Jetzt will auch das Parlament das Ibiza-Video sehen
by Anna ThalhammerDie Soko Ibiza konnte das technische Equipment, mit dem das Video aufgenommen wurde - sowie das Bildmaterial selbst - sicherstellen. Fotos der vermeintlich russischen Oligarchennichte wurden für die Fahndung veröffentlicht. Der Leiter der Soko wehrt sich gegen Vorwürfe der unsauberen Ermittlungen.
Es war ein langer Abend, den Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus am 24. Juli 2017 auf Ibiza verbrachten, gemeinsam mit Julian H. und der angeblichen Oligarchennichte Alyona Makarov: 12 Stunden, 32 Minuten und 38 Sekunden dauert das Videomaterial von mehreren Kameras, das die Gespräche zwischen den beiden Lockvögeln und den damaligen FPÖ-Spitzenpolitikern festhielt.
Gesehen – oder gar besessen – hatte das Material nur ein ausgewählter Kreis: Die Hintermänner des Videos und die Journalisten, die die Causa aufdeckten. Sowohl „Süddeutsche“ als auch der „Spiegel“ zeigten aus rechtlichen Gründen nur einen kleinen (aber entscheidenden) Teil der Videoaufnahmen. Die Redaktionen gaben das Material auch nicht den Ermittlern, um ihre Quellen zu schützen.
Auch technisches Equipment sichergestellt
Ein Jahr lang suchte die Sonderermittlungskommission im Bundeskriminalamt (bekannt als „Soko Ibiza“ oder „Soko Tape“) nach dem Material. Nun ist wohl ihr größter Coup gelungen: Das Videomaterial liegt den Behörden in voller Länge vor. Außerdem haben sie acht Stunden Tonmaterial sichergestellt, das in der Villa aufgezeichnet wurde. Auch das technische Equipment für die Aufzeichnung haben die Behörden. Es wurde der „Presse“ gezeigt.
Das Material wirkt wie Requisiten eines Spionagefilms: Es sind Knopfkameras, Kameras in Krawattennadeln, Kaffeebechern und Fernbedienungen. Auch Tonaufnahmen von Treffen vor und nach dem Ibiza-Abend zwischen der vermeintlichen Oligarchennichte und Gudenus liegen vor.
Das Material fanden die Ermittler mithilfe eines Informanten. Ein Komplize von Julian H. teilte den Behörden mit, wo das Video versteckt sein könnte. Nach langer Suche am genannten Ort, konnte ein Datenträger sichergestellt werden. Er war bei einem anderen Komplizen von Julian H. versteckt.
Die Justiz erhielt auch neue Aufnahmen der angeblichen Oligarchennichte. Am Mittwoch veröffentlichte das Bundeskriminalamt „über Anordnung der Staatsanwaltschaft Wien mehrere Lichtbilder zur Ausforschung der unbekannten Täterin mit dem Aliasnamen Alyona Makarov“, wie es in einer Aussendung heißt. „Aus kriminalpolizeilicher Sicht erhofft man sich dadurch nähere Erkenntnisse zu den Hintergründen betreffend die Herstellung und der Vorbereitung des „Ibiza-Videos“. Der Frau werden Urkundenfälschung und missbräuchliche Verwendung von Ton und Filmaufnahmen vorgeworfen.
Und was ist nun auf dem Videomaterial zu sehen? Der Leiter der „Soko Tape“, Andreas Holzer, sagt zur „Presse“: „Wir konnten nach erster Sichtung keine weiteren strafrechtlichen Hinweise entdecken – das ist aber nur der momentane Stand. Das Video wird nun ausgewertet, verschriftlicht und zum Akt gegeben.“ Durch den Akt wird das Material dann früher oder später auch im parlamentarischen Untersuchungsausschuss landen, der sich mit der Causa Ibiza beschäftigt.
U-Ausschuss: Befragung startet nächsten Donnerstag
Die Ermittler haben ein gutes Timing: Denn die Befragungen im Untersuchungsausschuss gehen bereits kommenden Donnerstag los. Der erste Tag ist bereits prominent besetzt. Geladen sind die Hauptdarsteller des Videos, Strache und Gudenus.
