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Getty Images/iStockphoto/ Cornelia Betsch befragt die Deutschen jede Woche zu ihrer Stimmungslage

Cornelia Betsch im Gespräch: „Stimmung kippt nicht“: Forscherin zeigt, wie groß der Corona-Aufstand wirklich ist

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Wie bewertet Lockdown-Deutschland Maßnahmen und Lockerungen in der Corona-Pandemie? Dieser Frage geht Cornelia Betsch von der Universität Erfurt nach – und zeichnet ein zunehmend heterogenes Stimmungsbild. Dem anfänglichen Konsens im Umgang mit der Pandemie ist Uneinigkeit gewichen.

Seit zwölf Wochen befragen Cornelia Betsch und ihr Team von der Universität Erfurt im Wochen-Turnus die Deutschen nach ihrer Wahrnehmung der Corona-Pandemie. Die „psychologische Lage“ im Land will die Professorin für Gesundheitskommunikation damit in Zusammenarbeit unter anderem mit dem Robert-Koch-Institut und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung abbilden – „um der Bevölkerung korrektes, hilfreiches Wissen anzubieten und Falschinformationen und Aktionismus vorzubeugen“.

Akzeptanz für Maßnahmen sinkt seit Wochen

Das aktuelle Zwischenergebnis: Die Akzeptanz der Maßnahmen sinkt allmählich, die Angst vor dem Virus ebenso.

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Cosmo/corona-monitor.de

Während Ende März noch 60 Prozent der Befragten das Coronavirus als (eher) angsteinflößend bezeichneten, haben aktuell nur noch vier von zehn Menschen Angst vor dem Erreger.

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Auch die 1,5-Meter-Abstandregel halten inzwischen weniger Menschen ein, als in den Vorwochen (88 Prozent). Gleiches gilt für das gründliche Händewaschen für mindestens 20 Sekunden (81 Prozent). Die im März sprunghaft gestiegene Akzeptanz der Einschränkung von Freiheitsrechten sinkt seit Wochen kontinuierlich. Entspricht dabei allerdings auch den bundesweit verabschiedeten Lockerungen der zu Beginn der Epidemie verabredeten Maßnahmen.

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Cosmo/corona-monitor.de

„Müssen Risikogefühl aufrechterhalten“

Das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes hingegen hat deutlich zugenommen. 81 Prozent halten sich den Zahlen des „Covid-19 Snapshot Monitoring“, kurz Cosmo, zufolge an die Maskenpflicht in Supermärkten und öffentlichen Verkehrsmitteln.

Diese schreiben die Bundesländer allerdings gesetzlich vor; Verstöße können mit Bußgeldern von mehreren hundert Euro bestraft werden. Der Rest des Maßnahmen-Katalogs setzt vorrangig auf die Freiwilligkeit der Bürger und erscheint deshalb besonders fragil. Kippt also gerade die Stimmung in Bezug auf das Virus?

Nein, findet Psychologin Betsch. Das individuelle Risikogefühl sei ein extrem wichtiger Faktor, der uns antreibt, uns zu schützen. „Deshalb müssen wir aufpassen, dass wir das Schutzverhalten, das wir etabliert haben, aufrechterhalten. Bisher sehe ich aber nicht, dass das besorgniserregend kippt.“

Über die Expertin

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Marco Borggreve

Cornelia Betsch ist Psychologin und Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt. Anfang 2020 initiierte sie das „Covid-19 Snapshot Monitoring“ (Cosmo), um regelmäßig Einblick zu erhalten, wie die Bevölkerung die Pandemie wahrnimmt. An dem Gemeinschaftsprojekt sind neben der Universität Erfurt und dem Robert-Koch-Institut (RKI) auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), das Leibniz-Zentrum für Psychologische Information und Dokumentation (ZPID), das Science Media Center (SMC), das Bernhard Nocht Institute for Tropical Medicine (BNITM) sowie das Yale Institute for Global Health (YIGH) beteiligt.

„Die Daten zeigen zwei polarisierte Lager“

Schwankungen in den Daten seien normal, führt die Professorin für Gesundheitskommunikation im Gespräch mit FOCUS Online aus. „Zwischenzeitlich sind einige nervös geworden und hatten genug von den vielen negativen Corona-Meldungen und den Beschränkungen.“

Diese Reaktanz, also die Abwehrhaltung gegenüber den Maßnahmen aus Trotz, nahm jüngst jedoch wieder ab. „Deswegen muss man sagen, dass die Bevölkerung relativ vernünftig ist“, sagt Betsch.

Die zu Beginn der Epidemie in Deutschland weitgehend homogen zustimmenden Bevölkerungsgruppen sieht die Sozialpsychologin jedoch zunehmend divergieren.

