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Separiert: Bei den neuen Protesten in Hongkong greift die Polizei schnell zu.
Nationaler Volkskongress

Das Ende Hongkongs?

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Chinas Pläne für ein Sicherheitsgesetz treiben die Pro-Demokratiebewegung der einstigen britischen Kolonie wieder auf die Straße.

Die Polizisten hatten die Demonstranten bereits mit einem Großaufgebot erwartet. Als mehrere Hundert Aktivisten im Stadtteil Central Sprechchöre anstimmten, fackelte der verlängerte Arm des Staats nicht lange. Mit Pfeffermunition schossen die Sicherheitskräfte auf die schwarz vermummten Demonstranten und nahmen 15 von ihnen fest. Noch ehe die geplanten Proteste wirklich begonnen hatten, waren sie schon aufgelöst.

Dass ausgerechnet am Mittwoch erneut Hunderte Demonstranten auf die Straßen zogen, hatte mit der Parlamentsanhörung eines umstrittenen Gesetzes der Lokalregierung zu tun: Dieses soll den Missbrauch der chinesischen Nationalhymne künftig unter Strafe stellen. Hongkonger, die den „Marsch der Freiwilligen“ mit Beleidigungen „diffamieren“, müssten demnach bis zu umgerechnet 6000 Euro zahlen.

Das noch weitaus umstrittenere Vorhaben stammt von der Zentralregierung in Peking, die derzeit beim Nationalen Volkskongress in der Großen Halle des Volkes tagt. Dort werden die Kader der Kommunistischen Partei vermutlich am Donnerstag über ein umstrittenes nationales Sicherheitsgesetz für Hongkong abstimmen, welches „subversive“ und „separatistische“ Aktivitäten unter Strafe stellt. Gerichtet ist der Vorstoß Pekings ohne Frage gegen das pro-demokratische Lager, dessen Abgeordnete das Gesetz auch als „Ende Hongkongs“ und seiner Autonomie bezeichnet haben. Zumal künftig die Kommunistische Partei auch eigene Sicherheitskräfte vor Ort installieren könnte.

„Natürlich kann man nicht sagen, dass es das Ende Hongkongs ist, aber für mich persönlich wird dessen Tod beschleunigt“, sagt der 34-jährige Sozialarbeiter Lemon Fok, der sich als moderater Anhänger der Protestbewegung beschreibt: „Noch haben wir mehr Freiheiten, aber schon bald werden wir genau wie andere chinesische Städte sein“. Die Stimmung unter seinen Bekannten beschreibt der Hongkonger als eine Mischung aus Trauer, Wut und Enttäuschung. „Die Kommunistische Partei ist immer aggressiver im Umgang mit Hongkong. Wir erwarten in der Tat Interventionen aus dem Ausland, auch wenn ich nur schwer das Ausmaß und die Intentionen dahinter abschätzen kann“, sagt Lemon Fok.

Hoffnungen der Zivilgesellschaft liegen auf US-Präsident Trump

Ausgerechnet auf US-Präsident Donald Trump liegen die Hoffnungen der Zivilgesellschaft. Dieser zeigte sich „verärgert“ und kündigte eine „starke Reaktion“ an, ohne diese jedoch zu benennen. Nur eine vage Andeutung ließ er sich im Weißen Haus vom Pressekorps entlocken: „Wir machen derzeit etwas, ich denke, das werden sie sehr interessant finden“. Dieses Etwas könnte beispielsweise das Einfrieren von Konten chinesischer Regierungsvertreter sein, Einreiseverbote oder sogar direkte Sanktionen. Möglicherweise jedoch könnte Washington auch den besonderen Handelsstatus für Hongkong beenden, der die Sonderverwaltungszone etwa von Strafzöllen befreit und auch sensible Technikimporte erlaubt.

