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Emmanuel Macron (l.) besucht Ende Mai eine Fabrik des Auto-Zulieferers Valeo.© L. Marin/dpa
Frankreich

Wenn drei von vier Fabriken stillstehen

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Frankreichs Wirtschaft erwartet einen historischen Einbruch. Starökonom Thomas Piketty kritisiert in der Krise Präsident Macron.

Der französischen Wirtschaft droht von April bis Ende Juni ein noch nie dagewesener Einbruch des Bruttoinlandproduktes (BIP) um 20 Prozent. Das teilte das Pariser Statistikamt Insee am Mittwoch mit. Nach einem Rückgang im ersten Quartal um 5,8 Prozent handelt es sich um den höchsten Minuswert seit Ende des Zweiten Weltkrieges.

Hart getroffen ist die französische Industrie. Sie dürfte laut Insee im zweiten Quartal einen Einbruch um 38 Prozent erleiden. Auch das ist ein historischer Tiefstwert. Während der eigentlichen Ausgangsbeschränkung, die in Frankreich vom 16. März bis am 11. Mai dauerte, standen drei Viertel der Industrieanlagen still.

Laut dem statistischen Amt gibt es in den vergangenen zwei Wochen auch kleinere Anzeichen einer Erholung. Der Konsum der französischen Haushalte hält sich besser als die Industrie, hat in den letzten Wochen „nur“ sechs Prozent an Umfang eingebüßt und nimmt leicht zu. Weitgehend stillgelegte Wirtschaftszweige wie der Tourismus nehmen ihren Betrieb langsam wieder auf. Restaurants, Hotels, und auch Kulturstätten wie Museen oder Kinos dürften in den nächsten Tagen wieder aufgehen. Dreißig Prozent der Restaurants könnten allerdings laut einer Branchenschätzung in Konkurs gehen.

Was die weitere Entwicklung der französischen Wirtschaft betrifft, lässt sich das Insee nicht in die Karten schauen: Es weigert sich, Schätzwerte für das zweite Halbjahr anzugeben. Die Statistiker beschränken sich auf den Hinweis, dass der Einbruch auf das ganze Jahr gerechnet mindestens acht Prozent betragen werde – und das auch nur, wenn die Aktivität ab dem zweiten Halbjahr wieder das Vorjahresniveau erreichen würde. Das hält selbst das Insee für unrealistisch.

Wahrscheinlicher ist eine lange Erholungsphase bis weit ins nächste Jahr hinein. Mehrere Indikatoren deuten darauf hin, dass Konsumenten und Unternehmen sehr vorsichtig bleiben und „abwarten“, wie der Insee-Konjunkturchef Julien Pouget der Zeitung „Le Monde“ sagte. Seit dem Ende des Lockdowns am 11. Mai sind erst 42 Prozent der Erwerbstätigen zur Arbeit zurückgekehrt. Auch in einem Jahr dürften erst 90 Prozent der Unternehmen wieder ihren Normalbetrieb erreicht haben. Maschinenstopp und Mietzinse gehen ins Geld, und da der französische Staat die Kosten für Kurzarbeit nicht mehr voll tragen wird, werden die Betriebe in schwere Finanznöte kommen, schätzt das Insee. Der französische Ökonom Thomas Piketty forderte die Regierung von Präsident Emmanuel Macron auf, unorthodoxe Finanzierungsmittel für den Wiederaufschwung zu finden. Historisch gesehen hätten Deutschland und Japan nach dem Zweiten Weltkrieg die erfolgreichste Methode angewendet, indem sie die höchsten Vermögen mobilisiert hätten. Das sei auch nötig, zumal die Krise die sozialen Ungleichheiten noch erhöht habe.

Piketty fügte an, die Pandemie-Phase habe ihn in seinem Vorschlag bestärkt, für alle Erdenbürger ein Art CO2-Konto einzurichten. Wer viel Kohlenstoffdioxid verbrauche, müsse mehr bezahlen. Der Starökonom wirft Macron zudem vor, er habe seinen Diskurs völlig geändert: Vor der Krise habe er erklärt, es sei kein Geld mehr für den öffentlichen Dienst oder das Gesundheitswesen da; jetzt flössen hingegen die Milliarden – und Macron behaupte, es sei gar nicht nötig, die reicheren Bürger stärker zu belasten.