Mobbing ausgesetzt zu werden.Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Joannas Fall ist dabei noch einer der harmloseren. Es gibt viele Beispiele von beschmierten Autos und Wohnungstüren oder gar anonymen Drohbriefen, in denen es beispielsweise heißt: "Wir wissen, wo du arbeitest. Verpiss dich hier!"

"Es wird gehetzt"

Die Stadt Danzig ist sich des Problems bewusst: "Tatsächlich wird gehetzt", sagt Dominik Parzyszek, Bezirksrat in Danzig. "Es gibt Kriege zwischen Müttern um die Frage, ob ein Kind in die Kita geschickt werden dürfe oder nicht. Bedenken, ob die Kitaleiterin das Kind im Kindergarten haben möchte oder nicht, weil die Mutter eine Krankenschwester ist." Da entstünden große Spannungen.

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Angst und Frust entladen sich auch an den Autos von Ärzten und Pflegeräften in Polen.Bildrechte: facebook.com/bedacmlodymlekarzem

Stigma statt Unterstützung

Die Anfeindungen von medizinischem Personal im Norden Polens sind keine Einzelfälle: Im ganzen Land kommt es immer wieder zu verbalen Attacken gegen medizinisches Personal und zu Angriffen auf Autos und Wohnungen. Anna Czarnecka ist Vorsitzende der Bezirkskammer der Hebammen und Krankenschwestern in Danzig. Sie erreichen zurzeit Mails von medizinischem Personal aus ganz Polen. Hass gegen Pflegepersonal habe sich seit Corona verdreifacht, schätzt sie. "Anstatt uns zu unterstützen, stigmatisiert man uns." Die Angst, sich mit Corona anzustecken, sei verständlich, so Anna Czarneck. Die Hass-Reaktion verstehe sie dagegen nicht.

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Drohbrief an einen polnischen Arzt: "Herr Doktor, ziehen Sie in Ihre Garage!!! Zusammen mit Ihrem Porsche und stecken Sie uns nicht an." Unterzeichnet mit "Ein Einwohner des Hauses".Bildrechte: facebook.com/bedacmlodymlekarzem

Anonyme Täter und daher kaum Anzeigen möglich

Mit Bäckereibesitzern, die Ärztinnen den Zutritt verweigern, könne man reden. Sie könne man aufklären, sagt Anna Czarnecka. Die allermeisten Angriffe geschähen allerdings anonym. "Wir schreiben Appelle, doch der Polizei können wir nur konkrete Fälle melden, dass zum Beispiel diese Nachbarin oder jene Nachbarin Farbe auf die Tür geschmiert hat. Dann kann man solche Person anzeigen."

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Anna Czarnecka bekommt zurzeit viele Emails von Betroffenen.Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Anna Czarnecka appelliert daher an das Vertrauen der Gesellschaft in medizinisches Personal: "Wir sind Profis und wir wissen ganz genau, was wir tun. Wir wissen, wie wir das machen sollten." Die Krankenschwester Joanna fühlt sich allein gelassen: "Bisher hatten Krankenschwestern und Ärztinnen immer viel Verständnis bekommen. Nun werden wir behandelt als seien wir eine potentielle Gefahr, vor der man Angst haben muss."

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