Wissen im Wandel

Worin man sich beim Coronavirus geirrt hat

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Gibt nur nach und nach seine Geheimnisse preis: Sars-CoV-2.(Foto: CDC)

Laufend ändert sich der Wissensstand zum Coronavirus Sars-Cov-2. Schier unzählige Studien beleuchten immer neue Aspekte des Erregers. Neues Wissen wirft dabei alten Glauben über den Haufen. Hier eine Auswahl von Annahmen, die als überholt gelten.

Am Anfang war von einer mysteriösen Lungenkrankheit in China die Rede. Dies ist nicht einmal ein halbes Jahr her. Mittlerweile wissen viele Menschen in Deutschland eine ganze Menge über Viren im Allgemeinen und speziell über Sars-Cov-2, welches die Erkrankung Covid-19 auslöst. Doch die Öffentlichkeit wird immer wieder auf harte Proben gestellt: Was anfangs noch als gewiss oder zumindest sehr wahrscheinlich galt, wurde von neuen Erkenntnissen als womöglich falsch entlarvt.

Deutlich macht dies ein Blick auf den Beginn der Pandemie: Anfang Januar wurde bekannt, dass die neu aufgetretene Lungenkrankheit in der Millionenstadt Wuhan von einem bisher unbekannten Coronavirus-Typ ausgelöst wurde. Doch zu diesem Zeitpunkt betonten die chinesischen Behörden noch: Ob der Erreger auch von Mensch zu Mensch übertragbar ist, sei nicht nachgewiesen. Ein halbes Jahr und weltweit 5,5 Millionen Infizierte und fast 350.000 Todesfälle später klingt dies befremdlich. Doch zum damaligen Zeitpunkt war es der aktuelle Wissensstand.

In den folgenden Wochen und Monaten kam es immer wieder zu Annahmen, die später revidiert werden mussten. Ein berühmtes Beispiel ist das Thema Masken. Ende Februar noch hatte der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, gesagt, dass es für den Alltag "keinerlei Evidenz" gebe, dass Masken in irgendeiner Weise hilfreich im Kampf gegen das Virus seien. Das RKI hatte das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes bis dahin nur Menschen mit akuten Atemwegserkrankungen empfohlen.

Heute gehören maskierte Menschen in Deutschland zum Stadtbild, in Supermärkten und im öffentlichen Nahverkehr gilt Maskenpflicht. Auch das RKI vollzog schließlich eine Kehrtwende und empfahl das "vorsorgliche Tragen" von Masken in der Öffentlichkeit. Wieler betonte kürzlich, dass man inzwischen mehr über das neue Virus wisse und dadurch habe man "hier und dort" Ansichten ändern müssen.

Vom "Wundermittel" zum Teufelszeug

Ein anderes Beispiel für einen Wechsel von Annahmen ist der Fall des Wirkstoffs Hydroxychloroquin und des verwandten Chloroquin. Als "Wundermittel" gegen das Coronavirus wurde Hydroxychloroquin mehrfach von US-Präsident Donald Trump gepriesen. Zuletzt sorgte Trump für Aufregung mit der Aussage, er nehme das Medikament prophylaktisch ein, um sich vor dem Virus zu schützen. Hydroxychloroquin und Chloroquin sind Medikamente, die gegen Malaria eingesetzt werden. Die anfänglich großen Hoffnungen stützten sich auf Tierversuche im Labor, bei denen sich Hydroxychloroquin in einigen Fällen als wirksam gegen Viren gezeigt hatte. Darauf gründet die Hypothese, dass es auch das neue Coronavirus abtöten könnte.

Doch der Stern der Arznei begann zu sinken: Eine umfassende Datenanalyse von Forschern aus den USA und der Schweiz hatte ergeben, dass sich Chloroquin und Hydroxychloroquin wahrscheinlich nicht zur Behandlung von Covid-19 eignen. Im Gegenteil: Die Wirkstoffe erhöhen womöglich die Todesrate und führen zu mehr Herzrhythmusstörungen, berichten die Forscher im Journal "The Lancet". Mittlerweile hat die Weltgesundheitsorganisation WHO Tests mit Hydroxychloroquin vorerst ausgesetzt. Zuletzt kommt es zu der paradoxen Situation, dass Frankreich den Einsatz des Mittels untersagt, während Indien praktisch zeitgleich dasselbe Medikament offiziell für den Kampf gegen die Pandemie empfiehlt.

