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Paul Zinken/dpa Polizisten bei der Verhaftung eines Clan-Mitglieds (Symbolbild)

Interview mit LKA-Dezernatsleiter: „Suchen sich die besten Experten“: Berlins oberster Clan-Jäger über neue Kriminellen-Taktik

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Mit der Einrichtung einer neuen LKA-Einheit schuf die Berliner Polizei 2019 eine neue Basis im Kampf gegen Clan-Kriminalität. „Wir haben ein paar einige wichtige Schlüsselerfolge erzielt“, sagt der zuständige Dezernatsleiter Stefan Pietsch. Im Gespräch mit FOCUS Online erklärt er, wie das LKA noch mehr Druck machen will, „damit die Clans ständig unseren Atem im Nacken spüren“.

FOCUS Online: Herr Pietsch, das am 1. April 2019 gegründete „Zentrum für Analyse und Koordination zur Bekämpfung krimineller Strukturen“ (ZAK) hat gerade die erste Jahresbilanz zur Bekämpfung der Clan-Kriminalität in Berlin vorgelegt. Was ist aus Ihrer Sicht der größte Coup, der dem LKA gelang? 

Stefan Pietsch: Ich habe die Leitung des Dezernats 41, das für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität zuständig ist, zwar erst im Oktober übernommen. Aber ganz sicher ist einer der wichtigsten Erfolge die Entwicklung im Fall der 77 beschlagnahmten Immobilien, die dem arabischstämmigen Clan um deren Chef Issa Remmo zugerechnet werden. Bislang größter Erfolg ist die Entscheidung des Berliner Landgerichts vor rund einem Monat, die Villa von Remmo sowie ein weiteres Grundstück einzuziehen. Dahinter steckt eine jahrelange Ermittlungsarbeit des LKA, um ausreichende Beweise zu finden, dass diese Immobilien mit Erlösen aus Straftaten finanziert wurden.  

FOCUS Online: Aber der Kampf ist ja noch nicht gewonnen. Remmos Anwälte haben angekündigt, die Entscheidung anzufechten. Schmälert das den Erfolg nicht etwas? 

Pietsch: Tatsache ist, dass wir zum ersten Mal eine Gerichtsentscheidung zur Enteignung von Immobilien eines arabischen Clans durchsetzen konnten. Allein das ist schon ein großer Erfolg, der im Übrigen ohne die wichtige erste Reform des Strafrechts zur Vermögensabschöpfung 2017 nicht möglich gewesen wäre. Es ist leider eine Tatsache, dass Beschuldigte aus Clan-Milieus dank ihres aus unserer Sicht zu einem Großteil aus Straftaten erzielten Vermögens über eine nicht unerhebliche Beschwerdemacht verfügen. Sie könnten sich die besten Anwälte leisten. Das könnte zur Folge haben, dass wir auf ein rechtskräftiges Urteil noch ein bisschen warten müssen. Mich würde nicht wundern, wenn sich die Anwälte bis zum Bundesgerichtshof hochklagen. Das schmälert unseren Erfolg aber nicht.

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Getty Images Clan-Oberhaupt Issa Remmo

 

FOCUS Online: Organisierte Kriminalität innerhalb arabischstämmiger Clans beschäftigt das LKA in Berlin ja schon seit den 1990er-Jahren. Allein der Name des ZAK verrät allerdings, dass der Kampf gegen die Clan-Kriminalität noch viel effektiver organisiert werden kann und muss. An welcher Front droht denn heute am meisten Ungemach von Seiten der Clans?

