ARD-Film
"Das freiwillige Jahr" ist ein spannendes Vater-Tochter-Drama
by Tilmann P. GangloffBerlin. Der Plot von „Das freiwillige Jahr“ erscheint zunächst bieder. Tolle Schauspieler und emotionale Komplexität machen ihn aber lebendig.
Dieses Drama ist äußerst überschaubar, denn das Duo Ulrich Köhler und Henner Winckler erzählt eine Nicht-Geschichte: Eine junge Frau bleibt daheim. Das klingt nach denkbar wenig Handlung, erst recht für neunzig Minuten.
Trotzdem ist „Das freiwillige Jahr“ überraschend kurzweilig, selbst wenn in der Tat nicht allzu viel passiert, denn das Geschehen lebt vor allem von seiner emotionalen Komplexität: Die 19-jährige Jette (Maj-Britt Klenke) will in einem Krankenhaus in Costa Rica ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren. Auf dem Weg zum Flughafen geht jedoch einiges schief, und weil sie sich ohnehin nicht von ihrem Freund Mario (Thomas Schubert) trennen kann, verpasst sie kurzerhand den Abflug.
„Das freiwillige Jahr“: Keine komödiantische Scharade
Die Geschichte hätte sich nun zur komödiantische Scharade entwickeln können: Jette tut so, als ginge sie ihrer Arbeit in der Klinik nach, versorgt Freunde und Familie mit Selfies aus dem Tropenhaus eines Botanischen Gartens und erfreut sich ansonsten der unverhofften Freiheit mit Mario. Tatsächlich ist der erste Fernsehfilm des Duos Köhler und Winckler, das gemeinsam für Buch und Regie verantwortlich war, ein Vater-Tochter-Drama; der Vater ist letztlich sogar die wichtigere Rolle.
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Sebastian Rudolph legt den alleinerziehenden Urs, einen Arzt um die fünfzig, jedoch als ausgesprochen traurige Gestalt an. Seine Sorge um die vermeintlich verschwundene oder womöglich von Mario entführte Tochter ist zwar verständlich, aber ansonsten taugt er nicht als Identifikationsfigur. Dass seine deutlich jüngere attraktive Praxishilfe (Katrin Röver) trotz eigener Familie ein Verhältnis mit ihm hat, bleibt eine Behauptung, die der Film nicht überzeugend untermauern kann.
Sehr gute schauspielerische Leistung
Die Motive der nur scheinbar sprunghaften Jette sind hingegen gut nachvollziehbar: Wie so viele Abiturientinnen und Abiturienten hat die junge Frau keinen Plan; gut möglich, dass das FSJ eine Idee des Vaters war, der seine Tochter zu ihrem Glück zwingen wollte. Die Geschichte spielt irgendwo in der westfälischen Provinz, wo jeder jeden kennt. Die Scharade wäre also ohnehin nur möglich gewesen, wenn Jette tatsächlich verreist wäre, aber sie hängt an ihrer Heimat. Mario informiert seine Mutter, die ruft umgehend Jettes Vater an, und der sammelt die Tochter prompt wieder ein.
Gespielt ist das allerdings sehr gut. Sämtliche Figuren sind ganz normale Leute, die auch in der Nachbarschaft wohnen könnten; daher wohl auch die Entscheidung, die Rollen mit kaum bekannten Darstellern zu besetzen. Sebastian Rudolph ist zwar ein erfahrener Theaterschauspieler, dürfte den meisten Zuschauern aber allenfalls gesichtsbekannt sein; gut in Erinnerung ist noch sein Rudolf Augstein in dem historischen Drama „Die Spiegel-Affäre“.
Ausgezeichnet: Maj-Britt Klenke in ihrer ersten Langfilmhauptrolle
Ganz ausgezeichnet ist auch Maj-Britt Klenke in ihrer ersten Langfilmhauptrolle. Sie hat womöglich am meisten von einer speziellen Arbeitsweise des Duos Köhler und Winckler profitiert: Die beiden haben ihre Hauptdarsteller während einer Probenwoche einige Szenen improvisieren lassen und die entsprechenden Dialoge dann ins Drehbuch übernommen; kein Wunder, dass viele Gespräche so authentisch wirken.
• „Das freiwillige Jahr“, Das Erste, Mittwoch, 27. Mai, 20:15 Uhr