Virologe Kekulé zu Drosten-Studie"Auf der Auswertungsseite sind ein paar Fragezeichen dran“
Der Virologe Alexander Kekulé hat eine Veröffentlichung seines Kollegen Christian Drosten, wonach durch das Coronavirus infizierte Kinder wahrscheinlich genauso ansteckend sind wie Erwachsene, infrage gestellt. "Wir wissen durch die Studie weder mehr noch weniger", sagte Kekulé im Dlf.
by Alexander Kekulé im Gespräch mit Christoph HeinemannDerzeit werden zwei Fragen heiß diskutiert. Erstens: Können Kinder das Coronavirus genauso weitergeben wie Erwachsene? Und zweitens: Was heißt das für die Entscheidung, Kitas und Schulen geschlossen zu halten oder wieder zu öffnen?
Darüber ist nun eine Auseinandersetzung entbrannt. Der Chefvirologe der Berliner Charité, Christian Drosten, hat mit scharfen Worten seinem Kollegen Alexander Kekulé widersprochen, der leitet das Institut für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums in Halle. Kekulé mache Stimmung, seine Darstellung sei tendenziös, twitterte Drosten gestern. Kekulé hatte in einem Gastbeitrag für den Berliner Tagesspiegel geschrieben, Drosten und sein Team hätten eine Publikation zurückziehen müssen, die Unsicherheit der Daten sei zu groß und das Verfahren für die statistische Auswertung ungeeignet.
Kritik an Virologe Drosten – Die "Bild"-Zeitung greift in die unterste Schublade Mit gutem Journalismus habe der jüngste "Bild"-Artikel über Christian Drosten nichts zu tun, kommentiert Ralf Krauter. Das Blatt liefere Verschwörungstheoretikern Futter und unterstelle methodische Fehler – ohne sie zu benennen. Dass der führende Corona-Forscher ins Visier gerät, sei alarmierend.
Der Streit dreht sich um eine Veröffentlichung von Drosten und seinem Team Mitte April, ein Preprint, nach der Kinder das Coronavirus ähnlich verbreiten können wie Erwachsene. Das ist wichtig für die Entscheidung, ob und wenn ja in welchem Umfang Schulen und Kindergärten wieder öffnen können.
Christoph Heinemann: Professor Kekulé, was genau ist eine Vorstudie, ein Preprint?
Alexander Kekulé: Da muss man erst mal sagen: Das ist ein Preprint, ein Vorabdruck, und keine Vorstudie. Das wird manchmal in den Medien so dargestellt, als wäre das eine Studie, die noch nicht fertig ist und quasi in einem Vorzustand zur Diskussion gestellt wird. Ich glaube auch, dass Christian Drosten das ein bisschen so gemacht hat. Richtig ist, dass man ein Preprint dann veröffentlicht – dafür gibt es extra Server im Internet -, wenn man meint, dass das Ergebnis extrem wichtig ist und so wichtig ist, dass man nicht den normalen Begutachtungsprozess abwarten kann, der ja bei einer richtigen Veröffentlichung dann stattfindet, sondern dass man die Ergebnisse unmittelbar an die Öffentlichkeit bringen muss – zum Beispiel bei einer neuen Therapie, die ganz toll funktioniert, oder hier war das Ergebnis, dass gesagt wurde, Kinder sind wahrscheinlich genauso ansteckend wie Erwachsene. Und das war ja ein extrem wichtiges Ergebnis, was weltweit ja auch sofort diskutiert wurde. Deshalb ist der Ausdruck Vorstudie hier ziemlich irreführend.
"Auf der Auswertungsseite sind ein paar Fragezeichen dran"
Heinemann: Wieso haben Sie sich mit Herrn Drostens Studie beschäftigt?
Kekulé: Na ja. Ich habe mich, ehrlich gesagt, zunächst gar nicht damit beschäftigt. Es ist ja so: Ich mache einen Podcast für die ARD jeden Tag, wo wir die neuesten wissenschaftlichen Ergebnisse besprechen. Als die Studie auf den Tisch kam – am 30. April ist sie rausgekommen -, war eigentlich relativ deutlich, dass da auf der epidemiologischen Seite, auf der Auswertungsseite ein paar Fragezeichen dran sind, dass man das Ergebnis, was da behauptet wird, nicht eins zu eins übernehmen kann.
Drosten zu Aerosol-Übertragung - "Im Alltag eher aufs Lüften konzentrieren"
Die Übertragung des Coronavirus durch Aerosole, also Schwebeteile in der Luft, gerät immer mehr in den Fokus. Sie könnte gleichbedeutend mit der Tröpfchenübertragung sein, sagte der Virologe Christian Drosten im Dlf.
