Geldpolitik
Rechtsstreit um Anleihekäufe: EZB sieht sich von Karlsruher Urteil nicht betroffen
Klarer Standpunkt: Die deutsche EZB-Direktorin Isabel Schnabel betont, das Bundesverfassungsgericht habe keinen direkten Einfluss auf die Notenbank.
Frankfurt. Isabel Schnabel hat den Standpunkt der Europäischen Zentralbank (EZB) bekräftigt, die Notenbank sei von dem kürzlich gefallenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu ihrer Geldpolitik nicht direkt betroffen. „Die EZB steht allein unter der Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs, daher betrifft dieses Urteil uns nicht direkt“, sagte die deutsche EZB-Direktorin in einem Interview mit der „Financial Times“.
Ähnlich hatte sich EZB-Präsidentin Christine Lagarde im Interview mit dem Handelsblatt und drei anderen europäischen Zeitungen geäußert: „Die EZB unterliegt europäischem Recht, sie legt den Mitgliedern des Europäischen Parlaments gegenüber Rechenschaft über ihre Tätigkeit ab, und sie ist letztlich dem Gerichtshof der Europäischen Union gegenüber verantwortlich.“
Schnabel sagte auch, ähnlich wie zuvor schon EZB-Chefvolkswirt Philip Lane, aus ihrer Sicht habe die EZB jederzeit die Verhältnismäßigkeit ihrer Geldpolitik dargestellt. Das Verfassungsgericht wirft der EZB dagegen vor, mit einem Programm zum Kauf von Anleihen, das zurzeit ein Volumen von monatlich 20 Milliarden Euro hat, möglicherweise ihre Kompetenz überschritten zu haben.
Es hat daher Anfang Mai der Bundesbank verboten, an diesem Programm weiter teilzunehmen, wenn die EZB die Verhältnismäßigkeit ihrer Geldpolitik nicht binnen drei Monaten besser begründe. Damit könnte die Bundesbank ein schweres rechtliches Problem bekommen: Sie wäre nach Europarecht verpflichtet, an der Politik der EZB teilzunehmen, und zugleich wäre es ihr als deutsche Behörde nach dem Urteil des Verfassungsgerichts verboten.
Schnabel rechnet nicht damit, dass es so weit kommt, wie sie in dem Interview sagte. Bekannt ist auch, dass Lagarde einen diplomatischen Ausweg aus der Krise sucht. Auf der anderen Seite kann die EZB nicht einfach der Aufforderung aus Karlsruhe Folge leisten. Denn damit würde sie ihren Anspruch aufgeben, allein dem europäischen Gericht zu unterstehen, und die Tür zu Forderungen auch anderer nationaler Gerichte öffnen.
Kompromiss möglich
Ein Kompromiss könnte sein, dass die EZB erneut, etwa im Rahmen ihrer ohnehin geplanten Strategiedebatte, eine Erklärung zu ihrer Geldpolitik veröffentlicht, ohne direkten Bezug auf das Urteil zu nehmen. Diesen Vorschlag hatte unter anderem der Wirtschaftsweise Volker Wieland gemacht.
Diskutiert wird auch, dass die Bundesbank die Geldpolitik der EZB noch einmal erklärt. Dafür scheint es im Hause der Bundesbank keine große Begeisterung zu geben. Außerdem heißt es im Urteil, diese Erklärung solle im Zusammenhang mit einem Beschluss des EZB-Rats erfolgen. In dem ist Bundesbank-Präsident Jens Weidmann zwar Mitglied; eine Erklärung von ihm kann aber einen Ratsbeschluss nicht ersetzen.
Sollte es zu einer harten Auseinandersetzung kommen und die Bundesbank ihre Teilnahme an dem Kaufprogramm beenden, so hätte das geldpolitisch so gut wie keine Auswirkung. Zum einen sind die neuen, im Rahmen der Coronakrise getroffenen Beschlüsse gar nicht betroffen, sondern nur das alte, schon seit Jahren laufende Programm.
Die EZB könnte außerdem entweder die entsprechenden Anleihekäufe selbst übernehmen oder anderen nationalen Notenbanken übertragen. Es wäre wohl ein begrenztes Problem, wenn die Käufe der Bundesbank einfach ausfielen. Die Bundesbank ist für die deutschen Papiere zuständig. Deren Zinsen liegen ohnehin unter null. Viel wichtiger sind die Käufe von Papieren höher verschuldeter Staaten – offiziell, um die Wirksamkeit der Geldpolitik dort sicherzustellen, inoffiziell auch, um ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone zu verhindern.
Von der Leyen ist alarmiert
Dass in großem Umfang deutsche Staatsanleihen gekauft werden, geht auf die gerade auch von Deutschland getragene Forderung zurück, kein Land dürfe durch das Programm bevorzugt werden. Daher verteilt sich das Volumen ungefähr nach wirtschaftlicher Größe und Bevölkerung der Euro-Länder. Sollte die Bundesbank ausfallen, könnte diese Forderung obsolet sein, weil sich dann ausgerechnet das Land aus dem Programm ausklinkt, das mit dem größten Schwergewicht diese Forderung aufgestellt hat.
Sollte sich keine diplomatische Lösung finden lassen und die Bundesbank ausfallen, dürfte es auch zu einem Vertragsverletzungsverfahren seitens der Europäischen Union (EU) gegen Deutschland kommen. Ursula von der Leyen, die Präsidentin der EU-Kommission, hatte bereits angedeutet, dass sie ein solches Vorgehen neben anderen prüft.