Ohne Frage jedoch könnte der Konflikt zwischen den zwei größten Volkswirtschaften der Welt die globale Rezession noch weiter verschärfen. Jedoch bleibt fraglich, ob Trump kurz vor der Präsidentschaftswahl in den USA eine weitere Verschärfung der Rezession riskiert. Schon jetzt nämlich haben sich die wachsenden Spannungen auch an der Börse niederschlagen: Ein Dollar wurde Mittwoch am Offshore-Markt mit 7,1734 Yuan bezahlt, dies ist der tiefste Stand seit vergangenem September, als der US-chinesische Handelskrieg eskalierte.

In China ist die Nachricht vergleichsweise untergegangen, auf dem digitalen Medium Weibo wird nur peripher berichtet. Möglicherweise möchten die Zensurbehörden, die auch die Algorithmen der digitalen Medien manipulieren können, bei der „Führung der öffentlichen Meinung“ das Thema nicht allzu groß werden lassen. Oder aber die Nachricht interessiert schlicht die Bevölkerung nicht sonderlich.

Fast alle Online-Kommentare begrüßen jedoch das neue Gesetz. „China ist den Amerikanern beim Hongkong-Problem um einen Schritt voraus“, schreibt ein Nutzer. Über die 15 verhafteten Demonstranten meint ein anderer: „Die Leute haben die Strafe verdient! In dieser speziellen Zeit machen sie weiterhin Probleme. Die Hongkonger Polizeikräfte tun mir leid. Ich hoffe, die neuen Regeln werden so schnell wie möglich umgesetzt.“

Der bekannte Immobilien-Mogul Li Jiacheng sagt in einem Interview mit der Zeitung „Dazhong“ über das Gesetz: „Es wird positiv für die stabile, langfristige Entwicklung Hongkongs sein. Die Leute sollten nicht überreagieren: Jedes Land hat die Autorität, seine Sicherheit zu schützen.“

Angriff auf die Freiheit der Hongkonger

Doch für viele Hongkonger ist der Einschnitt ein Angriff auf ihre Freiheit. „Das System ,Ein Land, zwei Systeme‘ bedeutet, dass Hongkong für seine eigenen Angelegenheiten verantwortlich ist. Aber China hat viele Regeln in den vergangenen Jahren umgangen“, sagt der 36-jährige Leo Wong, der Hongkong für seine Promotion in Deutschland verlassen hat und nun in Österreich bei einer IT-Firma arbeitet: „Bislang haben meist große Proteste die kontroversen Vorstöße Chinas im Zaum gehalten, aber mit dem neuen Gesetz fällt das letzte Stück der Zurückhaltung“.

Für ihn waren die Proteste im vergangenen Jahr ein Erweckungserlebnis: „Ich war immer neutral, dachte der gemeinsame Kompromiss und Respekt mit Peking ist der richtige Weg. Seit letztem Jahr jedoch glaube ich nicht mehr daran.“

Wenn der Hongkonger aus der Ferne die Proteste verfolgt, fühlt er Wut, aber auch Ohnmacht, selber kaum Unterstützung liefern zu können. Gleichzeitig fühlt er aber auch Stolz: „Die Bewegung hat uns geeint, und viele Dinge haben wir erreicht, die niemand von uns für möglich gehalten hat“. Vor allem von Europa erwartet sich der IT-Spezialist Unterstützung: „Europa ist stolz auf seine Freiheit und die Menschenrechte. Doch wenn die Zeit gekommen ist, gegen Chinas Aggressionen aufzustehen, ist man dort nahezu stumm.“

Dass China künftig auch anderen gegenüber forscher auftreten wird, daran ließ Li Keqiang in der vergangenen Woche bei seiner Eröffnungsrede des Volkskongresse keinen Zweifel: So forderte er die Bewohner Taiwans auf, eine Wiedervereinigung mit dem Festland zu unterstützen. Beobachtern fiel dabei auf, dass Li das sonst von Peking bemühte Adjektiv „friedfertig“ wegließ, als es um die „Wiedervereinigung“ ging.

Auch das klingt wie eine Drohung. Die Botschaft: Die Welt muss sich an eine Volksrepublik gewöhnen, die ihre geopolitischen Ziele selbstbewusster verfolgt.