Doch nun, wo das Video den Behörden vorliegt, spricht sich die FPÖ für eine Änderung des Fahrplans aus: Der Fraktionssprecher im U-Ausschuss, Christian Hafenecker, will am ersten Tag im U-Ausschuss das Video sehen. Auch ÖVP, SPÖ, Neos und Grüne fordern, dass die Aufnahmen im U-Ausschuss vorgelegt werden. Gleichzeitig wird bei den Oppositionsparteien und den Grünen hinterfragt, warum die Behörden ausgerechnet jetzt über ihren Ermittlungscoup informieren.
Theoretisch gäbe es am zweiten Befragungstag, dem Freitag, genug Zeit für ein Public-Viewing: Wie die „Presse“ erfuhr, sagten die geplanten Auskunftspersonen ab: Sowohl Industrielle Heidi Goess-Horten sowie Waffenproduzent Gaston Glock kommen aus gesundheitlichen Gründen nicht. Laut „Kurier“ sagte auch Novomatic-Eigentümer Johann Graf ab. Strache selbst freue sich übrigens über den Ermittlungserfolg, richtete sein Anwalt der „Presse“ aus. Und Gudenus meinte schlicht: „Ich gratuliere den Ermittlern.“
Umstrittene Ermittlungen
Für den 16. Juli wäre „Soko Tape“-Leiter Holzer geladen gewesen. Er suchte um einen anderen Termin an. Im Gespräch mit der „Presse“ nimmt Holzer erstmals zu einigen Vorwürfen Stellung
Im Hintergrundgespräch mit der „Presse“ nimmt Holzer auch erstmals Stellung zu einigen Vorwürfen, mit denen er sich in den letzten Wochen konfrontiert sah. Die Anwälte des Beschuldigten H. sowie die Opposition bezweifelten die Objektivität der Ermittlungen. Ein Grund: In der Soko arbeitete bis August 2019, Ermittler R., ausgezeichneter Suchtgiftkriminalist, weil die Enden der Ibiza-Causa vielfach ins Drogenmilieu reichen. Die Soko wurde am 27. Mai gegründet, am 18. Mai hatte R. Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ein SMS geschrieben, und sein Bedauern zum Rücktritt ausgedrückt - und Strache später auch als Zeugen vernommen.
„Ich habe mir die besten Kriminalisten in ganz Österreich gesucht, und für das Drogenmilieu ist R. ausgewiesener Experte“, sagt Holzer. R. habe vor Beginn seiner Tätigkeit das SMS an Strache gestanden. R. habe nie gegen Strache ermittelt, sondern ihn ausschließlich als Zeugen zur Causa rund um die Video-Entstehung vernommen. Weiterer SMS-Verkehr mit Strache, der R. nun vorgeworfen wird, habe sich inhaltlich nur um Vernehmungstermine und ähnliches gedreht - die SMS seien in Beisein des zuständigen Staatsanwalts verfasst worden. Anders als kolportiert habe R. die Soko dann freiwillig verlassen.
Wovon wusste die Soko?
Holzer selbst wird von H.s Anwälten vorgeworfen, Beweismaterial rund um die Spesencausa und Fotos von Sporttaschen voller Geld bereits 2015 gekannt zu haben - aber nicht ermittelt zu haben. Holzer wehrt sich gegen diese Darstellung: „Anwalt M. ist 2015 zu uns gekommen, mit einigen, wenigen Hinweisen. Sagte, er habe einen Mandanten, hat uns aber nicht gesagt, wer das ist. Wir sind nach einem ersten Gespräch sofort zur Staatsanwaltschaft und haben den Auftrag bekommen, den Hinweisgeber ausfindig zu machen.“ Er persönlich habe daraufhin mehrfach versucht, M. zu kontaktieren. Doch der forderte Geld und Absicherung für seinen Mandanten, eine Kronzeugenregelung - das konnte aber nicht versprochen werden, ohne zu wissen, wer das ist, und was nun wirklich vorliegt. „Auch eine der Bedingungen: dass die Ermittlungen vor der Wien-Wahl im Herbst 2015 abgeschlossen sein müssten.“ Derartige Bedingungen wollte und konnte man nicht erfüllen.
Wie die Ermittlungen gelaufen sind, wird essentieller Teil des U-Ausschusses ab Herbst sein.
Hinweise werden jederzeit im Bundeskriminalamt per E-Mail (bundeskriminalamt@bmi.gv.at) oder telefonisch unter der Nummer +43 (0) 1/24836-985025 entgegengenommen.