Jetzt wollte ich zu dem Zeitpunkt definitiv nicht noch einen Virologenstreit anzetteln. Sie wissen, wie Herr Drosten vorher mit Herrn Streeck umgegangen ist. Ich war auch nicht der Meinung, dass man das jetzt öffentlich diskutieren muss, weil ich dachte, das wird sich dann schon irgendwann im Kreis der Kollegen ausreifen, sage ich mal.
So passierte es dann auch. In den nächsten Wochen sind dann mehrere Publikationen erschienen von Statistikern, die genau das durchgerechnet haben, was man eigentlich auf den ersten Blick gesehen hat, dass die Aussage mit den Daten so nicht gestützt wird. Und das ist nicht unwichtig, weil wir ja in so einer Studie - Sie brauchen ja Daten, die brauchbar sind, die man verwenden kann, und wenn Sie dann diese Daten haben, um eine bestimmte Aussage zu machen, müssen Sie auch hier belegen, wie soll ich sagen, dass es da einen Unterschied gibt. Wenn Sie wollen, kann ich mal erklären, wo hier der Knackpunkt ist.
Es ist so, dass in der Studie ja gesagt wird, dass es einen Unterschied gibt zwischen der Konzentration oder keinen Unterschied gibt zwischen der Konzentration von Viren im Rachen bei Erwachsenen und Kindern - das ist die Kernaussage eigentlich – und die deshalb gleich ansteckend sind wahrscheinlich.
Wenn Sie so was vergleichen wollen, zwei Gruppen, dann brauchen Sie quasi einen Mittelwert. Das ist so ähnlich, als wenn Sie zwei Schulklassen haben und Sie wollen wissen, wie ist denn der Notendurchschnitt in diesen beiden Schulklassen. Wenn Sie jetzt aus der einen Klasse zum Beispiel nur einen Schüler haben und aus der anderen Klasse aber 40 Schüler und vergleichen die, dann ist offensichtlich, dass das nicht funktioniert. Wenn Sie nur einen Schüler mit einem Schüler vergleichen, kommen Sie auch nicht wirklich auf den Durchschnitt der beiden Klassen. Es könnte ja zufällig sein, dass wir aus der einen den besten und aus der anderen den schlechtesten haben.
"Die ganze Studie kann so nicht ausgewertet werden"
Heinemann: Ist denn inzwischen bekannt, ob die Kernaussage richtig oder falsch ist?
Kekulé: Die Kernaussage der Studie ist, dass es hier einen Unterschied gibt, und ob die richtig oder falsch ist, ist weder durch diese Studie gesagt worden – da kann die Studie gar nichts aussagen -, noch ist es …
Heinemann: Entschuldigung! War die Kernaussage nicht, dass es keinen Unterschied geben soll?
Kekulé: Entschuldigung! Das habe ich gerade falsch gesagt. Danke dafür! – Die Kernaussage war, dass es keinen Unterschied gibt und dass deshalb die Kinder wahrscheinlich genauso infektiös sind, und da wissen wir durch diese Studie weder mehr, noch weniger, weil die Daten nicht geeignet waren und weil die epidemiologische Auswertung nicht dazu geführt hat, dass man irgendein Ergebnis daraus machen kann.
Heinemann: Ist die Studie von Professor Drosten Ihrer Einschätzung nach zu retten?
Kekulé: Nee! So wie sie so dasteht, kann man sie nicht retten. Das ist aber auch, wenn Sie so wollen, kein Angriff an einen Kollegen. Man schreibt ja manchmal was und stellt dann fest, ups, da habe ich mich geirrt, da zeigen mir auch meine Kollegen, dass das so nicht funktioniert, dann ziehe ich das zurück und schreibe es noch mal neu.
Ich habe mich deshalb eigentlich damit beschäftigt, weil ich dann nach Wochen gemerkt habe, dass die "Bild"-Zeitung so ein Scharmützel mit Herrn Drosten hat, und das ist ja in der Öffentlichkeit eine wichtige Diskussion nach wie vor, wird immer wichtiger zurzeit, und mir ist einfach aufgefallen, dass Christian Drosten trotz der Kritik, die da im Raum stand, immer und überall gesagt hat, die Ergebnisse sind trotzdem richtig. Er hat der "New York Times" gegenüber sogar – das hat international eine Welle geschlagen – gesagt, selbst wenn man das statistisch noch besser auswertet, kommt man zu genau dem gleichen Ergebnis.
Und da muss man einfach sagen: Da gab es dann diesen Vergleich mit dem Gartenhäuschen, wo er dann gesagt hat, na ja, das ist so wie bei einem Gartenhäuschen, das ist eigentlich ganz gut gelaufen, aber da kommen irgendwelche Nörgler daher und sagen, nur der Putz sei nicht so schön gemacht worden. Und so kann man es nicht vergleichen. Dieses Gartenhäuschen, das steht nicht da, weil die ganze Studie so nicht ausgewertet werden kann.