Auch zu einem anderen Medikament änderte sich die Einschätzung im Laufe der Pandemie: Ibuprofen. Die WHO selbst hatte im März davon abgeraten, ohne ärztlichen Rat Ibuprofen einzunehmen, wenn der Verdacht auf eine Coronavirus-Infektion bestehe. Stattdessen sollte Paracetamol bevorzugt werden.

Zuvor hatte der französische Gesundheitsminister in einem Tweet vor Entzündungshemmern wie Ibuprofen gewarnt. In "The Lancet" war zudem ein Fachbeitrag erschienen, in dem eine mögliche unerwünschte Wirkung von Ibuprofen erwähnt wurde. Wenig später ruderte die WHO zurück: Ihre Experten hätten Studien und Ärzte konsultiert und seien zu dem Schluss gekommen, dass es über die bekannten Nebenwirkungen bei bestimmten Bevölkerungsgruppen hinaus keine Hinweise auf negative Ibuprofen-Konsequenzen bei Covid-19-Patienten gebe, hieß es.

Hoffnung auf den Sommer-Effekt

Ein besonders umstrittenes Thema ist auch die Frage nach dem Sommer-Effekt: Wie stark wird sich die warme Jahreszeit auf die Ausbreitung des Virus auswirken? Wird die Pandemie, ähnlich den Grippewellen, in den Sommermonaten womöglich von alleine abebben? Bereits im Februar äußerte der deutsche Virologe Alexander Kekulé in einem Interview die Hoffnung, dass der Sommer "unser bester Verbündeter" gegen das Virus sein könnte. Andere Experten pflichteten bei: Wärme, Sonne und UV-Licht könnten das Virus eindämmen. Auch ein verändertes Sozialverhalten der Menschen, die sich in der warmen Jahreszeiten öfter im Freien aufhalten, könne dazu beitragen, das Ansteckungsrisiko zu senken, hieß es.

Die Hoffnungen auf einen Sommer-Effekt wurden noch mal Ende April befeuert, als die US-Regierung eine Studie präsentierte, der zufolge Sonnenlicht das Coronavirus in wenigen Minuten erheblich dezimiert. Doch eine neuere Studie der US-Universität Princeton deutet wiederum darauf hin, dass heißeres Wetter und eine höhere Luftfeuchtigkeit die Ausbreitung des Virus nur in geringem Maß beeinflussen. Auch andere Experten gehen mittlerweile zwar von einem gewissen Einfluss des Sommers auf das Virus aus - dieser wird aufgrund der in der Breite der Bevölkerung immer noch fehlenden Immunität aber als gering erachtet. Aber erst Ende des Sommers wird vermutlich klar sein, ob diese Sichtweise Bestand hat, oder erneut revidiert werden muss.

Ist Rauchen plötzlich gesund?

Dass es bei einzelnen Aspekten der Corona-Pandemie mit den Einschätzungen von Forschern oft hin und her gehen kann, zeigt auch das Thema Rauchen. Bis Ende April galt es unter Experten als wahrscheinlich, dass Raucher besonders bedroht sind, schwer an Covid-19 zu erkranken. Ende April überraschten französische Mediziner die Welt dann mit einer Studie, in der vorsichtig über eine mögliche Schutzwirkung von Nikotin gegen eine Covid-19-Infektion spekuliert wurde. Eine andere Untersuchung aus Spanien stellte fest, dass unter den Corona-Fällen in mehreren Ländern erstaunlich wenig Raucher waren. Jedenfalls weniger, als es ihrem Anteil an der Bevölkerung nach sein müssten. Ob Raucher nun tatsächlich ein höheres oder geringeres Risiko einer Infektion oder eines schweren Verlaufs haben, ist allerdings nach wie vor offen.

Auch die Frage, wie stark Kinder zur Verbreitung des Coronavirus beitragen, und dabei vielleicht sogar ein wesentlicher Treiber der Pandemie sind, ist weiterhin umstritten. Sicher ist damit nur, dass auch rund ein halbes Jahr nach dem vermutlich ersten Ausbruch des Coronavirus noch viele Erkenntnisse zu dem Erreger mit Fragezeichen versehen sind. Vermutlich muss sich die Öffentlichkeit daran gewöhnen, dass es diesbezüglich eine absolute Gewissheit so bald nicht geben wird - vielleicht sogar nie.