Pietsch: Was wir mit Sorge beobachten ist, dass sich die Bandbreite der begangenen Straftaten ständig verändert und erweitert. Klassische Delikte in den 90er-Jahren waren Drogengeschäfte, Eigentums- und Gewaltkriminalität sowie Delikte im Rotlichtmilieu. 2020 sehen wir, dass immer mehr durch Straftaten erworbenes Geld in Immobilien investiert wird. Und die Spuren für diese Geldwäsche werden immer aufwendiger verschleiert. . Es wird gut versteckt in Objekte, die auch als Flüchtlingsunterkünfte genutzt werden, investiert, um hier schlussendlich bei der Abrechnung der Kosten den Staat zu betrügen. Es werden durch Betrug Corona-Hilfen erschlichen. Auch die Übernahme von durch die Coronakrise in Geldnot geratene Kneipen oder Restaurants halten wir für ein wahrscheinliches Szenario, auch wenn uns noch keine konkreten Fälle bekannt sind. 

FOCUS Online: Auch die Wirtschaftskriminalität gerät immer mehr in den Fokus organisierter Clankriminalität. Wo liegen da die aktuellen Probleme und Chancen für die Ermittler? 

Pietsch: Immer öfter wird Geld in Firmen investiert, die über solide legale Einkünfte verfügen und daher längst nicht so schnell auffallen bei krummen Geschäften. Anderseits lohnt sich die Ermittlung hier ganz besonders. Denn im Gegensatz zu den Clan-Bossen, die oft einen sehr extravaganten Lebensstil pflegen, der einen beträchtlichen Teil ihrer aus Straftaten erzielten Gewinne verschlingt, können beim Nachweis von illegalen Investitionen in Firmen mit echten, legalen Umsätzen hohe Vermögenswerte beschlagnahmt werden.  

FOCUS Online: Die betreffenden Familien leben oft stark abgeschottet unter sich, sie halten zusammen, was Ihre Arbeit erschwert. Arbeitet jede Familie weiter für sich, oder gibt es auch da inzwischen Brüche mit klassischen Mustern der organisierten Kriminalität?

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dpa Polizeibeamte stehen auf der Mecklenburgischen Straße. Im Rahmen einer Razzia durchsuchen eine Hundertschaft der Polizei Berlin und das LKA mehrere Objekte in Berlin.

 

Pietsch: In der Tat beobachten wir immer öfter, dass nicht nur verschiedene Clan-Familien Straftaten gemeinsam organisieren, sondern sogar ethnisch vermischt. Nicht nur Araber also, sondern auch Russen, manchmal auch Italiener und Deutsche. Die Clan-Chefs agieren immer kompetenzgesteuerter bei der Auswahl der Experten für ihre Straftaten. Sie teilen sich mit anderen Clans Arbeit und Gewinn und suchen sich die besten Experten für Einbrüche, als Fahrer für Fluchtautos oder für Geldwaschaktionen. 

FOCUS Online: Worin besteht aus Ihrer Sicht die wichtigste Strategie, der organisierten Kriminalität das Handwerk zu legen? 

Pietsch: Von fundamentaler Bedeutung ist, dass wir die Vernetzung der verschiedenen beteiligten Instanzen wie Polizei-, Justiz- und Gewerbeaufsichtsbehörden erheblich ausbauen, und zwar nicht nur auf regionaler Ebene, sondern bundesweit, aber auch international. Was für unsere Arbeit vor Ort wichtig ist, ist eine Doppelstrategie.  

Die erste besteht darin, dass wir regelmäßig und mit steigender Zahl Einsätze gegen Verdächtige organisieren. 2019 sind 702 Objekte wie Shishabars, Barber-Shops, Wettbüros oder Juweliere in 382 Einsätzen in Zusammenarbeit mit anderen Behörden kontrolliert worden. Auf diese Art spüren die Clans immer stärker unseren Atem im Nacken, und wir merken, dass sie zunehmend verunsichert sind.

Die zweite besteht darin, dass wir komplexe Ermittlungen wie bei den 77 beschlagnahmten Immobilien weiter vorantreiben. Eine Mischung aus Quantität und Qualität also. So sind die Clans dazu gezwungen, ständig in Bewegung zu bleiben. Frühes Stören verunsichert, und wer sich deshalb oft bewegt, macht öfter Fehler.

Kontaktbeschränkungen durchzusetzen: 250 Polizisten bei Clan-Beerdigung im Einsatz

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