"Es gibt Kinder mit hohen Viruskonzentrationen"
Heinemann: Noch mal zum Kern, Professor Kekulé. Welche Erkenntnisse liegen bis heute darüber vor, auch international darüber vor, ob Kinder genauso infektiös sind oder nicht wie Erwachsene?
Kekulé: Ja das ist genau die wichtige Frage, um die es geht. Wir haben die Situation, dass es mehrere Studien gibt, die sagen, dass manchmal bei Kindern hohe Konzentrationen von Viren im Hals sind. Da gibt es schon viele. Ich bin auch der Meinung, dass die Drosten-Daten, jetzt nicht die Studie, aber die Daten das noch mal bestätigen. Wir wissen jetzt noch einmal, dass es Kinder gibt mit hohen Viruskonzentrationen.
Das Problem ist nur erstens: Wir wissen nicht, wie häufig das ist. Sind es Ausnahmen oder ist es die Regel? Ist es häufiger oder seltener als bei Erwachsenen? – Wir wissen zweitens nicht: Sind diese Kinder so im wirklichen Leben dann auch stärker ansteckend, und zwar deshalb, weil in den allermeisten Studien, die gemacht wurden, die Kinder schon in Quarantäne waren. Das ist ja ganz klar. Man hat die als erstes in Schutz gebracht, so dass wir dann nicht wissen, ob die eigentlich seltenen Übertragungen – und auf die beruft sich zum Beispiel Herr Kretschmann jetzt, wenn er öffnen will -, dass diese seltenen Übertragungen, liegt das daran, dass die Kinder in Schutz genommen wurden, dass sie vielleicht gar nicht in der Kita waren und Ähnliches, oder ist es wirklich ein biologischer Effekt, dass die biologisch (und das wäre hier eine extreme Ausnahme) weniger infektiös sind als Erwachsene.
Ich glaube – das muss man aber in den Bereich des Glaubens setzen – genauso wie Herr Drosten, dass wahrscheinlich Kinder genauso infektiös sind wie Erwachsene. Das ist meine Vermutung, aber wir haben es nicht bewiesen.
Heinemann: Glauben ist noch kein wissenschaftlicher Begriff.
Kekulé: Genau. Das muss man in Zeiten von Fake Facts ganz dringend auseinanderhalten und darum habe ich gesagt, das muss man noch mal besprechen, das kann man nicht so stehen lassen.
Heinemann: Damit zu den politischen Folgen. Inwiefern hat die Studie von Herrn Professor Drosten die Entscheidung zu Schulschließung oder Öffnung beeinflusst?
Kekulé: Das können Sie als Journalist wahrscheinlich besser beantworten. Ich kann Ihnen nur sagen, es ist in allen Zeitungen zitiert worden. Es ist überall gesagt worden, Drosten sagt – das steht ja auch in der Studie drin -, wir warnen davor zu öffnen, unkontrolliert zu öffnen. Ich glaube, dass ganz viele weltweit das ernst genommen haben. Ich habe in der "Financial Times", in der "New York Times" darüber gelesen. Alle Wissenschaftsjournale haben darüber berichtet.
Wenn man dann hinterher feststellt, die Datengrundlage stimmt nicht, dann ist es, glaube ich, schon sehr wichtig, auch bei so einer Sache das mal öffentlich zu diskutieren. Sonst ist man in dem Bereich, wo man keine Möglichkeit mehr hat, solche wissenschaftlichen Daten zu hinterfragen.
"Wir müssen es inhaltlich diskutieren!"
Heinemann: Denn ganz klar noch mal zusammengefasst: Diese Schlussfolgerung, nach Ihrer Einschätzung, gibt die Studie nicht her?
Kekulé: Nicht nur nach meiner! Es sind meines Wissens inzwischen fünf Statistikprofessoren, die das bewiesen haben. Und wenn man dann sagt, die haben gar keine Ahnung von Epidemiologie, obwohl einer der Direktor eines Epidemiologischen Instituts in Zürich ist, dann ist das natürlich meines Erachtens auch nicht die richtige Antwort darauf. Das kann man schon so sagen. Wir müssen es inhaltlich diskutieren!
Um was Positives zu sagen: Ich bin ganz sicher, dass Christian Drosten das auch machen wird. Er ist ja ein extrem seriöser Wissenschaftler, der seine Arbeit sehr ernst nimmt und der weiß, dass wir alle in dieser Krise uns extrem Mühe geben, irgendwas dazu beizutragen. Das betrifft auch die Leute, die Herr Drosten kritisiert. Deshalb, meine ich, sollten wir lieber alle an einem Strang ziehen und in diesem Sinne bin ich ganz sicher, dass er die Studie natürlich zurücknehmen wird und eine neue schreiben wird.