„Die Daten zeigen zwei polarisierte Lager und eine große Gruppe dazwischen“, erklärt sie. Ein Fünftel der Befragten findet die Maßnahmen demnach (eher) übertrieben (21 Prozent), 31 Prozent sagen das Gleiche über die Lockerungen. 47 Prozent sind unentschieden.

„Das Spannende ist dabei: Die, die Lockungen übertrieben finden und die, die der indifferenten Gruppe angehören, sind sich in vielen Aspekten sehr ähnlich. Sie nehmen die Krise gleich wahr, haben tendenziell eine erhöhte Risikowahrnehmung, setzen Schutzmaßnahmen um und glauben nicht an Verschwörungstheorien.“

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Cosmo/corona-monitor.de

Die, die die Maßnahmen übertrieben finden, unterschieden sich systematisch: „Sie sind schlechter informiert, vertrauen den Behörden weniger, sagen, die Krise sei ein Medien-Hype, das Virus ja gar nicht so gefährlich und schützen sich auch weniger, halten weniger Abstand und hängen eher Verschwörungstheorien an.“ Ihre Bereitschaft zu demonstrieren, ist erhöht.

„Verschwörungstheoretiker und Maßnahmen-Ablehner haben eine große Überschneidung“

Doch nicht nur ihre gesellschaftlichen Haltungen heben sich ab von der der Mehrheit, auch ihre individuellen Sorgen sind andere, analysiert die Psychologin. „Sie haben deutlich mehr Angst vor dem Jobverlust und finanziellen Einbußen als der Durchschnitt“ – und sie sind in der Folge oft anfälliger für Argumentationen aus dem verschwörungstheoretischen Milieu. „Die Gruppe der Verschwörungstheoretiker und die Gruppe der Maßnahmen-Ablehner haben eine große Überschneidung.“

Allerdings dürften die Fernsehbilder von vermeintlich übervollen Demos etwa vor dem Reichstagsgebäude nicht überinterpretiert werden, findet Betsch und warnt vor einer verzerrten Wahrnehmung. „Es sind Menschen auf den Demos unterwegs, aber das sind eher wenige. 14 Prozent der Deutschen würden (eher) gegen die Maßnahmen demonstrieren gehen. Das ist eine Minderheit. Der Großteil ist genauso unsicher wie die Politik es in Anbetracht der neuen Situation auch ist.“

Abstempeln der Demonstranten forciert gesellschaftliche Spaltung

Despektierlich mit dem Finger auf „die Spinner mit dem Aluhut“ zu zeigen, hält die Psychologin aber für kontraproduktiv. „Das treibt nur die Spaltung voran.“ Vielmehr müssten Politik und Gesellschaft einen Prozess des Zuhörens und des Austauschs in Gang setzen. „Wir wissen, dass Eigeninteressen Verschwörungstheorien sehr stark befördern. Wenn sich Menschen in der Gesellschaft also nicht integriert fühlen, sondern abgehängt und in sozialpolitischen Entscheidungen nicht gehört, wenn sie Angst haben, dass zwar die Lufthansa gerettet wird, ihr Handwerksbetrieb aber nicht, dann muss die Politik das ernstnehmen und entsprechend handeln – und wir dürfen es nicht belächeln und abstempeln. Sonst kann die Corona-Krise schon zuvor dagewesene Spaltungstendenzen verstärken.“

„Mehrheit der Bürger ist sehr gut informiert und sich des Risikos bewusst“

Die Kommunikation scheint in der Krise ohnehin besonders zentral zu sein, auch um die Bereitschaft zu gesamtgesellschaftlichen Anstrengungen in der Pandemie hochzuhalten. „Die Mehrheit der Bürger ist sehr gut informiert und sich des Risikos bewusst“, fasst Betsch den Pandemie-Status-Quo zusammen.

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„Deshalb muss die Politik auch nicht das Gefühl haben, dass sie die Bürger vor sich hertreiben würden, auch wenn einige wenige Interessensverbände gerade sehr lautstark agieren. Die meisten ziehen bei guter und transparenter Erklärung der Maßnahmen gut mit und wollen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens beitragen.“

Dass sich die Einschätzung ob der Neuartigkeit nicht nur des Virus, sondern der gesamten Situation verändern könne, sei Teil dieser offenen Kommunikation, sagt Betsch. „Ich rate den Politikern deshalb auch, nicht zu definitiv zu reden, sondern klar zu sagen: Wir wissen es nicht abschließend; das ist der aktuelle Wissenstand, deswegen machen wir jetzt dies oder jenes. Erkenntnisse können sich aber ändern und Maßnahmen deshalb morgen revidiert werden. Das steht eigentlich auf der ersten Seite des Handbuchs zur Krisen-Kommunikation.“

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