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Kein Frieden in Sicht: In Libyen droht die Friedensmission zu scheitern.© Amru Salahuddien/picture alliance/dpa
Gastbeitrag

Friedensstifterin Irini droht zu scheitern

Die EU will den Konflikt in Libyen befrieden. Für die Mission wäre es besser gewesen, die Ziele Migration und Waffenstillstand zu trennen. Der Gastbeitrag.

Mit Irini, der griechischen Göttin des Friedens, haben die europäischen Mitgliedsstaaten sich bereits bei der Namenswahl für die neue Marinemission im Mittelmeer einen hohen symbolischen Anspruch gegeben. Vieles am innereuropäischen Verhandlungsprozess für Irini hätte wohl eher unter Eris, der griechischen Göttin des Streits und der Zwietracht laufen können. Zuletzt weigerte sich Malta zwei Wochen lang, den italienischen Kommandeur der Mission zu bestätigen und drohte offen damit, Irini vollkommen platzen zu lassen, sollte man nicht seine Forderungen hinsichtlich der Rettung und Verteilung von Migranten erfüllen.

Zur Erinnerung: Am 19. Januar gipfelte ein seit Herbst 2019 von Auswärtigen Amt und Kanzleramt initiierter Prozess zum Konfliktmanagement in Libyen in die Berliner Libyen-Konferenz, die erstmals seit Langem die Konfliktparteien zusammenbrachte und deren Ergebnisse als kleine, aber positive Schritte begrüßt wurden.

Doch im Nachgang der Konferenz wurde als europäischer Beitrag für Libyen ein Neubeginn des umstrittenen europäischen Marineeinsatzes Operation Sophia im Mittelmeer gefordert. Was folgte, waren zweieinhalb Monate innereuropäisches Ringen und Streiten, bis am 31. März Eunavfor Med Sophia geschlossen und Eunavfor Med Irini beschlossen wurde. Mittlerweile ist die in Berlin gesäte junge Pflanze einer Konfliktvermittlung in dem nordafrikanischen Staat schon wieder zertreten. Die Kämpfe sind erneut aufgeflammt und der libysche General Chalifa Haftar hat das 2015 von den UN vermittelte Abkommen über die Machtverteilung in Libyen endgültig aufgekündigt.

Operation Irini soll vor allem einen Beitrag zur Umsetzung des seit 2011 dysfunktionalen UN-Waffenembargos leisten. Mit ihren Schiffen wird sie dies nur für den Schmuggel übers Meer garantieren können – über Land und Luft gibt es zwar Beobachtungs-, aber keine Interventionsmöglichkeiten.

General Haftar wird dies recht sein, ist er doch – anders als die international anerkannte libysche „Regierung der Nationalen Übereinkunft“ unter Fajez Sarradsch – nicht auf die Versorgung über den Seeweg angewiesen, sondern bezieht seine Waffen und Söldnertruppen vor allem über Land und den Flughafen von Bengasi. Vor wenigen Tagen kritisierte der Innenminister der international anerkannten Regierung in Libyen deswegen Irini in einer deutschen Zeitung erneut als „ungerecht“.

Sowieso stand bei der Diskussion der EU-Staaten um Operation Irini selten die Situation in Libyen als vielmehr das Thema Migration im Mittelpunkt. Dabei ging es vor allem um für die Operation neu verankerte Kontrollmechanismen.

Anders als bei militärischen Operationen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU üblich, muss Irini alle vier Monate durch das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) des Rates der EU einstimmig neu bestätigt werden – ohne Bestätigung wäre die Operation beendet. Darüber hinaus kann ein einzelner EU-Staat veranlassen, dass die Operation umgehend und für acht Tage aus einem bestimmten Seegebiet abzieht. Auf diese Weise möchten einige EU-Staaten verhindern, dass die neue Operation Geflüchtete aus Seenot rettet.

In diesem Zusammenhang zitiert der offizielle Beschluss des Europäischen Rates für die Operation Irini den unglücklichen Begriff Pull effect, auf Deutsch „Pull-Faktor“. Dieser Terminus gaukelt vor, dass aufgrund von vorgehaltenen Kapazitäten zur Seenotrettung – wie etwa Operation Irini – sich Geflüchtete überhaupt erst auf die gefährliche Mittelmeerroute begeben, in der Gewissheit, gerettet zu werden.

Es gibt bis heute keinen empirischen Beleg hierfür. Im Gegenteil, der „Pull-Faktor“ wurde sogar bereits mehrfach widerlegt. Ähnlich wie der Begriff „Taxiservice“ hat er die europäische Debatte zur Seenotrettung vergiftet – und hätte nicht in einem offiziellen Dokument des Europäischen Rates landen sollen.

Operation Irini wird nicht in der Lage sein, diesen Streit aufzulösen, sondern wird eher dazu beitragen, dass dieser wieder eskaliert, wie das Beispiel Maltas bereits gezeigt hat. Nur ein einzelner EU-Staat kann die Mission vor die Wand fahren.

Es wäre besser gewesen, im Nachgang zur Berliner Libyen-Konferenz die Themen Waffenstillstand und Migration nicht wieder zu vermischen. So wurde wertvolle Zeit und politisches Kapital in einem Streit gebunden, die man für den Friedensprozess in Libyen hätte brauchen können. Irini wird es schwer haben, ihrem Namen gerecht zu werden. Europa wird es schwer haben, im Libyen-Prozess weiterhin als ehrlicher Makler gesehen zu werden.

Tobias Pietz ist stellvertretender Leiter der Analyse im Berliner Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF).