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Weiter, immer weiter. Kevin Trapp, hier mal ganz ruhig© picture alliance/Arne Dedert/dpa-Pool/dpa
Gegen Freiburg

Gemischte Gefühle

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Kaum jemand weiß, wie das verrückte 3:3 gegen Freiburg zu deuten ist.

Das Gute an diesen Fußballspielen ohne jeden Zuschauer ist, dass man in der allumfassenden Stille sehr schnell sehr genau herausfiltern kann, wer auf dem Platz das große Wort führt und die Kommandos gibt – und hierbei geht es explizit nicht darum, dass sich ungefähr dreiviertel der Spieler nicht mit ihrem Namen, sondern einem schlichten „Hey“ anreden. In Frankfurt bei der Eintracht ist der Lautsprecher zweifelsfrei der letzte Mann, der hinten in seiner Kiste steht, aber sehr viel verbale Aufbauarbeit leistet und Korrekturmaßnahmen vornimmt: Kevin Trapp, der bald 30 Jahre alte Keeper aus dem Saarland.

Der Schlussmann ist ein extrem ambitionierter Sportler, weshalb es ihm ganz gewaltig gegen den Strich geht, neuerdings in der Schießbude der Liga zu stehen, in den vergangenen sechs Ligapartien schluckte er insgesamt 21 Gegentore, das macht 3,5 im Schnitt. Eine persönliche Beleidigung für den Ehrgeizling. Am Dienstagabend in diesem etwas verdrehten Duell gegen den SC Freiburg sah er sich daher bemüßigt, einen seiner Abwehrspieler permanent zu maßregeln: „Hinti, komm’ zurück“, schrie der Torwart seinem Stopper Martin Hinteregger mehrfach hinterher, der sich ganz gerne mal selbstständig macht und auf der anderen Seite die Tore jagt. Half alles nichts, Hinti blieb oft genug vorne, und am Ende schlug es wieder dreimal bei Trapp ein. Doch der Schlussmann weigerte sich auch nach den schnellen Niederschlägen zum 1:2 und 1:3 (67., 69.) die weiße Fahne zu hissen. „Wir sind gut, weiter, weiter“, brüllte er hinaus in die Leere der Betonschüssel. Seine Vorderleute gehorchten und starteten eine kleine, flotte Aufholjagd, 2:3 Daichi Kamada (79.), 3:3 Timothy Chandler (82.), und fast hätte Trapp seine Mannen auch noch zum erlösenden Siegtreffer gebrüllt, doch er wollte dann doch nicht fallen, auch wenn er gewiss verdient gewesen wäre.

Nach dem wilden Ritt, der in einem 3:3 mündete, wussten sie im Frankfurter Lager diesen ersten schmalen Erfolg nach fünf Niederlagen am Stück nicht richtig einzuordnen. Trainer Adi Hütter fand den Punkt „wichtig und wertvoll“, räumte im nächsten Atemzug aber ein, „mit dem Punkt nicht leben zu können“, selbst wenn er es natürlich muss. Mixed Emotions, gemischte Gefühle, hatten fast alle Protagonisten. Wahlweise 34, 35 oder 39 Torschüsse (je nach Zählweise und Statistiker) hatten die Frankfurter in Richtung des Breisgauer Gehäuses abgefeuert, das ist Saisonrekord für die Bundesliga und Vereinsrekord für die Eintracht.

„25 Hundertprozentige“

Timothy Chandler, der mit seinem allerersten Ballkontakt und einigem Willen sein fünftes Saisontor erzielt hat (genauso viele wie Stürmer Bas Dost), übertrieb gar lachend: „Wir hatten 25 Hundertprozentige.“ Die Hälfte trifft es aber wohl tatsächlich ganz gut. „Wir hatten Torchancen, die müssten für mehrere Spiele reichen“, konstatierte Coach Hütter. Dass der Punkt für die Freiburger trotz einer 3:1-Führung schmeichelhaft war, räumte auch deren Trainer Christian Streich ein: „Wir hatten viele Probleme, das Unentschieden war glücklich für uns.“

Was aber bedeutet der Zähler für Eintracht Frankfurt? Vordergründig gesehen hat er die Sorgen nicht schmälern können, die Hessen befinden sich mitten im Abstiegskampf, in den nächsten beiden Partien, am Samstag in Wolfsburg und anschließend am Mittwoch in Bremen, steht einiges auf dem Spiel, da können sie noch tiefer in den Morast sinken. Blöderweise finde diese Partien auch noch in der Fremde statt, wo die Eintracht die schlechteste Mannschaft der ganzen Liga stellt – vielleicht hilft es ihr da mal, dass auch dort keine Zuschauer anwesend sein werden und demnach völlige Chancengleichheit herrschen wird.

Im Abstiegskampf ist es zudem höchst gefährlich, wenn man solch einen Aufwand wie die Eintracht betreibt, sehr ordentlich spielt, sich viele Chancen erarbeitet, die Partie aber letztlich dennoch nicht gewinnt. Dieses Phänomen ist weit verbreitet bei Teams, die ums sportliche Überleben kämpfen. Das ist, klar, auch eine Frage der psychischen Verfassung und der generellen fußballerischen Qualität. Bedenklich ist überdies die Defensivleistung, auch gegen Freiburg setzte es wieder drei Gegentore, zuvor kassierte die Eintracht vier Tore in Dortmund und Leverkusen, drei gegen Mönchengladbach und Basel, fünf gegen die Bayern, nur gegen Union Berlin schlug es „nur“ zweimal ein. Drei Gegentore gegen Freiburg, urteilte Hütter, „sind zu viel, das hat mir nicht gefallen“.

Positiv hervorzuheben ist indessen die Moral, mit einer solchen Niederlagenserie und einem unerwarteten 1:3-Rückstand im Gepäck ist schon manches Ensemble auseinandergefallen und in die Einzelteile zerlegt worden. Die (Trotz-)Reaktion ist durchaus hervorzuheben.

Genauso wie die Offensive, das Eintracht-Spiel hatte endlich wieder eine Struktur. Die Bälle wurden nicht nur sinnlos hinten heraus gebolzt, es wurde kombiniert, flach und durch die Mitte, es ging nicht nur über weite Schläge oder Flanken aus dem Halbfeld. Das hat damit zu tun, dass Hütter endlich die alte Formation wieder belebte, also mit Dreierkette, zwei Spitzen und einem Kreativkopf dahinter agieren ließ. Prompt hatte die Eintracht sehr viel mehr Wucht und Durchschlagskraft, ja auch Finesse im Spiel. Daichi Kamada auf der Zehn wusste zu überzeugen, André Silva ebenso in der Spitze, und Sebastian Rode zeigte als Ankurbler und Bälleklauer eine prima Vorstellung. Das System, sagte Hütter, habe sich bewährt. Warum wurde es also nicht früher mal probiert?

In dieser Verfassung ist die Eintracht gegen die kommenden Gegner, von denen sich viele in etwa auf Augenhöhe bewegen, konkurrenzfähig, das war sie vorher nicht mehr. Diese Leistung aber ist der Maßstab, sollte sie nachlassen, wird es recht schnell weiter nach unten gehen.