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Zieht jährlich Millionen Touristen aus aller Welt an: die Hagia Sophia.© Umit Bektas/rtr
Türkei

Wird aus dem Museum wieder eine Moschee?

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Erdogan plant angeblich, die Hagia Sophia in Istanbul in ein Gebetshaus zurückzuverwandeln.

Sie überragt die historische Halbinsel Istanbuls, ist die meistbesuchte Touristenattraktion der Türkei und mit Symbolik aufgeladen: die Hagia Sophia – auf Griechisch „Heilige Weisheit“. Die gewaltige Basilika wurde 537 zu byzantinischen Zeiten als Kirche errichtet, bei der Eroberung durch die Osmanen 1453 in eine Moschee umgewandelt und schließlich vom Gründervater der modernen türkischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk, 1934 zum Museum erklärt. Islamische Fundamentalisten fordern jedoch seit jeher ihre Rückverwandlung in eine Moschee, denn sie betrachten sie als steinernes Symbol des Siegs über die Christen.

Jetzt hat die Regierung des Staatschefs Recep Tayyip Erdogan signalisiert, sie könne dem Wunsch in Kürze nachkommen – was wiederum für die orthodoxe Christenheit, der die Basilika als wichtigstes Gotteshaus gilt, ein Affront wäre. Zwar kommt die Ankündigung nicht zum ersten Mal, aber am Freitag könnte es so weit sein, wenn die türkischen Moscheen nach zweimonatiger Corona-Zwangspause wieder geöffnet werden und zugleich der Jahrestag der Eroberung Konstantinopels begangen wird.

Die Gerüchteküche brodelt seit dem 10. Mai, als Erdogans Kommunikationschef Fahrettin Altun ohne ersichtlichen Anlass ein Bild der Hagia Sophia mit dem Text twitterte: „Wir haben uns danach gesehnt! Aber etwas mehr Geduld. Wir schaffen es gemeinsam.“ Für Anhänger der islamischen AKP-Regierung Erdogans war die Anspielung unmissverständlich; sie wurde tausendfach retweetet. Der prominente Zeitungskolumnist Kadri Gürsel nannte die mutmaßlichen Pläne im Nahost-Nachrichtenportal Al-Monitor den „Heiligen Gral“ der islamischen Bewegung in der Türkei, und als Grund für Altuns Tweet den Wunsch, „die Wählerbasis unter den durch die Pandemie verschärften wirtschaftlichen Turbulenzen intakt zu halten“.

Mögliche internationale Folgen sind nicht zu unterschätzen. Die Umstellung der zum Unesco-Weltkulturerbe zählenden Hagia Sophia würde einen Aufschrei in der orthodoxen Christenheit – auch beim neuen Türkeifreund Russland – auslösen. Noch können islamische und christliche Symbole im Gebäude koexistieren. Doch muslimische Gebete vor christlichen Bildern wären schwer vorstellbar.

Spiel mit der Religion

Andererseits mobilisiert die Empörung des Auslands zuverlässig Erdogans Stammwähler. Dass die Umwandlung in Kürze stattfinden könnte, darauf verwies auch ein Video des Staatschefs, das regierungsnahe Medien einen Tag nach Altuns Tweet publizierten. Darin rezitierte Erdogan den Koran, während über ihm in arabischer Schrift das Wort „Allah“ erschien – ein eindrucksvolles Beispiel für die politische Ausbeutung der Religion in der Türkei.

Tatsächlich steigert Erdogan, wenn er ernsthaft unter Druck gerät, regelmäßig die religiöse Dosis in seinen politischen Botschaften. Als sich vor den Kommunalwahlen im März 2019 eine Niederlage der AKP in den Großstädten abzeichnete, ließ er bei Kundgebungen das grausige Video des Moschee-Attentäters von Christchurch in Neuseeland zeigen und schlug erstmals vor, das Hagia-Sophia-Museum wieder für muslimische Gebete zu öffnen.

In der Corona-Krise steht der Staatschef wegen der schlingernden Wirtschaft wieder unter Druck; die Wählerbasis murrt. Die AKP ist in Umfragen auf 32 Prozent abgesackt. Falls Erdogan ernsthaft die religiöse Karte zieht und damit auf jährlich rund 30 Millionen Euro Museums-Eintrittsgelder verzichtet, muss er sich einen politischen Mehrwert versprechen. Das könnten vorgezogene Neuwahlen sein, über die seit Wochen spekuliert wird – die aber nur Sinn ergeben, wenn dabei die neu gegründeten Konkurrenzparteien von AKP-Dissidenten ausgeschlossen bleiben.