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Am Scheideweg: Lucien Favre.© Sascha Schürmann / afp
Trainer Favre

„Ich denke nicht ans Aufgeben“

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Der Dortmunder Coach Lucian Favre gibt sich auf einmal kämpferisch, doch es ist nicht davon auszugehen, dass er über den Sommer hinaus Trainer des BVB bleibt.

Borussia Dortmund wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch die zweite Spielzeit unter Lucien Favre ohne Titel beenden. Das ausgegebene Saisonziel wird verpasst. Der Trainer überrascht mit kryptischen Aussagen. Gibt es ein drittes Favre-Jahr im Ruhrgebiet?

Diskussionsstoff hätte der Geister-Gipfel zwischen dem BVB und den Bayern auch aus sportlicher Sicht geboten. Bedeuten sieben Punkte Vorsprung schon die Entscheidung und den achten Titel in Serie des Rekordmeisters? Hätte Dortmund nicht einen Handelfmeter zugesprochen bekommen müssen? Und war Joshua Kimmichs entscheidender Lupfer nicht haltbar? Roman Bürki ist nicht Manuel Neuer. Da fehlen ein paar Zentimeter.

Dass sich Bezahlsender Sky nach Schlusspfiff gar nicht allzu lange mit den entscheidenden Szenen auseinandersetzen musste, lag ausgerechnet an einem, der am liebsten nur über den Fußball an sich reden würde – wenn er denn schon in der Öffentlichkeit auftreten muss. Lucien Favre höchstselbst irritierte mit der Antwort auf die Frage, ob er Sorge vor einer neuerlichen Diskussion habe, kein Titel-Trainer zu sein. „Das sagt man hier seit Monaten. Ich lese nicht die Zeitung, aber ich weiß, wie es geht. Ich werde darüber sprechen in ein paar Wochen“, sagte der 62-Jährige – und lieferte ein Thema, das zumindest am Dienstagabend gar nicht zwingend eines hätte sein müssen.

Denn der BVB machte kein schlechtes Spiel. Es war ein Duell in etwa auf dem Niveau, das man erwarten darf, wenn die beiden mit Abstand stärksten Kader der Bundesliga aufeinandertreffen. Dortmund hatte zuvor 27 von 30 möglichen Punkten in der Rückrunde gesammelt, die Bayern gar 28. Und diesen Hauch besser war der Dauer-Titelträger eben auch diesmal wieder.

Von einem Meistertrainer würde sich der BVB also nicht trennen, sollte die Zusammenarbeit im kommenden Sommer beendet werden. Favres Bilanz, dessen Vertrag bis 2021 gilt: zweimaliges Achtelfinal-Aus in Pokal und Champions League, zweimaliges Verpassen der Meisterschaft gegen nicht immer sattelfeste Bayern – im ersten Jahr gar nach zwischenzeitlich neun Punkten Vorsprung. Berauschender Fußball wechselt sich mit rätselhaftem Scheitern ab. Die meisten Spieler schätzen den Schweizer. Ein Zauderer ist er aber weiterhin. Einer, der mit der Titelvorgabe der Vereinsbosse fremdelt. Ein Trainer, dem fehlender Mut vorgeworfen wird – gerade in Begegnungen mit Finalcharakter. Aber am fehlenden Mut dürfte es gegen die Bayern, die genau dieses eine Tor besser waren, nicht gelegen haben.

Die öffentliche Debatte um seine Zukunft hat Favre selbst ins Rollen gebracht, intern ist sie nicht neu. Sie dürfte den BVB bis ans Saisonende begleiten. Auch wenn der Fußballlehrer am Mittwoch Spekulationen über einen Abschied dementierte. „An Aufgeben denke ich überhaupt nicht. Gestern waren wir alle enttäuscht, meine Worte im Interview direkt nach dem Spiel scheinen aber vielfach falsch verstanden worden zu sein“, so der 62-Jährige. „Was ich nur auf entsprechende Fragen hatte antworten wollen, war: Jetzt ist nicht die Zeit, um die Saison zu bilanzieren.“ Auch Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke betonte via „WAZ“, dass er „aktuell überhaupt keinen Anlass für eine Trainerdiskussion“ sieht. „Der Trainer wollte nur sagen, dass wir wie immer am Ende der Saison eine Analyse machen werden“, erklärte Watzke. Man kann all das als öffentliche operative Schadenbegrenzung interpretieren, um die Debatte halbwegs in den Griff zu bekommen.

Tatsächlich ist nämlich – allen Sprachproblemen des Schweizers zum Trotz – davon auszugehen, dass Favres Worte sehr genau verstanden worden sind. Noch mal zum mitschreiben, hier das Favre-Zitat vom Dienstagabend bei Sky: „Ich lese nicht die Zeitung, aber ich weiß, wie es geht.“ Er weiß also, wie es geht. Weil er offenbar weiß, wie es schon im vergangenen Spätherbst gegangen ist, als die Siege ausblieben und die Sägearbeiten an seinem Stuhl im Hintergrund längst begonnen hatten. Es wäre nicht das erste Mal, dass nicht nur in Dortmund der bevorstehende Abschied eines Trainers auf diese Art und Weise vorbereitet würde.

Sky-Experte Lothar Matthäus jedenfalls glaubt: „Wahrscheinlich sucht Dortmund ab Sommer einen neuen Trainer.“ Und brachte Ex-Bayern-Coach Niko Kovac ins Spiel. Laut „Bild“ soll die Klubführung Kontakte zum Kroaten gehabt haben. Zumindest das emotionale Auftreten des 48-Jährigen würde zur Markenführung („Echte Liebe“) passen. Das war es dann aber auch.

Fußballerisch würde der Wechsel von Favre auf den auf totale Disziplin bedachten Kovac nämlich mutmaßlich einen Rückschritt bedeuten. Und Mats Hummels, einer der Anführer im Dortmunder Kader, an dessen Ausbootung in München Kovac großen Anteil gehabt haben dürfte, wäre von einer erneuten Zusammenarbeit wohl alles andere als angetan. Dennoch: Die Spekulationen um den zweitbegehrtesten Trainerjob der Republik werden anhalten. (mit jcm)