Heinemann: Wobei ihm dieses Scharmützel jetzt sicherlich nicht genutzt hat und seinem Ruf nicht genutzt hat. – Herr Drosten hat Ihnen, Herr Professor Kekulé, jetzt via Twitter vorgeworfen, nicht publiziert zu haben. Wie gehen Sie mit dieser Kritik um?
Kekulé: Na ja, das ist ganz klar. Ein forschender Virologe wie er – ich habe früher auch Virusforschung an in der Molekularbiologie am Max-Planck-Institut viele Jahre gemacht und damals war ich wahrscheinlich auch einer in meinem Gebiet der führenden Forscher. Es ist aber so, dass ich selber natürlich, seit ich in Halle bin, im Grunde genommen mich verlagert habe, erstens darauf, ein Institut mit drei großen Abteilungen zu leiten. Herr Drosten macht ja nur die Virologie. Wir haben noch die Bakteriologie, die Parasitologie dabei. Und zweitens ist es ja so, dass ich Bevölkerungsschutz und Pandemie-Planung und antiepidemische Maßnahmen schon seit Jahrzehnten inzwischen als Hauptaufgabe habe. Da schreiben Sie keine wissenschaftlichen Publikationen, sondern Gutachten und Pandemiepläne für Staaten und auch für mehrere DAX-Unternehmen. So hat jeder – wie soll ich sagen – seine Spezialität.
Wenn jetzt der Autoelektriker dem Spengler vorschreibt, Du kennst Dich aber nicht so gut mit Elektrik aus wie ich, dann führt das nicht dazu, dass das Team insgesamt besser zusammenarbeitet.
"Das beste Mittel gegen Verschwörungstheorien ist die Offenlegung von Fakten"
Heinemann: Menschen sind besorgt, einige sind verängstigt. Inwieweit beeinflussen Diskussionen wie die gegenwärtige über die Charité-Studie Verschwörungstheorien?
Kekulé: Das ist eine ganz wichtige grundsätzliche Frage. Das ist ja auch so, wenn das Robert-Koch-Institut Informationen rausgibt, die man hinterfragen muss. Ich glaube, das beste Mittel gegen Verschwörungstheorien ist tatsächlich die Offenlegung von Fakten, und dazu gehört auch, dass selbst bei berühmten Virologen oder in Deutschland sehr angesehenen Virologen es nicht die heilige Kuh sein darf, dass man die Daten nicht bespricht.
Ich glaube, wenn wir das offen besprechen und wenn wir einen offenen Diskurs haben, der nicht persönlich ist, sondern der um die Sache geht – das ist ja ganz wichtig. Natürlich: Die "Bild"-Zeitung hat einen Spaß daran, daraus einen Virologenstreit zu machen. Aber im "Tagesspiegel" zum Beispiel, um das mal zu erwähnen – Sie haben es eingangs leider auch falsch gesagt -, ich habe da ja nicht gefordert, dass er seine Studie zurückzieht. Das ist ein ganz wichtiger Unterschied. Ich würde nie meinem Kollegen empfehlen, eine Studie zurückzuziehen. Das ist nicht meine Sache. Ich habe nur festgestellt, dass diese Studie nicht mehr zu retten ist.
Eigentlich hat Drosten dadurch, dass er so festgehalten hat an diesen Ergebnissen und das auch immer wieder wiederholt hat und dann auch noch Geschichten erzählt hat, warum das dann doch alles richtig ist, meines Erachtens der "Bild"-Zeitung erst die Angriffsfläche gegeben, die dann zu dieser Auseinandersetzung geführt hat. Und ich glaube, wenn man ganz offen damit umgeht und sagt, ja, stimmt, das ist an ein paar Stellen nicht richtig gewesen, wir nehmen es zurück und wir rechnen einfach noch mal (und ich bin ganz sicher, er bringt jetzt da ein tolles neues Ergebnis raus; die Daten, die er da hat in Berlin mit zehntausenden von Tests, sind ja hervorragend), dann hätte das, glaube ich, die Öffentlichkeit ihm nicht übel genommen. Die Öffentlichkeit ist so: Wenn ein Wissenschaftler sagt, okay, ich ziehe es jetzt mal zurück und rechne noch mal nach, das verstehe ich, das Gegenargument. Ich glaube nicht, dass das zu mehr Fake Facts führt, sondern das ist genau das, wo man dann Glaubwürdigkeit erzeugt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.