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Bild: dpa/Nietfeld
Sechs Milliarden Euro zusätzlich

Berliner Neuverschuldung ist gigantisch, aber nicht historisch

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Berlin verschuldet sich neu - und ist damit beim Schuldenabbau wieder zurückgeworfen. Brechen neue "Arm aber sexy"-Zeiten wie in den Nuller Jahren an, können wir gar von einer Rekordverschuldung sprechen? Davon kann aktuell nicht die Rede sein. Von Vanessa Klüber

Berlin hat seit acht Jahren keine Kredite mehr aufgenommen. Jetzt wird sich das Land neu verschulden - und zwar in Höhe von bis zu sechs Milliarden Euro. Das haben die Regierungsfraktionen von SPD, Grünen und Linken angekündigt. Am nächsten Donnerstag sollen die neuen Schulden beschlossen werden.

Das ist ein derber Rückschlag für Berlin, nachdem das hochverschuldete Bundesland in den vergangen Jahren immer weiter Schulden abbauen konnte [berlin.de]. Noch im Januar 2020 vermeldete Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) für das vergangene Jahr einen weiteren komfortablen Haushaltsüberschuss.

Michael Müller: "Das ist schon bitter"

Das Geld war schon für den laufenden Doppelhaushalt vor allem für Infrastrukturprojekte verplant. Dafür soll das Geld auch weiterhin ausgegeben werden. Man wolle der Krise nicht hinterhersparen, sondern investieren - da sind sich der Senat und die Regierungskoalition einig. Es sollte aber auch zu einem kleinen Teil dazu verwendet werden, weitere alte Schulden zu tilgen; das geht nun nicht mehr. Stattdessen sollen über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte, die neu hinzugekommenen Schulden getilgt werden.  

"Unseren gesamten Konsolidierungserfolg der letzten Jahre haben wir jetzt eingesetzt für die Bekämpfung der Pandemie", sagte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) kürzlich der "Süddeutschen Zeitung". "Das ist schon bitter."

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Schuldenquote

Die Schuldenquote ist das Verhältnis von Schuldenhöhe und Bruttoinlandsprodukt, also der Wert aller Waren und Dienstleistungen, die in einem Jahr in einer Volkswirtschaft produziert werden.  

Bankenskandal in den Nuller Jahren

Noch sieht es wirtschaftlich allerdings nicht so bitter für Berlin aus wie einst in den Nuller Jahren. Zwar würden die Schulden mit einem neuen Sechsmilliarden-Kredit auf 63,5 Milliarden Euro steigen, den höchsten Wert seit der Wiedervereinigung. Aber nicht die absolute Höhe der Schulden ist aussagekräftig - weil zum Beispiel die Kaufkraft eines Euros durch Inflation gesunken ist. Aussagekräftig ist die Schuldenhöhe im Verhältnis zum Berliner Bruttoinlandsprodukt [statista.de].

Ein Rückblick, wie sich die Schuldenquote, also das Verhältnis von Schuldenhöhe und Bruttoinlandsprodukt, für Berlin entwickelt hat (Quelle: statista.de, berlin.de, eigene Berechnungen):

2001 liegt sie in Berlin bei 46 Prozent. Da läuft gerade der Berliner Bankenskandal, ein Finanzdesaster. Die Berliner Bankengesellschaft macht Milliardenverluste und Schlagzeilen mit geschönten Bilanzen – bricht wirtschaftlich zusammen. In der Folge muss der damalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) zurücktreten - und das Land Berlin die begangenen Fehler bezahlen.

Berlin verschuldet sich immer weiter

Auch deshalb verschuldet sich Berlin immer weiter und ist in den darauffolgenden Jahren im landesweiten Vergleich über Jahre nur noch vor Bremen bei der Pro-Kopf-Verschuldung.

Die Schuldenquote erreicht 2005 ihren Höchststand und liegt bei 67,1 Prozent. "Berlin ist arm, aber sexy" (Klaus Wowereit, 2003) - den Spruch finden viele anfangs noch lustig, er tröstet vielleicht über die schlechte wirtschaftliche Lage hinweg. Aber irgendwann kann man ihn abgedroschen finden. Und irgendwann stimmt er nicht mehr so ganz.

Das Land kämpf sich hoch

Berlin kämpft sich ab 2012 hoch, zahlt Schulden zurück. Vor allem an den Gehältern von Landesbediensteten, auch an Schulen und der Polizei spart das Land kräftig. Die Schuldenquote sinkt fast durchgehend bis 2019 auf nur noch 37,5 Prozent. Im Ländervergleich sind jetzt neben Bremen auch Hamburg und das Saarland stärker pro Kopf verschuldet. Das ist zwar immer noch nicht gut, aber besser als zuvor. Und immerhin tilgt Berlin schneller als der Bund.

Auch wenn die Zahl sechs Milliarden für Kredite hoch ist - von einer historischen Neuverschuldung oder gar einer Rekordneuverschuldung kann im Moment nicht die Rede sein. Das Bruttoinlandsprodukt müsste um 38 Prozent in diesem Jahr sinken, damit die Rekord-Schuldenquote von 2005 erreicht wird. Wirtschaftsexperten von der Investitionsbank Berlin sagen bislang einen Einbruch von fünf bis zehn Prozent voraus [ibb.de]. Für Deutschland insgesamt gibt es aktuell Prognosen von -0,1 bis -8,7 Prozent von verschiedenen Wirtschaftsforschungsinstituten für Deutschland.