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Lang genug? Nicht alle Abstrichstäbchen reichen bis in den Rachen.© Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/
Corona-Tests

„Es mangelt an richtigen Abstrichtupfern“

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Der Epidemiologe Matthias Stoll über rasante Virenausbreitung und die Probleme, die sich bei Tests ergeben.

Matthias Stoll ist Infektiologe an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Im Interview spricht der Experte über die rasante Virusausbreitung eines Superspreadings und die Frage, wie lange ein Covid-19-Patient eigentlich infektiös ist und was das alles mit den Testverfahren zu tun hat.

Epidemiologen sprechen im Zusammenhang mit der Virusausbreitung von sogenannten Superspreader-Ereignissen.

Ich schlage das Wort Superspreader zum Unwort des Jahres vor. Es handelt sich eben nicht um eine besonders gefährlich ansteckende Person, sondern um den rechten Rand der statistischen Glockenkurve: Eine Person hat deutlich mehr Infektionsfälle bewirkt als erwartet. Wenn man das mit einem Anglizismus bezeichnen will, dann würde ich vorschlagen, statt Superspreader-Ereignis „Superspreading“ zu sagen.

Sind alle Menschen, die sich mit Sars-CoV-2 infizieren, gleichermaßen infektiös?

Eine hohe Virusausscheidung ist ein möglicher Faktor, nachweislich aber nicht der wichtigste. Es sind die zusätzlichen Begleitumstände, oft in ihrer Summe, die das Ereignis erklären – neben dem statistischen Zufall, also dem „bad luck“. Ansteckende und angesteckte Personen waren zum falschen Zeitpunkt gemeinsam am falschen Ort.

Ein Problem kann sein, dass die infizierte Person symptomlos war. In dieser Phase ist die Virusausscheidung oft schon sehr hoch, aber man ahnt nicht, dass man infiziert sein könnte.

Leider hilft auch regelmäßiges Testen an diesem Punkt nichts. Wenn Sie sich heute per Abstrich testen lassen, erfahren Sie das Ergebnis morgen. Dann wissen Sie also am nächsten Tag, dass der Test gestern negativ war, aber sie haben leider keine Gewähr, dass das Testergebnis heute auch weiterhin negativ ausfallen würde.

Es gibt eine neuere Studie chinesischer Wissenschaftler, die Hinweise darauf gibt, dass Sars-CoV-2 auch Wochen nach einer offiziellen Genesung bei Patienten festgestellt wird. Machen Sie ähnliche Beobachtungen?

Die Studie aus China untersuchte Menschen, die Covid-19 vermeintlich überstanden hatten und sich auch nach bis zu acht Wochen später noch als positiv im Abstrich erwiesen. Solche Ergebnisse sind nicht neu und wurden bereits seit Ende März aus China und anderen vorwiegend asiatischen Ländern berichtet. Sie decken sich auch mit unseren Erfahrungen. Die Frage bleibt offen, inwiefern es sich nur um ein Ausscheiden von Bruchstücken des Virus oder aber um ein vermehrungsfähiges Virus handelt. Dazu gibt es bisher nur wenige Untersuchungen und Berichte, noch weniger davon sind wissenschaftlich untersucht. Tenor: Vermutlich ist jenseits von 14 Tagen nach Symptombeginn und/oder drei Tagen nach Symptomende ein positives PCR-Signal „meist“ nicht mit Ausscheidung von vermehrungsfähigen Viren verbunden. Aber das wird derzeit niemand für den Einzelfall garantieren können und wollen.

Kann ein negativer Test die Möglichkeit einer Infektion mit Sars-CoV-2 also nicht ausschließen?

Leider nein! Im Gegenteil wird deswegen bei bestehendem klinischen Verdacht auf Covid-19 nach einem negativen Testergebnis ausdrücklich zu einem zweiten Abstrich geraten. Die Rate an falsch negativen Abstrichen dürfte in Deutschland vermutlich höher sein, als die Angaben zur Sensitivität, die meist mit mehr als 95 Prozent angegeben wird, vermuten lassen. Ich beobachte bis heute immer wieder in den Berichterstattungen, wo Abstriche aus dem Mundraum oder Naseneingang erfolgen statt aus dem Rachen. Ein Grund dafür ist, dass die für die richtige Abstrichtechnik notwendigen, über zehn Zentimeter langen Abstrichtupfer in Deutschland nicht ausreichend verfügbar sind.

Es hat den Anschein, dass die in Deutschland verbreitete diskriminierende Haltung gegenüber Covid-19-Erkrankten zu einem Nachlassen der anfänglich hohen Testbereitschaft führt. Menschen haben Angst vor den negativen Konsequenzen in ihrem Umfeld und am Arbeitsplatz.

Wenn sich die Menschen nicht mehr testen lassen, dann riskieren einerseits die Betroffenen ihre Gesundheit, aber wir als Gesellschaft riskieren, unsere wertvollste Waffe im Kampf gegen die Pandemie dauerhaft zu verspielen: Solidarität, die bekanntlich keine Einbahnstraße ist. Verantwortung bei der Weiterübertragung tragen nicht allein die wenigen mit Covid-19 Infizierten, sondern genauso diejenigen, die vor einer Infektion geschützt bleiben wollen.

Interview: Saskia Bücker